#Interview

“Hört niemals auf mit dem Vertrieb”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Nach der Arbeit ist meist vor der Care-Arbeit. Richtig abschalten, vor allem mit so kleinen Kindern ist meist nicht so richtig möglich. Was uns wichtig ist? Fokus auf die Kinder nach unserer Arbeit", sagt Vanessa Bieling-Degenhardt, Gründerin von unfoldnow.
“Hört niemals auf mit dem Vertrieb”
Freitag, 8. März 2024VonTeam

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst, bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet Vanessa Bieling-Degenhardt, Gründerin von unfoldnow. Das Startup aus Berlin, das Bieling-Degenhardt gemeinsam mit Gina Renner und Laura Lang gegründet hat, positioniert sich als “Anlaufstelle für Organisationen der Zukunft und Pionier:innen der neuen Zeit”.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Einen “normalen” Arbeitsalltag gibt es für uns nicht. Jeder Tag ist extrem individuell und einzigartig. Unser Startup-Alltag ist eng verbunden mit unserem Familien-Alltag. Wir sind nicht nur drei Co-Gründerinnen, sondern auch drei Mütter. Unsere Kinder sind noch sehr klein und wir müssen jeden Tag neu entscheiden, wie wir uns bestmöglich als Gründerinnen-Team und Eltern priorisieren. Wir haben ab dem ersten Tag unserer Gründung einen sehr starken Fokus auf Priorisierung und Aufgabenteilung gelegt. Jede von uns startet sehr individuell mit ihren eigenen Tasks und Prios. Meist bedienen wir auch direkt am Morgen alle möglichen Social Media Kanäle und stimmen uns gemeinsam auf den Tag ein.

Wie schaltest Du nach der Arbeit ab?
Nach der Arbeit ist meist vor der Care-Arbeit. Richtig abschalten, vor allem mit so kleinen Kindern ist meist nicht so richtig möglich. Was uns wichtig ist? Fokus auf die Kinder nach unserer Arbeit. Wir möchten Vereinbarkeit neu denken und geben uns den Freiraum, auch in unserer Elternschaft wirklich “da” sein zu können. Wenn wirklich alles erledigt ist, nehmen wir erstmal einen tiefen Atemzug und gehen in die Achtsamkeit mit uns selbst. Wir fragen uns: Wie geht’s uns? Was brauchen wir gerade eigentlich? Das kann ein heißes Bad sein, ein Glas Wein oder einfach nur ein gutes Buch. Manchmal aber auch einfach nur schlafen.

Was über das Gründer:innen-Dasein hättest Du gerne vor der Gründung gewusst?
Der “Mental Load”. Wir hatten natürlich eine Vorahnung, aber die Realität sieht nochmal anders aus. Es gibt so viele Aspekte zu beachten, so viele Möglichkeiten in den Entscheidungen. Auf der einen Seite lieben wir diese Freiheit und den Spielraum. Auf der anderen Seite kann es manchmal auch überfordern. Dabei hilft es immer wieder, dass wir drei Gründerinnen sind. Wir erinnern uns daran, alte Glaubenssätze zu eliminieren und versuchen, bestmöglich neue Glaubenssätze zu etablieren. Macht es frei von Erwartungen, auf jeden Fall ein Game Changer!

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstest?
Wo sollen wir da anfangen? Der bürokratische Teil der Gründung ist mit Sicherheit kein leichter. Es gibt extrem viele Stolpersteine und man braucht eine sehr gute Struktur, um nicht den Überblick zu verlieren. Auch haben wir durchaus Hürden gespürt in der Wahrnehmung als Frau und Mütter. Für viele Menschen passen Gründung, Frau UND Mutter sein nicht zusammen. Immer wieder platzieren, immer wieder sichtbar sein und Klarheit darüber schaffen: Meine Kompetenz als Gründerin und Kompetenz als Mutter haben nichts miteinander zu tun. Das darf sich gerne ändern in unserer Gesellschaft. Wir machen das Thema mehr als sichtbar und möchten andere Gründerinnen, in ähnlicher Situation, unterstützen!

