#Interview
“Ich dachte, ich könnte alles schaffen und habe mich verzettelt”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet Devin Agca, Gründer von Modifox. Das Startup aus Köln, das Agca gemeinsam mit Wael Gdoura und Karim Abdi gegründet hat, entwickelt einen Schuh mit Wechselsohle.
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Normalerweise habe ich eine Routine. Morgens starte ich entweder mit einem Gang ins Gym oder einer Runde joggen mit meinem Hund. Das passiert gegen 7 Uhr. Das tue ich nicht weil ich diszipliniert bin – im Gegenteil. Ich bin überhaupt kein Frühaufsteher und habe seit ich Denken kann damit zu kämpfen. Aber ein Video von David Coggins hat mich inspiriert. Er geht jeden Morgen laufen und sagt, dass es für ihn wie ein Schutzschild ist, welches er aufbaut, bevor ihn der Alltagsstress sofort erschlägt. Da erkenne ich sehr viel Wahres drin. Ich bereite mich mit Sport gern für den Tag vor, weil ich glaube ihn dann besser bewältigen zu können.
Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Puh, wunder Punkt. Kaum. Wir stehen nach zwei Jahren Entwicklung grade zwei Wochen vor dem Launch. Im Moment denke ich an nichts anderes außer Arbeit. Das ist nicht gesund, aber so ist es aktuell. Normalerweise holt mich meine Freundin zurück auf den Boden der Tatsachen. Sie ist mein Ruhepol und erinnert mich daran, dass es ein Leben abseits der Arbeit gibt. Aktuell arbeitet sie allerdings als Barkeeperin, weshalb ich in der Regel auch spät abends noch in den Laptop schaue. Nichts inspirierendes hier! Aber es kommen bessere Zeiten. Nach dem Launch werde ich mir ein bis zwei Wochen Auszeit nehmen.
Was über das Gründer:innen-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Tatsächlich gibt es da kaum etwas. Ich habe das große Glück, dass mein Vater Unternehmer ist, meine Mutter selbstständige Beraterin, mein Bruder ebenfalls Gründer und meine Schwester selbstständige Autorin. An Vorbildern in der Familie mangelt es mir nicht. Außerdem habe ich während meinem Studium in Entrepreneurship viele Bücher gelesen: Start with Why, Lean Startup, Zero to One, etc. Es gibt eine Sache, über die ich froh bin, dass ich sie nicht gewusst habe: Wie schwer es doch tatsächlich ist zu gründen. Dazu gibt es ein witziges Sprichwort: “Ich habe nicht gegründet weil es einfach ist, sondern weil ich dachte, dass es einfach ist.”
Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Es gab einige, aber eine sticht deutlich hervor – unser Gründerteam an einen physischen Ort zu bekommen. Ich habe zwei tunesische Mitgründer im Team. Wir haben gemeinsam Stipendien gewonnen, aber konnten diese nicht abrufen, weil sie keine Arbeitsgenehmigung in Deutschland hatten. Als wir ihn beantragen wollten, sollten wir uns in eine 12-monatige Warteschlange einreihen. Am Ende hat es 2 Jahre Teilzeit-Aktivismus gebraucht, bis wir vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit ein Visum für die beiden bekommen konnten. Gleichzeitig ist damit aber auch die Sache verbunden, auf die wir am meisten stolz sind: Wir haben unser eigenes Gesetz bekommen! Auf Basis von unserem Fall wurde im Juli 2023 vom Bundestag das neue Gründer*Innen Visum verabschiedet.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Das ist für mich wirklich schwer zu sagen. Ich glaube einer der größten Fehler war es, lange keine Fehler machen zu wollen. Ich dachte, dass ich durch meinen Hintergrund und mein Wissen über Startups perfekte Ergebnisse erzielen musste. Die Folge davon war leider nur, dass ich für die meisten Dinge ewig gebraucht habe. Ein perfektes Ergebnis hatte ich deshalb trotzdem nicht. Noch schlimmer. Ich habe gedacht, ich könnte alles schaffen und habe mich hoffnungslos verzettelt. Daraus habe ich etwas gelernt, was Steve Jobs ebenfalls gepredigt hat: 1 Ja mit 1.000 Neins zu verteidigen. Wenn ich glaube, dass eine Sache wichtiger ist, als die anderen, mache ich mir inzwischen nicht mehr die Illusion, dass ich sie trotzdem vielleicht wann anders schaffen kann. Ich konzentriere mich auf die eine wichtige Sache und sage zu allem anderen kategorisch nein. Während unserer Entwicklungsphase hatte ich diesen Druck nicht, weil unser Stipendium jeden Monat überwiesen wurde, egal wie gut oder schlecht wir performen. Jetzt wo es Richtung Markteintritt geht, bin ich viel fokussierter, weil ich weiß, dass alles davon abhängt.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
