#Interview

“Beim Falschmachen haben wir bisher alles richtig gemacht”

troy aus Lippstadt digitalisiert die Inkassobranche. "Aufgrund unserer vorherigen Karrierestationen wussten wir sehr genau, was im Inkasso bis dato nicht gut lief. Deshalb haben wir uns entschieden, Inkasso mit einer 'Tech-first Philosophie' neu zu entwerfen", sagt troy-Gründer Philip Rürup.
“Beim Falschmachen haben wir bisher alles richtig gemacht”
Freitag, 29. Oktober 2021VonAlexander Hüsing

Das FinTech troy möchte sich als Unternehmen für “kundenfreundliches, digitales Inkasso” etablieren. Die Jungfirma setzt dabei auf “Tools und Methoden aus Marketing und CRM und verbindet sie mit Daten und Machine Learning”. Das Startup wurde 2017 von Philip Rürup und Till Völzke in Lippstadt gegründet. “Weil wir im ‘Einzugsgebiet’ einige traditionelle Inkassounternehmen haben, deren beste Mitarbeiter sich nach einer modernen und kundenfreundlicheren Aufgabe mit besserer Unternehmenskultur sehnen, ist dieser Standort ideal”, sagt Gründer Rürup.

Der Versicherer HDI, der zum Talanx-Konzern gehört, eCAPITAL, BORN2GROW, Avala Capital und Seed X Liechtenstein investierten bereits eine siebenstellige Summe in troy. “Wir erhalten von unseren Auftraggebern monatlich eine deutlich fünfstellige Zahl an neuen Inkassofällen. Wir wachsen schnell und gesund, bei der für Tech-Startups üblichen Rule-of-40 sind wir konsequent dreistellig”, führt Rürup weiter aus.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der troy-Macher außerdem über verständliche Sprache, Hilfsprogramme und Wettbewerbsvorsprünge.

Wie würdest Du Deiner Großmutter troy erklären?
Also, Oma: Wenn du eine Rechnung, zum Beispiel deines Telefonanbieters, nicht bezahlst, bekommst du Erinnerungen. Wenn du auch die übersiehst, bittet der Telefonanbieter einen Rechtsanwalt oder ein Inkassounternehmen um Hilfe. Während Anwälte bei allen möglichen Rechtsstreitigkeiten helfen, haben sich Inkassounternehmen auf ausbleibende Zahlungen spezialisiert. Das Inkassounternehmen meldet sich dann bei dir, um zu klären, wie und wann du zahlen wirst. Wie bei Anwälten klingt das bei normalen Inkassounternehmen unfreundlich, bürokratisch und manchmal sogar drohend. Wir bei troy machen das anders. Der Großteil der Menschen hat die Zahlung tatsächlich nur übersehen, oder ist zeitweise etwas klamm. Deshalb melden wir uns freundlich bei dir und sorgen in verständlicher Sprache dafür, dass du genau weißt, worum es geht. Das fühlt sich für Kunden viel besser an, weshalb sie im Vergleich zu traditionellen Inkassoprozessen deutlich schneller zahlen. Das freut dann auch den Telefonanbieter. Und weil wir uns so gut um dich kümmern, möchtest du vielleicht weiter Kundin bei dem Telefonanbieter bleiben. Das ist für den Telefonanbieter dann der Hauptgewinn, weil er sich ja ursprünglich viel Mühe gegeben hat, dich als Kundin zu gewinnen. Bei troy machen wir das freundliche Inkasso nicht nur für Telefonanbieter, sondern auch für Versicherungen, Zeitschriftenverlage, Energieversorger und Internetversender; vor allem für Unternehmen, die nicht nur auf wenige Zahlungen warten, sondern auf viele Tausend. Und wir machen dies für die Länder Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien, Luxemburg und demnächst auch für Frankreich.

Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, in den vergangenen Jahren irgendwie verändert?
Bei troy arbeiten viele Menschen, die das Inkassogeschäft sehr genau kennen und wissen, was da bislang schief lief. Deshalb mussten wir unser Geschäftsmodell bislang nicht verändern, und wir haben noch viele Ideen, wie wir die Inkasso-Erfahrung weiter verbessern werden.

Wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Wie bereits gesagt, ist Inkasso ähnlich zu dem Geschäft von Rechtsanwälten. Wenn du jemandem unrecht tust und der einen Anwalt einschaltet, musst du die Kosten seines Anwalts tragen. Das ist auch bei dem Inkasso so. Wenn du als Kund:In trotz Erinnerungen nicht zahlst, musst du die von dir verursachten Inkassogebühren zahlen. Das ist dann unsere Vergütung für unsere Inkasso-Services. Wie hoch die Inkassogebühren sein dürfen, ist gesetzlich reguliert. Als Tech-Unternehmen gelingt es uns, die Prozesse umfangreich zu automatisieren, damit die Inkassogebühren möglichst gering bleiben und für uns dann noch wirtschaftlich sind.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Eigentlich hatten alle Experten erwartet, dass die Corona-Krise wegen Insolvenzen, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit zu einer Explosion von Inkassofällen führt. Das war aber nicht der Fall. Hier haben die Hilfsprogramme der Regierungen geholfen. Aber man sieht auch, dass Menschen weniger Geld ausgegeben haben, weil sie nicht in den Urlaub gefahren sind oder für das Home-Office nur noch Kleidung für den Oberkörper gekauft haben. Beides hat dazu geführt, dass die Anzahl der Inkassofälle rückläufig ist. Dass wir trotzdem so stark wachsen liegt daran, dass wir viele neue Mandanten gewinnen und uns unsere bestehenden Mandanten einen immer größeren Anteil ihrer Inkassofälle anvertrauen. Und das liegt daran, dass alle Kolleg:Innen der troy-Family auch im Home-Office Vollgas geben.

