#Interview

“Kein Plan überlebt die Begegnung mit der Realität”

"Bei den Kriterien für eine Investmententscheidung steht an den ersten drei Stellen das Team. Ein gutes Team wird jede Idee so lange drehen, bis sie passt", sagt Daniel Wild, der mit Tiburon und Mountain Alliance in Startups in verschiedenen Phasen investiert.
“Kein Plan überlebt die Begegnung mit der Realität”
Donnerstag, 13. Januar 2022VonAlexander

Serienunternehmer Daniel Wild investiert mit Tiburon und Mountain Alliance seit Jahren in junge und aufstrebende Startups bzw. Grownups. “Für Personen, die etwas schaffen und gestalten möchte, ist die VC-Branche eine der wenigen Bereiche in der Businesswelt, in denen sie ihre kreative Ader ausleben können”, sagt Wild zu seiner Motivation. Im VC-Interview mit deutsche-startups.de spricht der Venture Capitalist außerdem über verpasste Investmentchancen, Gründungserfahrungen und Präsentationen.

Reden wir über Geld. Was genau reizt Dich daran, Geld in Unternehmen zu investieren?
Am Venture Capital reizt mich am meisten, dass etwas entsteht, was vorher nicht da war. Für Personen, die etwas schaffen und gestalten möchte, ist die VC-Branche eine der wenigen Bereiche in der Businesswelt, in denen sie ihre kreative Ader ausleben können. Es gibt eine Gründungsidee, aber erst durch die Beteiligung entsteht ein Unternehmen, das überdauert. Das Entstehen einer Firma macht mir noch viel mehr Spaß als die Rendite.

Wie wird man eigentlich Venture-Capital-Geber – wie bist Du Venture-Capital-Geber geworden?
Ich habe meine Firma 1999 gegründet, da ging es gerade erst los mit Venture Capital in Deutschland. Und als wir mit getmobile nach der Dotcom-Blase immer noch da waren, wurden wir für andere Gründer interessant. Die haben dann gesagt: “Ihr seid ja immer noch da, wie geht das denn?”. Ich kam also eher über die Schiene als Gründercoach in das Investmentgeschäft.

In der VC-Welt wird oftmals mit Millionenbeträgen hantiert, wird Dir da nicht manchmal mulmig zumute – bei diesen Summen?
Da habe ich auf jeden Fall zwei Hüte auf. Was mir Spaß macht, ist ja wie gesagt der Aufbau von Startups. Das sind Hochrisiko-Investments, das geht nur mit privatem Geld. In solche Early-Stage-Projekte investiere ich mit meinem Unternehmen Tiburon daher nur Geld, das ich, um es salopp zu sagen, auch verlieren kann. Da reden wir dann allerdings von Summen im Bereich von 50.000 bis 100.000 Euro. Als institutioneller Investor mit Mountain Alliance ist das ein anderes Geschäft. Da investieren wir in Scale-ups, die sind schon viel weiter und es sind auch mehr Partner an Bord. Die Summen sind dann natürlich größer als bei einem Startup und das Risiko ist gleichzeitig deutlich geringer.

Was sollte jede Gründerin, jeder Gründer über Euch – als VC – wissen – wie etwa grenzt Ihr Euch von anderen Investoren ab?
Mit Tiburon haben schon sehr lange Erfahrung im VC-Bereich; unser erstes Investment war 2001. In der Zeit haben wir verschiedene Phasen erlebt, die ein Startup seit der Gründung durchleben kann. Wir haben auch selbst gegründet und kennen daher die Herausforderungen im Gründungsprozess. Als Investor sind wir daher sehr geduldig und begleiten ein Unternehmen auch über lange Phasen. Das liegt auch an der grundsätzlichen Unternehmensstruktur: Tiburon ist kein Fond mit einem Fond-Ende, sondern investiert Eigenkapital. Und daher können wir spannende Projekte auch zehn Jahre und länger begleiten. Zudem haben wir in bestimmten Branchen eine hohe Expertise und eigene Erfahrung. Ich komme mit meinem ersten Unternehmen getmobile selbst aus dem B2C-Bereich, darüber hinaus haben wir auch sehr viel in B2B-SaaS Lösungen investiert.

