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Nippli: Kunden-Probleme müssen nicht politisch korrekt sein
Kaum wurde die Teilnahme von Miriam Weilmünster, der Gründerin von Nippli, bei “Die Höhle der Löwen” angekündigt und ihre Produktidee wurde bekannt, gab es auch schon die erste Häme und die erste kleine Aufregung im Netz. Warum Frauen denn ihre Brustwarzen unbedingt unsichtbar machen sollten? Doch das sagt sie gar nicht, hat ohnehin nicht nur Frauen als Zielgruppe und ihre Verkaufszahlen sprechen ganz klar die Sprache der Marktakzeptanz. Ein Plädoyer für weniger Idee-Fokussiertheit.
Miriam legte einen Wahnsinns-Auftritt hin. Alle fünf anwesenden Löwen waren hin und weg von der damals 22-Jährigen, alle machten ihr ein Angebot, wollten sich noch nicht einmal batteln, sie sollte sich frei entscheiden, wem sie den Zuschlag der 20% ihrer Firmenanteile an Nippli für 90.000 Euro geben würde.
Das hätte wohl einen Tag zuvor kaum jemand gedacht, der die Vorab-Artikel zur Sendung und vor allem die zugehörigen Kommentare im Netz gelesen hatte. Wie so oft war hier der Fokus auf dem Produkt, doch viele Leser schienen über die bloße Beschreibung der Funktionalität nicht hinausgelesen zu haben – oder diese Informationen fehlten. Denn eine Gründerin, die mit 22 Jahren schon das dritte Business eröffnet, sollte schon einmal per se beeindrucken. Irgendwie scheint sie etwas zu können, das viele andere Menschen sich eigentlich wünschen: zu verstehen, wie man Probleme von Kunden löst, und entsprechende Problemlöser auch zu vermarkten.
Nun hatte sie ein neues Problem entdeckt: sich abzeichnende Brustwarzen unter dünnen Stoff. Und schon schrie die Netzgemeinde ein wenig auf. Was denn daran so schlimm sei, warum man die Nippel abdecken müsste. Muss man nicht, und das hat die Gründerin auch nie behauptet. Sie schien mit den Vorbehalten schon gerechnet zu haben, denn sie baute sogar in ihren Pitch vor den Löwen ein klares Statement ein, dass Brustwarzen etwas völlig natürliches sind und sie keinesfalls der Ansicht wäre, gerade Frauen hätten sie abzudecken – dass es aber eben manche Frauen möchten, weil sie sich wohler damit fühlen. Eigentlich traurig, dass GründerInnen in Deutschland schon vorweg ahnen müssen, welche Probleme jemand mit ihrem Produkt haben könnte und sich vielleicht sogar genötigt sehen, diesen Vorbehalten präventiv den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und irgendwie sogar ihre KundInnen zu verteidigen, warum sie dieses Produkt nutzen. Man muss sich fragen, ob wir wirklich in einer so verstockten Gesellschaft leben, die einfach nicht verstehen will, dass Probleme subjektiv sind und nicht immer politisch korrekt. Oder ob Brustwarzen echt noch ein Thema sind, bei dem zu viele Menschen Schnapp-Atmung bekommen, weil es ja so verrucht ist. Beides ist so gar nicht 2022-würdig.
Wenn Frauen keinen BH tragen wollen, aber auch nicht, dass sich ihre Brustwarzen durch die Kleidung abdrücken, ist es etwas Natürliches und Sinnvolles in einer Marktwirtschaft, dass dafür eine Lösung angeboten wird. Wer das Problem nicht hat, muss dieses Produkt eben nicht kaufen.
Bezeichnend war dann auch, als Carsten Maschmeyer praktisch direkt fragte, ob es denn auch für Männer, insbesondere Sportler geeignet sei, da er sich als Läufer noch gut an blutig aufgeriebene Brustwarzen erinnerte. Spätestens jetzt sollte jedem, der das Problem anfangs so gar nicht verstanden hatte, klar geworden sein, dass es zu kurz gedacht ist, nur den allerersten Eindruck zu bewerten. Und sich an dem festzubeißen, was man denkt, was ein Produkt ist.
Dieser Fall weist auch ein starke Verbindung zu einem der grundsätzlichen Probleme in der deutschen Gründerlandschaft auf: Menschen bewerten zu gerne Ideen. Und das dann auch noch viel zu früh. Auch viele selbsternannte ExpertInnen und Gründer-Coaches erzählen frühen Startup-Teams nur allzu gerne, was sie von einer Idee halten.
Wie man am Nippli-Fall sieht, ist das totaler Quatsch. Nur allzu schnell versteht man ein Produkt nicht richtig oder vergisst einen wichtigen Aspekt. Oder man gehört nicht zur Zielgruppe und kann überhaupt nicht beurteilen, ob ein Problem gelöst wird und entsprechen eine Zahlungsbereitschaft besteht.
Die junge Gründerin liefert gerade für Letzteres dann aber beeindruckende Belege: Über 26.000 Euro Umsatz in nur 1,5 Monaten, das ganze ohne Marketing-Budget, sagen ganz klar: ja, Menschen empfinden sich abzeichnende Brustwarzen als ein Problem und möchten sie abdecken. Egal, ob andere das gut finden oder nicht. Tatsächlich hätte Nippli sogar noch mehr verkauft, wenn nicht mehrfach die Ware ausgegangen wäre.
Dagmar Wöhrl will dann aber auch ganz genau wissen, wer ihr geholfen hat, nicht nur ein am Markt hervorstechendes Produkt zu entwickeln, sondern auch noch ein solch erfolgreiches Marketing aufzusetzen. Die Antwort ist immer die gleiche: Miriam hat sich alles selbst erarbeitet.
Denn genau das ist der entscheidende Faktor: nicht die Idee ist ausschlaggebend, sondern wie GründerInnen sie umsetzen. Investoren sagen auch gerne: “It’s all about execution.” Nur die Umsetzung ist entscheidend, die Idee alleine ist nichts wert. Doch irgendwie scheint das niemand gerne zu hören.
Wer sich schon eine Weile in der Gründerwelt aufhält, wird allerdings schon einige vermeintlich großartige Ideen erlebt haben, die es nicht geschafft haben. Oder eher seltsame Ideen, die durch die Decke gingen. Man erinnere da nur an Airbnb mit seinen anfänglichen Luftmatratzen und die heute “schlechteste Idee, die je funktioniert hat”.
Dass Miriam keine schlechte Idee hatte, haben ihr ihre Kunden bereits bestätigt. Dass sie eine großartige Gründerin ist, die die “Execution” voll im Griff hat, bestätigten ihr diese Woche die Löwen überschwänglich die Löwen.
Dass die Vorverurteiler aus dieser eindrücklichen Demonstration, was wirklich hinter einem vermeintlich unsinnigen oder sogar unerwünschten Produkt stecken kann, lernen werden, ist wohl eher eine Hoffnung, die unerfüllt bleiben wird. Nipplis neuer Investor Carsten Maschmeyer – wie auch die anderen Löwen – sind aber vielleicht auch deshalb so erfolgreich, weil sie zu eben jenen Menschen nicht gehören. Sondern versuchen, sich ein vollständiges Bild zu machen, bevor sie urteilen, und generell den Fokus auf die GründerInnen legen – nicht auf die rohe Idee.
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