Wie ist überhaupt die Idee zu troy entstanden?
Aufgrund unserer vorherigen Karrierestationen wussten wir sehr genau, was im Inkasso bis dato nicht gut lief. Deshalb haben wir uns entschieden, Inkasso mit einer “Tech-first Philosophie” und “Customer Experience Best Practices” neu zu entwerfen. Primäres Ziel war, die Inkasso-Erfahrung für Kunden so angenehm wie möglich zu gestalten, um sie für unsere Auftraggeber als Kunden zu erhalten. Dass dies letztendlich auch zu signifikanten Verbesserungen der Zahlungsquoten führt, hat selbst uns etwas überrascht. Die Kombination dieser Vorteile nennen wir den “troy_effect” und er ist eine riesige Motivation, schnell möglichst viele Unternehmen und ihre Kunden davon profitieren zu lassen.

Euer Firmensitz ist Lippstadt in der Nähe von Paderborn. Ist das jetzt ein Vor- oder ein Nachteil?
Unser Firmensitz ist in Lippstadt, dort ist auch unser Operations-Standort. Weil wir im “Einzugsgebiet” einige traditionelle Inkassounternehmen haben, deren beste Mitarbeiter sich nach einer modernen und kundenfreundlicheren Aufgabe mit besserer Unternehmenskultur sehnen, ist dieser Standort ideal. Zusätzlich haben wir IT-Engineering-Standort in Hamburg, mit dem es uns gelingt, weltweit großartige Tech-Talente für uns zu gewinnen. Auch in Holland haben wir einen Standort, an dem wir unser Benelux-Geschäft betreiben und weiterentwickeln.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist dein Startup inzwischen (Mitarbeiter, Umsatz, andere Kennzahlen)?
Die troy-Family besteht aktuell aus circa 50 Kolleg:innen, bis zum Jahreswechsel werden es voraussichtlich circa 70 Mitarbeiter:innen sein. Wir erhalten von unseren Auftraggebern monatlich eine deutlich fünfstellige Zahl an neuen Inkassofällen. Wir wachsen schnell und gesund, bei der für Tech-Startups üblichen Rule-of-40 sind wir konsequent dreistellig. Von unseren Mandanten bekommen wir Bestnoten und sind aktuell bei einem NPS von 72. Die Kunden unserer Mandanten befragen wir ebenfalls nach Abschluss des Inkasso-Prozesses, sie geben uns 4,2 von 5 Sternen. Wir dürfen uns sogar regelmäßig über persönliche Nachrichten von Kunden freuen, die sich für die freundliche Ansprache und die gute Transparenz bedanken. Das ist wohl einzigartig im Inkasso. Zusätzlich versuchen wir, unseren USP im Wettbewerbsvergleich zu quantifizieren. Dafür befragen wir Unternehmensentscheider nach Webinaren und Vertriebs-Demos, ob troy “Customer Experience-Führer für Finanzprozesse” ist. Da wir ausschließlich Inkasso-Entscheider in Großunternehmen befragen, sind wir besonders stolz, dass wir aktuell bei der mutigen Frage nach Marktführerschaft bei 9,0 von 10 liegen.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Mit dieser Frage tue ich mich immer etwas schwer. Ich bin tief überzeugt davon, dass Probleme und Fehler Teil des Prozesses zum Erfolg sind. Deshalb leben wir nach dem Prinzip “fail fast, learn fast”, weshalb es bei uns bislang noch nie richtig “geknallt” hat. Eine Ausnahme von dem Prinzip machen wir bei Datenschutz und IT-Security, da wir als Inkassounternehmen mit sehr sensiblen Daten arbeiten. Hier erreichen wir in Benchmarks Spitzenwerte, insofern bin ich davon überzeugt, dass wir auch weiter vermeiden können, dass hier etwas schief geht.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Das finde ich genauso schwierig. Mit Blick auf “fail fast, learn fast” fühle ich mich am wohlsten mit der Antwort: Beim Falschmachen haben wir bisher alles richtig gemacht.

Wo steht troy in einem Jahr?
Wir haben gerade eine Reihe großer Mandanten gewonnen, mit denen wir demnächst live gehen. Das Wachstum ist also schon sicher. Außerdem haben wir aktuell im Vertrieb eine Erfolgsquote von 75 %, wir werden also weitere tolle Mandanten dazugewinnen. Wir werden für unsere Mandanten in zwei bis drei weitere Länder expandieren. Und wir werden weiter intensiv in Customer Experience investieren, um unseren Wettbewerbsvorsprung noch auszubauen. Und wir werden in den nächsten 12 Monaten genauso viel Spaß haben, wie in der Vergangenheit.

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Foto (oben): troy

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.