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Hört niemals auf mit dem Vertrieb. Eigentlich ein Fakt, den wir bereits wussten und kurz vergessen haben. Erst wenn die Unterschriften da sind, werden mögliche Aufträge wirklich Realität. In dieser Zeit der Verhandlung muss der Vertrieb und vor allem die Kalt-Akquise weiter laufen. Ein großes Learning für uns und ein Fehler, den wir hätten vermeiden können.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
Eine so wichtige Frage, die wir uns immer wieder, gemeinsam mit unseren Kund:innen anschauen und beraten. Die grundsätzliche Frage ist nicht, wie findet man die richtigen Mitarbeiter:innen, sondern welchen Menschen mit welchen Kompetenzen und auch kulturellen Werten braucht die Organisation, um zu wachsen? Diese Art der Frage ist eine andere Herangehensweise. Wichtig ist auch, Klarheit darüber zu schaffen, wer konkret die Zielgruppe ist. Wenn diese Frage sehr konkret beantwortet wird, können und sollten die Startups mit dieser Zielgruppe sprechen. Denn Menschen folgen Menschen und nicht Unternehmen. Die direkte Ansprache auf jeglichen Kanälen ist unabdingbar für das Recruiting der richtigen Menschen. Netzwerk-Veranstaltungen, LinkedIn oder auch zielgruppenspezifische Foren können dabei der Türöffner sein. Was braucht es außerdem: Authentische Ansprache, Klarheit über die tatsächlichen Bedürfnisse und das Bewusstsein darüber, dass Menschen sich auch in eine Rolle entwickeln dürfen.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Ihr dürft durchatmen und Pausen machen. Befreit euch von alten Glaubenssätzen. Auch das Gründertum darf und muss anders gestaltet werden. Sucht euch Verbündete, Sponsor:innnen und Gleichgesinnte. Es geht nur zusammen.

Ohne welches externes Tool würde Dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Wir haben uns seit dem ersten Tag unserer Gründung sehr stark mit unseren internen Prozessen & Tools auseinandergesetzt. Folgende Strukturen sind für uns unabdingbar: Zwei-bis dreimal die Woche eine klare Agenda und Check-Ins – bei Co-Gründer:innen. Asana. Mit diesem Tool strukturieren und planen wir unsere Organisation sehr stark. Aufgaben können klar verteilt werden, Timings und Ownerships hinterlegt. Es hilft ungemein für einen guten Überblick. Slack. Wir dachten zum Start, wir brauchen es nicht sofort. Ein weiteres Learning. Wir brauchten es schneller als gedacht. Es braucht einen Ort, der nicht Whatsapp ist, an dem Dinge geteilt werden können. Es muss nicht unbedingt Slack sein, aber ein Ort, an dem fokussiert Nachrichten & Nachrichtenverläufe auffindbar sind. Tipp: Schreibe bei Slack zuerst eine Nachricht als Headline und dann folgend als Kommentar die tatsächliche Nachricht. So sind die Chatverläufe nicht unübersichtlich und man findet auf den ersten Blick die Themen & Überschriften und kann ad hoc entscheiden, ob diese Nachricht in diesem Moment eine Relevanz hat. Canvas. Unser Tool für unseren Content, Social Media Vorbereitungen. Gute Ordnerstrukturen schaffen einen ganzheitlichen Überblick. Wir lieben das Google Universum. Ohne Google Drive geht nichts.  ChatGPT – say no more, oder? Eine super Unterstützung im Arbeitsalltag!

Wie sorgt Ihr bei Eurem Team für gute Stimmung?
Tatsächlich müssen wir für keine gute Stimmung sorgen. Sie ist einfach da. Wir haben uns zum Start unserer Gründung sehr viel Zeit eingeräumt, um über die Themen: Vertrauen, Erwartungen, Wünsche und Ängste zu sprechen. Wir kennen uns. Wir lieben uns und wir vertrauen uns. Da kommt die gute Stimmung automatisch. Wenn sie mal nicht da ist, akzeptieren wir das auch. Es gibt auch diese Tage, an denen nichts funktioniert und die Stimmung im Keller ist. Auch das darf man gemeinsam erleben. Was bei Gina & Laura immer funktioniert: Gutes Essen, da ist die Stimmung schnell wieder oben :)

Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Die Verleihung unseres ersten Awards war ein bedeutender Moment für uns. Schon nach nur 6 Monaten seit unserer Gründung wurden wir mit dem “Working Mom(s) of the Year” Award von Sheciety ausgezeichnet. Warum? Laura war während unserer Gründung schwanger, Ginas Tochter war gerade einmal 3 Monate alt, und meine eigene Tochter war erst 1,5 Jahre alt. Die Herausforderungen, denen wir uns stellten, und der unermüdliche Einsatz, den wir aufbrachten, um all diese Verantwortungen unter einen Hut zu bringen, waren und sind nach wie vor immens. Dieser Award verleiht unseren Anliegen und Herausforderungen mehr Sichtbarkeit und hoffentlich inspiriert er noch mehr Frauen dazu, mutige Schritte zu gehen.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

Foto (oben): unfoldnow