Das weiß ich leider nicht, denn wir haben noch keine! Aber ich habe einen unkonventionellen Ansatz, wie man gut und einfach Mitgründer findet. Damals habe ich zuerst bei Kommilitonen angeklopft. Nach dem Master, haben diese aber lieber gut bezahlte Beraterjobs angenommen, statt einer Schnapsidee nachzujagen. Daraufhin habe ich über eine Plattform für wenig Geld nach einem Freelancer gesucht, der das Produkt mit mir baut. So habe ich einen industriellen Designer und einen Maschinenbauingenieur kennengelernt. Wir konnten uns ein paar Wochen ganz easy und ohne Verpflichtungen kennenlernen. Als das Geld leer war, habe ich sie gefragt, ob sie stattdessen mit mir gemeinsam gründen möchten. Beide hatten sonst nur geringe Verpflichtungen und bereits Erfahrung mit der Selbstständigkeit. Sie sind seitdem meine Mitgründer. Für mich ist das eine viel zielführendere und angenehmere Art des Zusammenfindens, als sich beim Gründer-Tinder, mit anderen zu matchen. Denn anders als beim Dating, heiratet man beim Gründen den Gegenüber oft beim ersten Date. Ob das eine gute Idee war, stellt sich erst heraus, wenn man anteilsmäßig bereits verheiratet ist. Meiner Meinung nach kein Erfolgskonzept.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Abgesehen davon, wie man sich passende Mitgründer:Innen suchen könnte? Baut nicht im stillen Kämmerlein. Ich merke, dass grade wieder ein Trend aufkommt in Stealth Mode zu entwickeln. Für manche Startups mag das Sinn machen. Aber die meisten unterschätzen den Aufwand, den es braucht um “sichtbar” zu werden und seine Idee zu validieren. Wir haben über ein Jahr gebraucht, um das zu verstehen. Dazu gibt es ein spannendes Zitat: “First time founders focus on product. Second time founders focus on distribution.” Das trifft bei mir zu 100% zu. Sollte ich nach Modifox noch einmal gründen, würde ich das maßgeblich ändern.
Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Wirklich gute Frage. Das ist bei uns phasenabhängig. Anfangs habe ich für 400 Euro einen 3D-Drucker gekauft und zu meinem Mitgründer nach Tunesien geschickt. Das war eine der besten Investitionen, die ich jemals getätigt habe. 3D Druck in der physischen Produktentwicklung ist einfach ein Traum. Ich weiß gar nicht, wie Leute davor ohne ihn ausgekommen sind. Als wir irgendwann zu Viert waren, wurde mir Asana für das Projektmanagement sehr wichtig. Dann habe ich irgendwann gemerkt, dass es viel zu viel Zeit und Energie kostet ständig für alles Tickets zu erstellen, zu pflegen und abzuarbeiten. Dafür sind wir einfach noch zu klein, das braucht es nicht. Inzwischen sind wir mehr oder weniger unbewusst auf Slack umgestiegen. Die Threads sind eine noch leanere Art, um Dinge zu feedbacken und Aufgaben zu klären. Ich glaube, je besser die Zusammenarbeit funktioniert, desto weniger ist man auf Projektmanager wie Asana angewiesen. Das gilt natürlich nur für sehr kleine Teams.
Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Wir brennen für die selbe Sache. Vielleicht ist das eine eher dünne Antwort. Aber das ist tatsächlich das, was uns zusammenhält. Wir veranstalten keine Spaß-Events, wir haben keinen Büro-Kicker, wir gehen nicht zusammen Essen. Unsere Arbeit ist mehr oder weniger unser Hobby, dass wir gemeinsam teilen. Ich mache mir aber keine Illusion, dass es in einer späteren Phase mehr als das braucht, um langfristig glücklich und erfüllt zu sein. Eine extrem wichtige Sache für uns sind die by-weekly Feedback Gespräche. Das ist quasi unsere Seelsorge, um regelmäßig anzusprechen, was einem grade gefällt und vor allem was nicht. Da ziehen wir extrem viel Energie raus.
Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Das war im Sommer 2022. Ich hatte mit Wael und Karim bereits über ein halbes Jahr zusammengearbeitet, aber nur virtuell. Im August haben sie dann endlich ein Touristenvisum erhalten und haben für einen Monat bei mir und meinen Eltern gewohnt. Das war im Nachhinein schon ein bisschen verrückt, weil wir uns ja noch nie wirklich gesehen hatten. Für Wael und Karim war es nicht nur ihr erster Flug, sondern auch die erste Reise außerhalb von Tunesien. Ein halbes Jahr später, haben sie ihr Visum erhalten und wohnen seitdem in Köln!
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.
Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness
In unserem Themenschwerpunkt Köln werfen wir einen Blick auf das Startup-Ökosystem der Rheinmetropole. Wie sind dort die Voraussetzungen für Gründer:innen, wie sieht es mit Investitionen aus und welche Startups machen von sich reden? Mehr als 550 Startups haben Köln mittlerweile zu ihrer Basis gemacht. Mit zahlreichen potenziellen Investoren, Coworking-Spaces, Messen und Netzwerkevents bietet Köln ein spannendes Umfeld für junge Unternehmen. Diese Rubrik wird unterstützt von der KölnBusiness Wirtschaftsförderung. #Koelnbusiness auf LinkedIn, Facebook und Instagram.