#Gastbeitrag
Was Gründer:innen bei der Expansion ins Ausland beachten sollten
Die U-Bahnen sind zum Bersten gefüllt, aber niemand hört laut auf dem Handy Musik oder sitzt breitbeinig auf mehreren Plätzen. Genauso im Büro: Eher ruhige und sachliche Gespräche, kein lautes und gellendes Lachen, das durch die Flure hallt.
Nein, so ist es absolut nicht in meiner aktuellen Heimat Hamburg und in unserem Büro bei der Digitalberatung Etribes. Diese Eindrücke habe ich in meiner Zeit als CEO von GLOSSYBOX Japan in Tokio gesammelt, als ich über ein Jahr in einer für mich fremden Kultur mit einer für mich fremden Sprache gelebt und gearbeitet habe.
Interkulturelle Business-Umfelder haben mich schon zuvor interessiert, als ich in Frankreich und Australien gelebt und gearbeitet habe. Aber die Relevanz, die praktische Ausführung dessen und der Einfluss auf den Erfolg eines Teams, sind mir erst in dieser Zeit richtig klar geworden – und auch, welche Hürden und Herausforderungen ich vorab überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Denn nur wenn man die Menschen im Team und ihre kulturelle Prägung versteht, lässt sich eine Produkteinführung oder auch jedwedes andere gemeinsame Projekt erfolgreich gestalten.
Gründer:innen, die eine Expansion ins Ausland planen und jede:r, der/die in einem multinationalen Team arbeitet, sollte daher dieser menschlichen Ebene rechtzeitig die zwingend notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Besonders drei Punkte habe ich als wichtig zu verstehen gelernt: die Bedeutung von Hierarchien, die Relevanz von kulturellen Support sowie ein Verständnis für den Leistungsbegriff. Dabei ist meine Japan-Erfahrung stellvertretend für die vielen Kulturen, die von unserer deutschen abweichen.
Das Verständnis von Hierarchien in Arbeitsbeziehungen verstehen
In vielen deutschen Unternehmen hat sich nicht nur mehr und mehr das „Du“, sondern auch ein lockerer Umgangston insgesamt durchgesetzt. Auch dank diesem soll es den Kolleg:innen erleichtert werden, in den Austausch zu kommen, Feedback zu geben und Probleme anzusprechen – unabhängig von der Position.
Zwar mögen auch in vielen deutschen Unternehmen Hierarchien noch starr wirken, sie sind aber zum Beispiel in Japan gesellschaftlich noch deutlich stärker institutionalisiert. Das bedeutet: Als Führungskraft Mitarbeiter:innen in juniorigen Positionen darum zu bitten, eine wichtige Entscheidung zu treffen, ist dort kontraintuitiv. Es fällt dieser Person aufgrund ihrer kulturellen Prägung schwer, ist vielleicht sogar für sie nahezu unmöglich. Das zu artikulieren wiederum stellt ein zusätzliches Problem dar, weil sie ja den oder die Chef:in nicht kritisieren möchten. Es ist also immens wichtig, sehr früh ein Verständnis für Hierarchien in der jeweiligen Kultur zu entwickeln, bevor Arbeitsaufträge vor Ort verteilt werden.
Kultureller Support ist das A und O
Um auf Fallstricke wie diese in Arbeitsbeziehungen hingewiesen zu werden, ist es essentiell wichtig, regionalen Support, etwa durch ein:e lokal verankerte Assistent:in, zu erhalten, die beide kulturinherenten Denkweisen kennt.
Ich war etwa bei einem Abendessen für die Belegschaft – es gehört sich so in Japan, als neuer CEO ein solches auszurichten – sehr froh, sie an meiner Seite zu wissen. Denn auf dem Tisch standen Karaffen mit Getränken und ich wollte mir selbst ein Glas einschenken. Aber, wie sie mir dann zu verstehen gab, sei das die Aufgabe einer bzw. eines rangniedrigeren Mitarbeitenden in meiner Nähe. Würde ich mir selbst etwas zu trinken einschenken, würde ich ein Stück weit den Respekt des Teams verlieren.
Spätestens ab diesem Moment war mir klar: Auf interkulturelle Fallstricke wie diese kann man sich kaum vorbereiten, es braucht eine lokale Person an der Seite, die mit kulturellem Know-how unterstützt.
Leistungsbegriffe variieren im kulturellen Kontext
Wer in Japan in einem Startup arbeitet, ist gemeinhin schon mutiger als viele andere. Denn ein sicherer Arbeitsplatz ist kulturell erwünscht, hierfür sind Corporates meist ein Synonym. Nichtsdestotrotz bedeutet Leistung für Japaner oftmals vor allem: Sitzfleisch. Wer lange am Schreibtisch sitzt, dem wird gemeinhin eine hohe Leistung zugerechnet, ungeachtet der eigentlichen Performance. Den „Mut“, nach erfolgreich getaner Arbeit zu gehen und sich um das Privatleben zu kümmern, habe ich nur selten erlebt. Viel zu oft schien die Angst vorzuherrschen, dann nicht als fleißig zu gelten – ein Phänomen, das natürlich auch aus deutschen (Großraum-)Büros noch nicht grundsätzlich verschwunden ist, aber in Japan noch devoter gelebt wird.
Individualität und Kultur, beides ist relevant
Natürlich entstammen diese Beobachtungen einem bestimmten Mikrokosmos, in den ich Einblick hatte. Dennoch sind viele Verhaltensweisen eben nicht nur durch Unterschiede auf einer individuellen, sondern auch auf einer kulturellen Ebene existent. Sehr gut auf den Punkt gebracht hat das Erin Meyer in ihrem Buch „Die Culture Map“. Darin schreibt sie: „Wenn Ihr geschäftlicher Erfolg davon abhängt, dass Sie erfolgreich mit Menschen aus aller Welt zusammenarbeiten, dann müssen Sie ein Verständnis sowohl für die kulturellen Unterschiede als auch für die individuellen Unterschiede haben.“ Das bedeutet für mich: Ich muss versuchen, die Kultur verstehen zu lernen, gleichzeitig aber offen zu sein für individuelle Abweichungen. Hinzu kommt dabei dann noch der individuelle Blick auf jede:n einzelne:n Mitarbeiter:in. Persönliche Bedürfnisse können sich auch innerhalb einer Kultur unterscheiden.
Wer als Gründer:in also eine Expansion ins Ausland plant, sollte sich rechtzeitig mit Themen wie Teamzusammensetzung, Workflows und Verständnisse für Leistungen beschäftigen und diese im kulturellen Kontext betrachten. So lassen sich auf der Arbeitsebene viele Missverständnisse vermeiden, die unbeabsichtigt negative Auswirkungen auf die eigentliche Mission haben könnten.
Über den Autor
Tobias Stamatis ist Geschäftsführer von Etribes, einer der führenden Digital-Beratungen Deutschlands, und Experte für die Digitalisierung, die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle sowie den Aufbau und die Weiterentwicklung von Teams.
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