#Interview
“Unser kostspieligster ‘Fehler’ war unsere erste Produktion”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet Nele Schellschmidt, Gründerin von Judes Family. Das Startup aus München bietet Eltern die “einfachsten Stoffwindel der Welt”
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Ich habe Judes zusammen mit meinem Partner gegründet. Wir sind nicht nur gemeinsam Gründer, sondern haben zusammen ein Kind, das wir in den ersten drei Jahren selbst betreut haben. Das heißt: Bei uns ist jede Woche und nahezu jeder Tag anders. Ich bin die Hauptansprechpartnerin für unser Team und nehme mir viel Zeit für die Kommunikation. Solange das gewährleistet ist, sind wir extrem flexibel. Wir sind viel auf Reisen und arbeiten immer dann, wenn es gut passt.
Wie schaltest Du nach der Arbeit ab?
In der Natur. Ich liebe es, wandern zu gehen und zu campen. Ich bin mit meiner Familie fast jede freie Minute draußen, sowohl bei Sonne als auch bei Regen. Es bleibt nicht aus, dass wir auch bei einer Wanderung mal über Judes brainstormen, aber das ist ok. Oft kommen uns da die besten Ideen.
Was über das Gründer:innen-Dasein hättest Du gerne vor der Gründung gewusst?
Eine Sache, die ich nicht auf dem Schirm hatte: wie einsam es sein kann. Ich bin ein sehr extrovertierter Mensch und liebe es, in Gemeinschaft zu sein. Wir haben während der Corona-Pandemie gegründet und gleichzeitig ein Kind bekommen. Wir waren in der Zeit gezwungenermaßen sehr viel unter uns. Nach ein paar Jahren habe ich gemerkt: Es fehlt mir, eingebunden zu sein und im Team zu arbeiten. Die Einsamkeit war sicher einer der Gründe, warum ich nach knapp zwei Jahren ein Burnout hatte. Ich habe dann lernen dürfen, dass es in der Position als Gründerin und Geschäftsführerin für mich wichtig ist, Verbindungen mit anderen Gründer:innen aufzubauen und mit dem Team Verbindlichkeit aufzubauen, zum Beispiel durch regelmäßige Meetings, in dem wir uns auch Zeit für Zwischenmenschliches nehmen.
Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstest?
Meine eigenen Glaubenssätze. In mir ist ganz tief der Perfektionismus verankert. Das hat mich früher oft eingeschränkt und ich musste lernen, anders zu arbeiten. Mittlerweile arbeite ich nach dem 80/20 Prinzip. Es ist ok, Dinge erstmal in Bewegung zu setzen, auch wenn sie noch nicht perfekt sind. Wir sind deshalb auch offen für Kunden-Feedback und kommunizieren deutlich, dass wir das Produkt stetig weiterentwickeln. Dadurch können sich viele Türen öffnen. Die Menschen kommen leichter auf uns zu und es entsteht ein wertvoller Austausch.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Unser kostspieligster “Fehler” war unsere erste Produktion. Wir haben lange nach einem Hersteller gesucht, waren nach dem Sampling-Prozess und vielen Feedback-Loops sehr zufrieden und haben dann die erste Produktionscharge in Auftrag gegeben. Doch leider haben wir keine Qualitätsinspektion der ersten Charge vor Ort gemacht. Die Produktionsfirma hatte ein anderes Klettmaterial als vereinbart verwendet, der Klettverschluss unserer Windeln löste sich beim Waschen förmlich auf. Aber wir haben daraus gelernt. Unter anderem, dass es sich auszahlt, mit unseren Kund:innen ehrlich und transparent zu sein. Viele Familien haben sehr verständnisvoll reagiert. Wir haben einen neuen Produktionspartner gefunden und ihre Produkte ersetzt. Mit der neuen Qualität waren die Judes Families super happy.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
Der allergrößte Teil unserer Mitarbeiterinnen stammt aus der Judes Community. Wenn wir Stellen zu vergeben hatten, haben wir immer wieder unsere Kund:innen gefragt. Das war ein Erfolg, denn sie kannten sich nicht nur gut mit dem Produkt aus, sondern waren und sind davon überzeugt. Ich höre immer wieder von ihnen, dass es für sie extrem befriedigend ist, an etwas zu arbeiten, woran sie glauben.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Als erstes: immer wieder den Dialog mit Kund:innen zu suchen. Wir haben von Anfang an immer viel Feedback eingefordert. Wir sind viel im Gespräch mit Kund:innen, schreiben hin und her, sind im Austausch über jede Produktänderung. Das hat uns sehr viele spannende Einblicke gegeben.
Und zweitens: Man kann als eigener Chef oder als Gründerin sein Leben so gestalten, wie man selbst es möchte. Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg. Ein ausbalanciertes Familienleben zu leben, ist möglich. Für uns soll nicht das Leben der Firma dienen, sondern die Firma dem Leben. Das gilt nicht nur für uns Gründer und Gründerin, sondern für das ganze Team.
Ohne welches externe Tool würde Dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Ganz klar Shopify. Es war keine Frage, mit welchem Shop-System wir Judes aufbauen wollen. Shopify war das einfachste und performanteste Tool. Da wir ausschließlich direct to consumer verkaufen, wären wir ohne Shopify aufgeschmissen. An zweiter Stelle Google Sheets, weil wir extrem Daten getrieben arbeiten.
Wie sorgt Ihr bei Eurem Team für gute Stimmung?
Wie oben gesagt ist die Motivation im Team gar nicht so ein Thema, da wir den Großteil unserer Mitarbeiter:innen über die Judes Community rekrutiert haben. Die meisten kommen aus stabilen, gut bezahlten Jobs und haben sich dafür entschieden, bei Judes zu arbeiten, weil wir so familienfreundlich sind. Wir alle arbeiten komplett selbstbestimmt, flexibel und remote. Einige unserer Teammitglieder leben im Ausland oder sind immer mal wieder länger auf Reisen. Eine Mitarbeiterin ist in Australien, eine lebt in Spanien. Wir machen alles möglich. Für uns ist das super befriedigend zu sehen, dass wir nicht nur für uns im Gründer-Team ein tolles Leben in Freiheit aufbauen können, sondern auch für das gesamte Team.
Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Ich hatte erst vor kurzem ein wirklich lustiges Erlebnis. Auf einem Fest habe ich mich mit einer anderen Mutter unterhalten und den Namen von meinem Partner und Mitgründer Leon erwähnt. Sie starrte mich ganz erstaunt an und sagte: “Ist das etwa Leon von Judes Family? Der kommt mir so bekannt vor.” Es stellte sich heraus, dass sie Judes-Nutzerin war und unsere Story mitbekommen hatte, weil wir sie sehr offen teilen. Das war für mich einfach ein total verrücktes Gefühl. Ich hatte unbewusst immer noch den Gedanken, dass unsere Freunde und Familie netterweise Judes kaufen. Aber in Wirklichkeit gibt es mittlerweile über 30.000 Familien da draußen, die mit Judes wickeln und noch viel mehr, die die Story mitbekommen haben. Jemanden zu treffen, der uns kannte und der überzeugt war und unsere Werte teilt, war ein super verrücktes und verbindendes Gefühl. Es hat mich vom Neuen motiviert, weiterzumachen.
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.