Welche Unterstützung bietest Du – neben Geld?
Wir haben bei Tiburon ja alle eigene Gründungserfahrung und kennen die Schwierigkeiten, die einem Startup in der Early-Stage-Phase begegnen können. Ich habe erwähnt, dass ich selbst eher aus der Coaching-Schiene komme und das ist auch genau das, was ich meinen Gründerteams mitgeben kann: meine eigene Erfahrung und einen Blick von außen auf das Projekt. Wenn es an einer Stelle dann doch mal hakt und nicht so vorangeht, können wir gemeinsam oft ganz gut die Ursache finden und eine Strategie entwickeln.

Wie organisiert Ihr den Austausch mit Euren Portfolio-Firmen, welche Tools nutzt Ihr?
Wenn wir Erstinvestoren sind, einigen wir uns mit den Unternehmen auf ein Reporting. Meistens ergibt sich das allerdings ganz automatisch. Grundsätzlich haben wir studentische Hilfskräfte, die die verschiedenen Unternehmen monitoren und die aktuellen Themen für uns zusammenfassen. Je nach Phase, ist der Austausch aber mehr oder weniger intensiv. In der Anfangsphase stehen wir im engen Kontakt zu den Gründern, geben diese Rolle dann aber oft an die Investoren ab, die nach uns dazu kommen. Es sind also bei einem Portfolio meistens ein Drittel der Unternehmen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen.

Was ist wichtiger: Das Team oder die Idee?
Das Team! Bei den Kriterien für eine Investmententscheidung steht an den ersten drei Stellen das Team. Ein gutes Team wird jede Idee so lange drehen, bis sie passt. Während ein schlechtes Team auch die beste Idee nicht exekutieren wird.

Wie sieht das ideale Gründerteam aus bzw. gibt es überhaupt das ideale Gründerteam?
Für uns ist der Founder-Market-Fit ganz wichtig. Das Team muss so aufgebaut sein, dass zumindest einer der Gründer tiefes Wissen und relevante Erfahrung in dem Markt hat, in dem das Team gründet. Wenn ein Startup Gebrauchtwagen verkaufen will, sollte einer auf jeden Fall aus dem Gebrauchtwagenhandel kommen, damit er die wirklichen Probleme der Branche kennt.
Das kann ich übrigens aus eigener Erfahrung bestätigen: Weder ich noch meine Co-Gründer hatten eigene Erfahrung im Mobilfunkmarkt, als wir getmobile gegründet haben. Wir haben es zwar geschafft, hätten aber mit eigener Branchenkenntnis definitiv schneller sein können.

Wie entscheidet Ihr, ob Ihr in ein Startup investiert: Bauchgefühl, Daten, Beides oder etwas ganz anderes?
Bei Tiburon sind wir zwei Partner, Felix Artmann und ich. Wenn wir einstimmig der Ansicht sind: “Das machen wir!”, dann reicht das schon. Am Ende ist die Frage: Überzeugt uns das Team? Und glauben wir, dass das Geschäft so groß werden kann, dass es für uns ein wirklich spannender Exit ist? Daran müssen wir glauben, wenn wir in ein Startup investieren.

Nicht jedes Startup läuft rund, nicht jedes wird ein Erfolg. Was macht Ihr, wenn eine Eurer Beteiligungen in Schieflage gerät?
Wie gesagt, wir sind geduldige Investoren. Wenn wir helfen können, helfen wir gerne. Auch mit Geld, wenn wir nach wie vor denken, dass die Chancen gut stehen. Wir haben auch schon viel nachinvestiert in Firmen. Aber natürlich versucht man, kein gutes Geld schlechtem Geld hinterher zu werfen. Wenn ich aber einen “Fehler” nennen müsste, würde ich sagen, wir haben vielleicht schon etwas zu oft nachinvestiert.

