#Interview

“Wir kamen gar nicht in die Versuchung große Mengen an Geld zu benötigen”

HRForecast, 2014 gegründet hilft Unternehmen mit Hilfe von Big Data bessere Personalentscheidungen zu treffen. Inzwischen arbeiten 60 Mitarbeiter:innen für HRForecast. Auf Investorengelder haben die Gründer bisher verzichtet.
“Wir kamen gar nicht in die Versuchung große Mengen an Geld zu benötigen”
Montag, 7. Februar 2022VonAlexander Hüsing

Im Jahre 2014 gründeten Christian Vetter und Florian Fleischmann, die zuvor bei Siemens gearbeitet haben, das Unternehmen HRForecast. “Fast alle Unternehmen befinden sich in einem Wandel. Die Geschäftsmodelle verändern sich und die Unternehmen müssen wissen welche Fähigkeiten und Jobs in Zukunft relevant bleiben oder werden. Sie stellen sich die Frage, wie sie mit der bestehenden Belegschaft diesen Wandel schaffen. Das beantworten wir”, erklärt Gründer Vetter das Konzept des Münchner Unternehmens.

Inzwischen arbeiten 60 Mitarbeiter:innen für HRForecast. Auf Investorengelder haben die Jungunternehmer bisher verzichtet. “Das bringt uns in die äußerst komfortable Situation, dass wir nach wie vor alles selbst entscheiden können und somit sehr schnell bei den Entscheidungen sind. Das fühlt sich sehr gut an schon jetzt in einer Scale-up-Phase zu sein und immer noch komplette Kontrolle zu haben”, sagt der HRForecast-Macher.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Vetter außerdem über Veränderungen, Remote First und Geschwindigkeit.

Wie würdest Du Deiner Großmutter HRForecast erklären?
Meine Oma liest oft Zeitung. Da geht es ab und zu auch um große Unternehmen und deren Arbeitsplätze. Deswegen würde ich es meiner Oma folgendermaßen erklären: Im Regelfall, wenn ein Unternehmen sich verändert, führt es oft dazu, dass eine bestehende Person aus dem Unternehmen entlassen wird, weil sie nicht mehr gebraucht wird. Gleichzeitig wird eine neue Person eingestellt, weil es auch neue Bedarfe gibt. Das bedeutet, es gibt zwei Veränderungen im Unternehmen, auch bekannt als Hire & Fire. Wir versuchen daraus, möglichst nur eine Veränderung zu machen – nämlich eine bestehende Person in eine neue Rolle entwickelt. Eins ist bekanntlich weniger als zwei – das weiß auch meine Oma. So ist es für meine Oma offensichtlich, dass sowohl das Unternehmen davon profitiert, weil die Anstrengungen und Kosten für Einstellungen und Freisetzungen entfallen, als auch die Mitarbeiter, die gezielt gefördert und weiterentwickelt werden.

Wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Fast alle Unternehmen, unabhängig von der Branche und Größe, befinden sich in einem Wandel. Die Geschäftsmodelle verändern sich und die Unternehmen müssen, mehr denn je, wissen welche Fähigkeiten und Jobs in Zukunft relevant bleiben oder werden. Sie stellen sich die Frage, wie sie mit der bestehenden Belegschaft diesen Wandel schaffen. Das beantworten wir, indem wir globale Daten über Arbeitsmärkte sammeln und forecasten – deswegen HRForecast – welche Jobs und Skills für das konkrete Unternehmen relevant sind. Durch unsere Apps ermöglichen wir es den Unternehmen zu modellieren, wie das konkret im Unternehmen quantitativ – wie viele Mitarbeiter ich brauche – und qualitativ – welche Skills die Mitarbeiter haben sollen – aussehen kann. Das Unternehmen erkennt somit, welche Lücken bestehen und wir unterstützen dabei, die Lücken gezielt zu schließen. Wir verdienen dabei Geld durch Professional Services und durch SaaS Lizenzen.

Wie ist überhaupt die Idee zu HRForecast entstanden?
Es gibt tatsächlich ein Lebensereignis, das mich geprägt hat. Ich habe bei Siemens in einer Finanzfunktion gearbeitet, als das Unternehmen ankündigte, 2.000 Mitarbeiter zu entlassen. Meinem Mitbegründer Florian Fleischmann – er war damals mein Kollege – und mir wurde damals aus erster Hand klar, wie belastend so eine Situation für die Mitarbeiter*Innen hinter den Zahlen sein kann. Uns wurde auch klar, dass das Unternehmen und insbesondere die Personalabteilung mit einer besseren Personalplanung eine solch bedauernswerte Situation hätte verhindern können.
So wurde die Idee zu HRForecast geboren. Wir haben das Unternehmen 2014 gegründet, um nachhaltige, datengetriebene HR-Management-Tools zu entwickeln.

