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“Wir haben einen langen und steinigen Weg hinter uns”

Nui Care "unterstützt pflegende Angehörige im Pflegealltag”. Gründer Markus Müller gründete zuvor ubitexx und war dann Europachef von Blackberry. Danach suchte er eine neue Bestimmung, ließ sich zum Sterbebegleiter ausbilden und startete Nui Care.
“Wir haben einen langen und steinigen Weg hinter uns”
Donnerstag, 20. Juni 2024VonAlexander Hüsing

Das Münchner Startup Nui Care, 2018 vom ehemaligen Blackberry-Europachef Markus Müller und Christian Ehl gegründet, “unterstützt pflegende Angehörige im Pflegealltag”. “Wir unterstützen Angehörige mit einer App und persönlicher Beratung durch Pflegeexpert:innen, sodass sie die häusliche Pflege mit Job, Familie und Hobbys in Einklang bringen können und Zeit für ihre Liebsten und sich selbst zurückgewinnen”, erklärt Gründer Müller das Konzept.

In den vergangenen Jahren flossen rund 6,3 Millionen Euro in Nui Care – unter anderem von der ADAC SE. “Nui ist inzwischen die führende hybride Plattform für pflegende Angehörige und wir verzeichnen einen einstelligen Millionen-Umsatz. Und auch unser Team wächst: Mittlerweile beschäftigen wir bei Nui Care 22 Mitarbeiter:innen”, sagt Nui Care-Macher Müller zum Stand der Dinge bei seinem Unternehmen.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Nui Care-Gründer Müller, der nach seiner Zeit bei Blackberry eine Ausbildung als Sterbebegleiter absolvierte, außerdem über sinnstiftende Projekte, Belastbarkeit und Geld.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Nui Care erklären?
In Deutschland leben derzeit etwa fünf Millionen pflegebedürftige Menschen, mehr als 80 Prozent von ihnen werden zu Hause versorgt. Doch jede:r dritte pflegende Angehörige ist überfordert und kann die Pflegesituation kaum oder gar nicht mehr bewältigen, zeigt der vdk-Pflegereport. Allein die bürokratischen Aufgaben werden als Belastung wahrgenommen. Nui Care setzt genau hier an: Wir unterstützen Angehörige mit einer App und persönlicher Beratung durch Pflegeexpert:innen, sodass sie die häusliche Pflege mit Job, Familie und Hobbys in Einklang bringen können und Zeit für ihre Liebsten und sich selbst zurückgewinnen.

War dies von Anfang an Euer Konzept,?
Unsere Vision ist seit Gründung von Nui Care 2018 unverändert. Wir streben eine Zukunft an, in der Senior:innen auch im hohen Alter unter guten Bedingungen in den eigenen vier Wänden leben und in der ihre Angehörigen eine liebevolle und qualitativ hochwertige Pflege zu Hause gewährleisten können. Die Produktidee, pflegende Angehörige mit einer App sowie persönlicher Beratung zu unterstützen, ist ebenfalls von Beginn an die gleiche. Wir entwickeln die Nui-App aber natürlich kontinuierlich mit einem Team aus IT-, und Pflege-Expert:innen sowie pflegenden Angehörigen weiter. Das Geschäftsmodell haben wir angepasst, inzwischen verfolgen wir einen B2B2C-Ansatz und arbeiten mit starken Partnern wie det ADAC SE, der AOK Bayern und der Allianz Private Krankenversicherung zusammen.

Vor Nui hast Du das Software-Startup ubitexx aufgebaut und 2011 an BlackBerry verkauft. Was reizt Dich daran, wieder ein Startup aufzubauen?
Als Unternehmer habe ich den Drang, Neues zu schaffen und Ideen umzusetzen. Nach dem Verkauf von ubitexx und meiner Tätigkeit als Europa-Chef bei BlackBerry hat sich allerdings mein Fokus verändert. Ich habe mir selbst versprochen, mich nur noch Projekten zu widmen, die ich persönlich als sinnstiftend erachte. Erfolg im Sinne von Position, Geld und Karriere stehen nicht mehr im Vordergrund. 

