#Gastbeitrag

Klassische Marktforschung kann Innovationsprozesse bremsen

Entscheidend für den Erfolg eines neuen Produktes ist es, seine Zielgruppen ganzheitlich zu verstehen. Da ist es der logische Schritt, diese direkt mit einzubeziehen. Wir reden hier daher bewusst nicht von Consumer Centric, sondern People Centric.
Klassische Marktforschung kann Innovationsprozesse bremsen
Dienstag, 6. Juli 2021VonTeam

Extra große Nasstücher für Autopolituren (Gentle Monkeys), ein Messer für besondere Haarschnitte (Calligraphy Cut), ein innovatives Aufhängesystem für Bilder (Flexylot): „Die Höhle der Löwen” steckt voller Innovationen. Aber auch Auto, Personal Computer, Smartphone, Tablet oder Social Media; dies alles wäre vermutlich nie erfunden worden, wenn die Entwickler auf die Meinung ihrer potenziellen Kunden gehört hätten. Das zeigt uns: Die Ergebnisse aus klassischer Marktforschung können Innovationsprozesse bremsen. Richtig angewendet, kann Research allerdings durchaus dabei helfen, erfolgreiche Ideen zu generieren.

Reine Daten sind allerdings selten inspirierend. Der reale Lebenskontext der Menschen, in denen Wünsche und Bedürfnisse stecken, ist dagegen ein hervorragendes Sprungbrett für Innovationen. Deshalb sollten kundenzentrierte Startups sich nicht einfach darauf verlassen, was ihre potenziellen Kunden im Marktforschungs-Setting sagen. Stattdessen können sie auf Co-Creation-Ansätze setzen, um die Perspektive der Nutzer in einen Dialog mit der Marke zu bringen, um Ideen iterativ weiterzubringen. Dadurch können von vornherein NoGos erkannt werden und Ideen entlang des tatsächlichen Nutzerverhaltens generiert werden, die echt Probleme lösen oder Situationen im realen Kontext verbessern. Mit diesem Ansatz fördert man das Involvement von Menschen, aktiv am Produktinnovationsprozess teilzunehmen, anstatt nur als kritische ausgelagerte Jury zu dienen, die dazu tendiert, Ideen zu verhindern als einen möglichen Benefit zu sehen. Dadurch wird das Phänomen eines natürlichen Widerstands gegen Innovation, also gegen Veränderung, elegant umgangen.
Kreativität hat mehrere Ebenen

Beim Co-Creation-Prozess arbeiten Start-up und Mensch eng zusammen. Die alte Sicht der:des passiven Konsument:in, die:den ein Unternehmen von außen beobachtet und von seinem man Produkt „überzeugen“ muss, verliert zunehmend an Bedeutung. Zeitgemäße Innovationsprozesse sehen Menschen deshalb nicht mehr nur als passive Konsument:innen, sondern als aktiv handelnde Individuen; durchaus kritisch, reflektiert und verantwortungsbewusst.

Entscheidend für den Erfolg eines neuen Produktes ist es nämlich, seine Zielgruppen ganzheitlich zu verstehen. Da ist es der logische Schritt, diese direkt mit einzubeziehen. Wir reden hier daher bewusst nicht von Consumer Centric, sondern People Centric – hierarchiebefreit, gleichgestellt, ganzheitlich: nicht nur auf sein Handeln innerhalb der Kategorie bezogen, sondern mit dem Anspruch, die Kategorie auf den ganzheitlichen Lebenskontext zu beziehen.

Die Kreativität, die dabei freigesetzt wird, hat unterschiedliche Ebenen. Zu Beginn eines solchen Co-Creation-Prozesses steht die Auseinandersetzung mit dem Wissen, dass es über eine bestimmte Produktkategorie schon gibt – also zum Beispiel Marktdaten, Nutzerverhalten, Einstellungen, Marken und deren Produkte im Wettbewerb. Oft hört klassische Marktforschung an diesem Punkt schon auf. Co-Creation dagegen beginnt hier erst. Und geht einen Schritt weiter, indem unternehmensfremde Personen einbezogen werden. Gemeinsam mit ihnen werden die durch die Recherche gewonnenen Insights diskutiert, evaluiert und zu ersten wilden Ideen geformt.

Der Vorteil: Wenn Menschen – oder Co-Creator – von außen draufschauen, wird sichergestellt, dass ein Produkt den Kern der Kundenwünsche direkt anspricht und damit deutlich innovativer wird. Dieser externe Input ermöglicht es, diesen entscheidenden Blickwinkel einzunehmen, der die eigenen Ideen einerseits kritischer beleuchtet, aber gleichzeitig potenzielle Lösungen entwickelt. Je mehr „reales” Feedback es schon im Innovationsprozess gibt, desto besser wird das Produkt am Markt funktionieren.

Ein weiteres Plus (die Marketingverantwortlichen wird es freuen): Durch die enge Einbindung und den exklusiven Einblick in die Entwicklung versteht man die Wünsche an das Produkt und die darauf basierende Lösung noch direkter und konsistenter. Zudem gewinnt man durch die Einbeziehung der Nutzer:innen echte „Owner”, die man als Fans und Ambassadors für das neue Produkt gewinnt. Word-of-Mouth-Marketing startet schon hier; dies wird verstärkt, indem man auch Key Opinion Leader in die Prozesse einbaut, die gleichzeitig wichtige Multiplikator:innen sind und “Faces of the Brand” sein können.

Über den Autor
Edwin Strauss ist Geschäftsführer von Beluga Strategic Design, einem von Deutschlands führenden Beratungsunternehmen für Co-Creation und People-Centric Design. Gegründet 2017 mit dem Anspruch, Marktforschung neu zu denken und in den Innovationsprozess von Unternehmen zu integrieren. Strauss startete nach seinem Studium der Politik, Philosophie und Medienwissenschaften seine Laufbahn als Trend- und Sozialstrukturforscher beim SINUS-Institut, wo er internationale Milieu-Modelle entwickelte.

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Foto (oben): Shutterstock