Wie hat sich HRForecast seit der Gründung entwickelt?
Seit 2014 sind wir sprunghaft gewachsen. Allein in den letzten vier Jahren hatten wir ein Umsatzwachstum von mehr als 1.000 %, was uns 2021 auf den fünften Platz der Deloitte Technology Fast 50 brachte. Unser Team ist von zwei Mitarbeiter*Innen im Jahr 2014 auf über 60 im Jahr 2022 gewachsen. In den nächsten drei Jahren werden wir 16,8 Millionen Euro in die Entwicklung unserer intelligenten Tools investieren und unsere Expansion in die Regionen Europa, Nordamerika und APAC vorantreiben.

Ihr habt vier Büros, in München, Bremen, Kiew und Singapur. Wie ist es zu dieser Aufteilung gekommen?
Wir waren schon Remote-First, bevor es zum Mainstream wurde. Das hat sich eigentlich von selbst ergeben: Der Hintergrund ist, dass mein Mitgründer, Florian, in Bremen wohnt, während ich in München lebe. So haben wir zwei Standorte in Deutschland aufgebaut. Wir haben schnell verstanden, dass es Sinn macht, potentielle Talente in Europa und darüber hinaus anzusprechen, weil die Skills und Charaktere, die wir suchen, weltweit beliebt sind. Da wir selber Standortanalysen für unsere Kunden machen, haben wir das Potential in der Ukraine erkannt und dort gezielt Mitarbeiter*Innen aufgebaut. 2020 nahmen wir am German Accelerator Southeast Asia (GASEA) teil und so kam es zu unserer weiteren Expansion und unserem Büro in Singapur. Aber wir sind nicht auf diese Standorte beschränkt und suchen auf der ganzen Welt nach Talenten.

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche HR-Startups an den Start gegangen. Ist der Markt groß genug für all diese Unternehmen?
Ich denke, die Vielzahl aller HR-Startups schafft nur einen gesunden Wettbewerb und kommt allen zugute, auch den Endkunden und den Startups selbst. Was HRForecast betrifft, wir blicken nicht zurück. Wir erkennen klar unseren eigenen Weg und bewegen uns auf unser Ziel zu: HR durch Technologie greifbarer, datengesteuert und menschlicher zu machen.

Viele eurer jungen Konkurrenten setzen massiv auf Investorengelder, um schneller zu wachsen. War das für euch nie ein Thema?
Wir stehen den traditionellen Startup-Welten ein bisschen skeptisch gegenüber, weil man dort doch sehr viel von Ideen und Visionen spricht ohne konkrete Produkte anzubieten. Wir haben uns dagegen am Anfang die Zeit gelassen, um uns erstmal um das Produkt zu kümmern. Wir waren dann auch von Anfang an profitabel und kamen gar nicht in die Versuchung unbedingt gleich große Mengen an Geld zu benötigen. Dazu kam auch, dass wir schnell sehr große Kunden akquirieren konnten. Mit denen konnten wir so partnerschaftlich zusammenarbeiten, dass sie durch die enge Zusammenarbeit – die oft auch in die Umsetzung und Finanzierung von neuen Produkten führt – quasi zu unseren Investoren geworden sind.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren bei euch so richtig schief gegangen?
Wir haben zu konservativ geplant und wussten nicht, dass unsere Lösung so viel Abnehmer findet. Deswegen ist unser größtes Problem aktuell, dass wir nicht genug Personal haben
Wir haben unseren Kunden auch lange Zeit sehr viel angeboten und unser Portfolio war nicht klar definiert: Von Analytics, Dashboards bis hin zu fertigen Software-Lösungen. Deswegen haben wir an der Stelle etwas an der Geschwindigkeit verloren. Das hat aber gleichzeitig auch die positive Seite: Dadurch, dass wir maßgeschneiderte und breitere Lösungen angeboten haben, sind wir auch schneller an das große Kundenspektrum gekommen. Der zweite große Vorteil ist die enge vertrauliche Zusammenarbeit mit unseren Kunden. Wir können uns bei der Produktentwicklung direkt an sie orientieren und es hilft natürlich enorm. Somit haben wir es geschafft, mit etwas Verspätung, aber mit dem besseren Fit unser Portfolio perfekt auf die Fragen von großen Unternehmen anzupassen.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Was wir auch tatsächlich sehr gut geschafft haben, ist auf Multimillionen Revenue zu kommen, ohne ein Cent an Investoren oder Bankengeld zu benötigen. Das bringt uns in die äußerst komfortable Situation, dass wir nach wie vor alles selbst entscheiden können und somit sehr schnell bei den Entscheidungen sind. Das fühlt sich sehr gut an schon jetzt in einer Scale-Up Phase zu sein und immer noch komplette Kontrolle zu haben.

Wo steht HRForecast in einem Jahr?
Wir entwickeln uns stark in Richtung einer End-to-End Lösung für strategische Personalplanung und Skill Management. In einem Jahr werden wir dafür noch besser wahrgenommen und werden es auch schaffen, unsere Lösung noch besser zu integrieren und globale Daten einem noch breiteren Publikum noch einfach zugänglich zu machen. Unser Ziel ist es in einem Jahr ein hoch skalierbar End-to-End Anbieter für Workforce Transformation und strategische Personalplanung in Deutschland und darüber hinaus zu sein.

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Foto (oben): HRForecast

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.