Bis 2015 warst Du Europa-Chef von BlackBerry. Wie führte Dein Weg damals zum Thema digitale Pflegebegleitung?
2015 veranlasste mich die Frage, was mir im Leben wirklich wichtig ist, zur Kündigung bei BlackBerry. Ich ließ mich im Hospizverein DaSein in München zum Sterbebegleiter ausbilden. Dort begegnete ich vielen Angehörigen, die seit mehreren Jahren Familienmitglieder pflegten und emotional, physisch und oft auch finanziell an der Grenze ihrer Belastbarkeit standen. Durch diese ehrenamtliche Tätigkeit, der ich auch heute noch nachgehe, kam der Impuls zur Gründung von Nui Care. 

Ist beim erneuten Gründen wirklich alles einfacher als beim ersten Mal?
Alles vielleicht nicht, aber so einiges ist deutlich klarer. Fehler vom ersten Mal passieren einem in der Regel nicht noch einmal. Dafür macht man natürlich andere. Ein großer Vorteil ist die innere Ruhe, die sich durch die Erfahrung einstellt. Inzwischen gehe ich mit Rückschlägen viel entspannter um als früher, weil ich weiß, es geht danach meistens weiter – oft wird es sogar besser. 

Welche Erfahrungen aus ubitexx fließen denn in Nui ein?
Meine Erfahrungen mit Finanzierungsrunden, aber auch die Ansprache von B2B-Kunden sind für meine Arbeit bei Nui Care sehr hilfreich. Im Laufe eines Lebens erweitert sich aber natürlich auch das persönliche Netzwerk erheblich. Dadurch wird es immer leichter, Kontakte in verschiedene Unternehmen und Organisationen aufzubauen und diese auch zu pflegen.

Wie hat sich Nui Care seit der Gründung entwickelt?
Nui ist inzwischen die führende hybride Plattform für pflegende Angehörige und wir verzeichnen einen einstelligen Millionen-Umsatz. Und auch unser Team wächst: Mittlerweile beschäftigen wir bei Nui Care 22 Mitarbeiter:innen, darunter IT-, und Pflegeexpert:innen sowie Kolleg:innen, die die Herausforderung pflegender Angehöriger aus eigener Erfahrung kennen. 

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wie für viele Unternehmen war Corona auch für uns eine schwierige Zeit, denn sowohl Investoren als auch potenzielle Partner waren weitestgehend handlungsunfähig. Dank der starken Unterstützung unserer Investoren konnten wir diese Zeit aber meistern. Da die digitale Pflege in Deutschland außerdem noch in den Kinderschuhen steckt, sind wir Pioniere und machen vieles zum ersten Mal. Es gibt keinen Blueprint, an dem wir uns orientieren könnten, wodurch wir häufig auf die Trial-and-Error-Methode zurückgreifen. 

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Uns ist es gelungen, Partner mit großer Reichweite zu gewinnen, um möglichst viele pflegende Angehörige zu erreichen. So kooperieren wir mit der Allianz Private Krankenversicherung sowie der AOK Bayern. Hinzu kommt die ADAC SE als Investor und Kooperationspartner, über die wir mehr als 21,8 Millionen ADAC Mitglieder ansprechen können. Gemeinsam gestalten wir eine Zukunft, in der pflegebedürftige Menschen unter guten Bedingungen in den eigenen vier Wänden leben und die Angehörigen eine liebevolle und qualitativ hochwertige Pflege sicherstellen können.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Gründe nur zu einem Thema, mit dem dich eine Leidenschaft verbindet – die braucht es für einen erfolgreichen Firmenaufbau. Mit Nui Care haben wir schon einen langen und teils steinigen Weg hinter uns, denn im Gesundheitswesen dauert alles lange und das System sträubt sich gegen Innovationen. Daran sind in der Vergangenheit bereits einige Startups gescheitert. Dass wir immer noch dabei sind, liegt an unserer Überzeugung. Wir tragen dazu bei, dass sich die Situation der Pflege für alle Betroffenen verbessert – und das erfüllt mich jeden Tag aufs Neue.

Wo steht Nui Care in einem Jahr?
2025 ist Nui Care gängiger Standard für pflegende Angehörige in Deutschland. Zudem haben wir weitere starke Partner hinzugewonnen. Die KI-Technologie in der Nui-App wird weiter ausgebaut sein, um pflegende Angehörige noch individueller und abgestimmt auf ihre persönliche Pflegesituation zu unterstützen.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

Foto (oben): Nui Care

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.