#Gastbeitrag

Die 10 wichtigsten Tech-Trends 2023

Die Tech-M&A-Beratungsgesellschaft und Investmentfirma GP Bullhound identifiziert jedes Jahr die wichtigsten Tech-Trends. Die Technology Predictions Reports haben in den letzten zehn Jahren eine Trefferquote von durchschnittlich 80 % erzielt. Ein Gastbeitrag von Julian Riedlbauer.
Die 10 wichtigsten Tech-Trends 2023
Montag, 16. Januar 2023VonTeam

Wie verändert Natural Language Processing die Arbeitswelt? Welche Auswirkungen hat die Energiekrise auf die Entwicklung neuer Technologien? Und welche neuen Shopping-Modelle etablieren sich? Als Tech-M&A-Beratungsgesellschaft und Investmentfirma identifizieren wir bei GP Bullhound jedes Jahr die wichtigsten Tech-Trends. Unsere jährlich erscheinenden Technology Predictions Reports haben in den letzten zehn Jahren eine eindrucksvolle Trefferquote von durchschnittlich 80 % erzielt. Was also hält 2023 bereit? Zehn Vorhersagen.

  1. Natural Language Processing wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil 

Seit 2020 gibt es nicht nur von Menschen geschaffene, sondern auch maschinell erschaffene „synthetische” Inhalte. Möglich macht das Natural Language Processing (NLP), ein Teilgebiet künstlicher Intelligenz, mit der Software Sprache untersucht und mithilfe von Algorithmen verarbeitet. Zahlreiche Anwendungen wie Sprachassistenten oder Chatbots basieren darauf und Technologiekonzerne entwickeln kontinuierlich weitere Anwendungen. Heute kann man mithilfe von Text-zu-Bild-Software Kunst erzeugen (wie z. B. mit DALL-E 2 oder GPT-3 von Open-AI) oder Bewerbungen an einen Sprachprozessor auslagern. Trainiert mit spezialisierten Datensätzen, kann NLP hochkomplexe Probleme lösen. Diese Technologie ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, die früh in sie investieren. Für 2023 rechnen wir mit hohen Investitionen in den Markt, der eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von ca. 30 Prozent aufweist.

  1. TikTok wird die Nr. 1 für Social-Media-Werbung

Eine Milliarde Nutzer, Tendenz steigend: TikTok hat die Welt wie im Sturm erobert. Was die Werbeausgaben betrifft, liegt TikTok zwar noch hinter etablierten Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram zurück – wir gehen jedoch davon aus, dass TikTok 2023 für die meisten D2C-Unternehmen zum wichtigsten Anbieter digitaler Werbung wird. TikTok erweitert sein Werbeangebot stetig weiter. Der Hauptgrund für den Erfolg der Plattform ist der „interessenbasierte” Algorithmus – im Gegensatz zu dem „verbindungsbasierten” Algorithmus der Meta-Plattformen. Nutzer erhalten zielgerichtete Empfehlungen auf Basis ihrer App-Aktivitäten, Werbetreibende profitieren von vielen verwertbaren Informationen über ihre Zielgruppe. Der Marketingvorteil liegt in der langen Nutzungszeit (fast eine Stunde pro Tag) und dem hohen Anteil an Gen Z-Nutzern und -Influencern. Die Werbeeinnahmen von TikTok werden sich 2026 voraussichtlich auf 13,8 Milliarden US-Dollar belaufen. 

  1. Interaktive Werbung und CTV-Werbung werden zum Game Changer

In Zeiten sinkender Aufmerksamkeitsspannen und Ad-Blockern müssen Werbetreibende neue Wege finden, zu ihrem Publikum durchzudringen, ohne als störend empfunden zu werden. Sie setzen zunehmend auf Werbung, die Verbraucher direkt einbindet: Umfragen, Augmented Reality oder Game-Werbung, in denen das beworbene Spiel direkt angespielt werden kann. 