Und woran merkt Ihr, dass Ihr bei einem Startup die endgültige Reißleine ziehen müsst?
Wenn einer vom Gründungsteam nicht integer ist, es also um Täuschung oder ähnliches geht, dann ist sofort Schluss. Das haben wir bei über hundert Investments aber sehr, sehr selten erlebt. Ich glaube, einmal in den letzten zwanzig Jahren. Ansonsten kann natürlich das Team wenig dafür, wenn sich der Gesamtmarkt verändert. Anfang 2020 war uns wohl allen klar, dass es mit Corona ein schwieriges Jahr wird. Aber wir hatten uns auch darauf eingestellt, möglichst alle Firmen durch diese schwierige Phase durchzubringen.

Wie wichtig und bindend ist ein Businessplan?
Frei nach Napoleon: Kein Plan überlebt die Begegnung mit der Realität. Klar ist, die Realität kann man nie abbilden. Ich habe nie erlebt, dass Pläne so exekutiert wurden, wie es ursprünglich gedacht war. Klar ist aber auch, dass es wichtig ist, eine Erwartung und gewisse KPIs zu haben, an welcher der Investor das Team messen kann. Wenn sich Umstände ändern, lassen sich die Pläne natürlich anpassen, man sollte den Businessplan aber nicht jeden Monat ändern.

Wie spricht man als Gründer:in am besten einen Investor an?
Das ist ja heute super standardisiert und auch die deutsche VC-Szene ist so groß wie nie zuvor, mit Investoren und Fonds in allen Phasen. Man findet die Investoren also relativ einfach und sie sind online super einfach ansprechbar. Das ist auch für uns am einfachsten, wenn man einfach eine E-Mail mit einer Präsentation bekommt, in der die wichtigsten Sachen drinstehen. Wir kriegen zwischendurch immer noch Briefe von irgendwelchen Beratern, die Geld für ihre Kunden suchen. Das geht meistens ungeöffnet in die Tonne. Um aus der Masse hervorzustechen, sollte die Präsentation top auf den Punkt sein und alle wichtigen Fragen beantworten. Darüber hinaus sind wir als Venture Capitalists vor allem neugierig und investieren gerne in neue Dinge. Die x-te Version von einem Produkt, das schon auf dem Markt ist, ist für uns weniger interessant.

Was sollten Gründer:innen vor Investoren niemals sagen oder machen?
Das absolute No-Go für mich ist, wenn ich einen Gründer frage, wie lange er das Projekt schon Vollzeit macht und als Antwort kommt: “Ich arbeite noch bei XY, aber wenn wir finanziert sind, dann steig ich Full-Time ein.” Es gibt wenige KO-Kriterien für mich, aber so ein Satz ist eines. Jemand der so wenig an seine Idee glaubt, dass er nicht seine volle Zeit investieren will, kann nicht erwarten, dass ich mein Geld investiere.

Gibst Du uns zum Abschluss noch einen Einblick in Dein bzw. Euer Anti-Portfolio – bei welchen, jetzt erfolgreichen, Firmen bist Du, seid Ihr leider nicht eingestiegen?
Oh, da gibt es einige! Zum Beispiel Tier. Ich habe in Lawrence Leuschners erste Firma investiert und Lawrence hat mich sehr früh gefragt, ob ich nicht in Tier investieren will. Und ich war persönlich kein Roller-Fan und habe das auch ehrlich gesagt nicht richtig verstanden. I didn‘t do it – großer Fehler. Flash Coffee: Freunde von mir investierten in eine super schnell wachsende Kaffeekette in Asien. Ich hätte auch investieren können, habe es nicht getan. Und das Ding läuft super, die sind jetzt bei einhundert Bars. Ich fand es nicht originell genug, aber das war ein super Deal, den ich verpasst habe. Last but not least: HomeToGo von Nils Regge habe ich verpasst. Ich war einer der ersten Investoren bei Trivago und habe nicht gedacht, dass sich der Ferienimmobilienmarkt nochmal so stark entwickelt wie der Hotelmarkt.

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Foto (oben): Mountain Alliance

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.