Außerdem wird Connected TV (CTV) als Werbekanal stark an Bedeutung gewinnen. CTV eröffnet Werbetreibenden attraktive Möglichkeiten: präzises Targeting, eine höhere Verweildauer und umfassende Datenerhebungsmöglichkeiten. Wir rechnen mit mehr Fusionen und Übernahmen unter Anbietern für CTV-Dienstleistungen im neuen Jahr. 

  1. Energiespar-Anwendungen und Next-Gen-Batterien zur Bewältigung der Energiekrise

Die Energiekrise kurbelt die Nachfrage nach energiesparenden Systemen für Privathaushalte an. Dazu gehören Energiemanagementsysteme, die den Verbrauch erfassen und optimierte Energiepläne erstellen, sowie Anwendungen, die helfen, den Verbrauch zu reduzieren. Die zukünftigen jährlichen Wachstumsraten für diesen Markt liegen bei bis zu 19 Prozent. Wir erwarten zudem, dass sich 2023 Festkörperbatterien als Maßstab für Elektrofahrzeuge etablieren. Im Vergleich zu Lithium-Ionen-Batterien sind diese leichter, feuerfest, lassen sich schneller aufladen und halten wechselnden Wetterbedingungen besser stand. 

  1. Der Cybersecurity-Sektor konsolidiert sich

Die explodierende Komplexität der IT-Infrastruktur hat eine Vielzahl von Schwachstellen geschaffen. Die Antwort darauf ist Zero Trust: eine Philosophie, die strenge Zugriffsberechtigungen und eine ständige Aktivitätsüberwachung für alle Benutzer und Geräte vorsieht. Diese neue Herangehensweise ist eine Abkehr von herkömmlichen Sicherheitsarchitekturen, die wenig Schutz bieten, wenn bösartige Akteure am Werk sind oder Zugangsdaten in die falschen Hände geraten. Zero Trust hat Cybersecurity bereits nachhaltig verändert. Wir rechnen für 2023 mit einem Konsolidierungsschub: Große Anbieter bieten ihren Kunden zunehmend vollständige End-to-End-Lösungen an. Kleinere Anbieter werden ihr Angebot organisch erweitern. Dabei ist Ressourceneffizienz und Rentabilität von entscheidender Bedeutung, weil viele von Ihnen bislang ihr Wachstum mit hohen Vertriebs- und Marketingkosten erkaufen.

  1. Talentmanagement gegen Kündigungswellen

Einer aktuellen Microsoft-Studie zufolge erwägen weltweit mehr als 40 Prozent der Angestellten, ihren Job zu kündigen. In dieser Umwälzung des Arbeitsmarktes nach der Pandemie müssen sich Unternehmen wie nie zuvor bemühen, Talente zu gewinnen und zu halten. Der Bedarf an modernen Tools für Recruiting, Schulungen und Mitarbeiterbindung wird daher weiter zunehmen. Wir erwarten hier die Schaffung leistungsstarker integrierter Plattformen. Diese sind besonders nützlich, um mit Frontline-Mitarbeitenden zu kommunizieren. Frontline-Berufe sind solche, die nicht am Schreibtisch verrichtet werden, sondern etwa im Einzelhandel oder in einer Fabrik. Sie machen etwa 80 Prozent der Berufe weltweit aus. Mit Technologien, um solche Mitarbeiter zu gewinnen, zu schulen und zu halten, erzielen Unternehmen eine höhere Produktivität und geringere Fluktuation. 

  1. Software als Motor der Nachhaltigkeit

Für Unternehmen ist es schwierig, ihre Umweltbilanz genau zu messen. Dabei helfen Softwarelösungen, die Verbrauch und Emissionen genau beziffern und Maßnahmen aufzeigen, um diese zu reduzieren. 2023 werden immer mehr Unternehmen Cleantech-Software einsetzen, auch bedingt durch die Energiekrise. Es ist außerdem essenziell, dass die Finanzierung von Cleantech-Unternehmen weiter anzieht: 2022 floss zwar bereits jeder vierte investierte Venture-Dollar in die Finanzierung von Klimatechnologien, doch gerade die Frühphasenfinanzierung ist noch unzureichend. Insgesamt ist die Cleantech-Branche für 2023 auf Wachstum eingestellt. Staatliche Unterstützung wird hier zudem neue Wachstumsmöglichkeiten eröffnen.

  1. Robotik ist keine Science-Fiction mehr 

Die meisten Roboter werden heute für die Automatisierung der Fertigung eingesetzt. Doch immer mehr Unternehmen setzen Cobots ein – kollaborative Roboter, die im Produktionsprozess direkt mit Menschen zusammenarbeiten. Sie übernehmen Aufgaben wie Schrauben, Schweißen oder arbeiten mit scharfen Werkstücken. Die Genauigkeit, Konfigurierbarkeit und Sicherheit von Cobots ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dank immer schnellerer Betriebssysteme und KI-gesteuertem Lernen können die Cobots sehen, hören und auf ihre Umgebung reagieren. Für 2023 erwarten wir verstärkte M&A-Aktivitäten in dieser gut finanzierten Branche. Mittelfristig werden Roboter immer stärker in unseren Alltag integriert und in einer Vielzahl von Branchen eingesetzt werden, z. B. in der Altenpflege, dem Einzelhandel und dem öffentlichen Dienst. 

  1. E-Commerce mit sozialem Charakter 

Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne beträgt nur acht Sekunden. Viele Verbraucher schließen einen Kauf nicht ab, wenn sie dafür auf eine E-Commerce-Plattform wechseln müssen. Social Commerce – der direkte Verkauf über soziale Netzwerke – erhöht die Konversionsraten erheblich. Besonders Livestream-Shopping und Gruppenkäufe werden sich weiter verbreiten. Beide Modelle stammen aus China. Beim Livestream-Shopping präsentieren Influencer oder Mitarbeiter von Unternehmen Produkte im Stream. Zuschauer können diese direkt in der jeweiligen App kaufen und müssen zu keinem E-Commerce-Shop wechseln. Beim Gruppenkauf schließen sich mehrere Verbraucher zusammen und kaufen Produkte in großen Mengen zu einem günstigeren Preis. Social Commerce wird in den nächsten vier Jahren wahrscheinlich dreimal so schnell wachsen wie der traditionelle E-Commerce.

  1. Halbleiter beherrschen (weiterhin) die Welt

Geopolitik spielt mittlerweile eine entscheidende Rolle bei der Vorherrschaft von Halbleiter-Produzenten und verschiebt das etablierte Machtgefüge. 2022 wurde der Halbleitermarkt weiter politisiert: Die USA verabschiedeten ein Gesetz, das 52 Mrd. Dollar an Zuschüssen für die heimische Halbleiterindustrie umfasst, und kündigten weitreichende Beschränkungen für die Ausfuhr nach China an. Die Auswirkungen werden viele Jahre spürbar sein. Der Markt rechnet mit einem starken Rückgang der Ausgaben für Halbleiter. Wir gehen jedoch davon aus, dass der Kampf um die technologische Vorherrschaft sowie der strukturelle Nachfragemangel bei älteren Prozessorgenerationen 2023 zu Ausgaben führen wird, die deutlich über den Markterwartungen liegen.

Über den Autor
Julian Riedlbauer ist Partner und Leiter der deutschen Niederlassung des global führenden Technologie-M&A-Beraters und -Investors GP Bullhound.  Bevor er die Leitung des deutschen Büros übernahm, war Julian Riedlbauer Geschäftsführer bei Corporate Finance Partners, einer internationalen M&A-Beratungsfirma mit den Schwerpunkten Internet, Medien und Technologie. Vor seinem Wechsel auf die Beraterseite sammelte Riedlbauer als Gründer, Unternehmer und Manager mit mehreren M&A-Deals im Internet-, IT- und TK-Sektor umfassende Erfahrung.

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Foto (oben): Shutterstock