#Interview

“Ich bin enttäuscht vom deutschen Mittelstand”

Hyperganic aus München "konstruiert physische Objekte, letztlich ganze Maschinen, durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz". Mitgründer Lin Kayser trieb zuvor mit Iridas bereits die Digitalisierung der Filmindustrie voran.
“Ich bin enttäuscht vom deutschen Mittelstand”
Dienstag, 16. März 2021VonAlexander Hüsing

Das Münchner Startup Hyperganic, das 2017 von Lin Kayser, Michael Gallo und Duy-Anh Pham gegründet wurde, konstruiert mit einer Software Plattform, die auf künstlicher Intelligenz setzt, physische Objekte, letztlich ganze Maschinen. Die resultierenden Objekte werden dann in digitalen Fabriken hergestellt, in deren Zentrum ein industrieller 3D-Drucker steht. HV Capital, Vsquared Ventures, Converge, der Schmuckfabrikant Swarovksi und Hermann Hauser investierten kürzlich 7,8 Millionen US-Dollar in das 3D-Druck-Unternehmen.

“Als jemand, der die PC-Industrie von Anfang an miterlebt hat finde ich es verrückt, wie wenig sich im Vergleich im Rest der Welt die letzten Jahrzehnte getan hat. Die meisten Sachen sehen immer noch so aus wie vor 30 bis 50 Jahren und werden auch ähnlich hergestellt. Ich bin der festen Überzeugung, dass viele der Herausforderungen unserer Zeit, Klimawandel etc., nur gelöst werden können, wenn Innovation in physischen Objekten, Maschinen usw., viel schneller vonstatten geht als bisher. Der Schlüsselmoment war für mich, als ich 2012 für ein ganz anderes Projekt einen 3D-Drucker gekauft habe”, sagt Kayser zur Entstehungsgeschichte.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Seriengründer, der mit Iridas (2011 an Adobe Systems verkauft) bereits die Digitalisierung der Filmindustrie vorangetrieben hat, außerdem über Raketenstarts, Quereinsteiger und die klassische Industrie.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Hyperganic erklären?
Meiner Großmutter, nun, das wäre keine Herausforderung gewesen. Meine Großmutter “Mutti” Kayser war technisch versiert. Sie war Anfang der 1900er die erste Frau in Stuttgart mit einem Führerschein, und an ihren Wänden hingen statt Bildern der Enkel, Bilder von Raketenstarts, die mein Onkel in den 70er Jahren mit seinem Startup durchgeführt hatte. Aber zurück zur Hyperganic: Wir konstruieren mit unserer Software-Plattform physische Objekte, letztlich ganze Maschinen, durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wir nehmen das Wissen eines Ingenieurs oder eine Ingenieurin und erzeugen daraus Algorithmen, die Gegenstände von selbst designen können. D.h. die mühsame Arbeit der Konstruktion macht der Computer. Die Ingenieure der Zukunft stellen vor allem präzise Fragen und unsere Algorithmen finden das entsprechende optimale Objekt. Das machen wir mit simplen Dingen oder ganzen Maschinen. In sehr unterschiedlichen Bereichen von der Medizintechnik bis zu Raketentriebwerken. Die resultierenden Objekte werden dann in digitalen Fabriken hergestellt, in deren Zentrum ein industrieller 3D Drucker steht. Das Ziel ist es Innovation in physischen Produkten radikal zu beschleunigen.

Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, in den vergangenen Jahren irgendwie verändert?
Es hat sich vor allem gezeigt, dass viele klassische Geschäftsmodelle in dieser neuen Welt keinen Sinn machen. Wenn ich Dinge vor allem digital erzeuge und auch digital damit Handel treibe, dann ist es unsinnig, teure Software-Lizenzen verkaufen zu wollen. Man muss direkt am Handel mit den Objekten partizipieren. Das hatten wir im Kern schon sehr früh überlegt, aber wir haben es natürlich erst in den letzten Jahren komplett verstanden, was das heißt.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die vergangenen Monate erlebt?
Ich kann das für einige mir bekannte Startups bestätigen. Vielen Funds ging auf einmal, zumindest temporär, der Mut aus. Auf unser Fundraising hatte COVID denke ich keinen Einfluss. Wir haben unsere Wunschkonstellation bekommen. Wir wollten aus geopolitischen Gründen Hauptinvestoren aus Europa und natürlich Funds, die voll hinter unserer Motivation stehen. Es ist eine interessante Mischung geworden: HV, die immer wieder bewiesen haben, wie man Plattformen skaliert, VSquared, die sehr früh in wirklich spannende Dinge reingehen. Die Brücke über den Atlantik machen wir mit dem US-Ostküsten-Fund Converge. Swarovski ist lange schon Partner, gerade auch mit dem Fokus auf nachhaltige Produktion. Ganz besonders freut mich auch, dass Hermann Hauser dabei ist. PC-Pionier der ersten Stunde, der sagt: Im Prinzip macht ihr mit Hyperganic genau das, was ich damals mit ARM gemacht habe.

Die genannten Geldgeber investierten gerade 7,8 Millionen Dollar in Hyperganic. Wofür braucht ihr dieses Geld?
Wie bei jedem Software-Startup geht das Geld vor allem ins Personal. Da werden wir dieses Jahr stark zulegen, auch in internationalen Standorten. Wir machen viel in Südostasien und China, neben den USA und Europa. Da ist also einiges geplant. Ziel ist es, die Plattform breit zu etablieren. Die große Herausforderung ist es die richtigen Mitarbeiter zu finden. Wir haben da eine sehr besondere DNA. Viele Quereinsteiger und starke Persönlichkeiten. Das wird interessant, wie wir das skalieren. Das hält mich nachts gerade ein wenig wach.

Wie ist überhaupt die Idee zu Hyperganic entstanden?
Eigentlich etwas aus einer Frustration. Als jemand, der die PC-Industrie von Anfang an miterlebt hat finde ich es verrückt, wie wenig sich im Vergleich im Rest der Welt die letzten Jahrzehnte getan hat. Die meisten Sachen sehen immer noch so aus wie vor 30 bis 50 Jahren und werden auch ähnlich hergestellt. Ich bin der festen Überzeugung, dass viele der Herausforderungen unserer Zeit, Klimawandel etc., nur gelöst werden können, wenn Innovation in physischen Objekten, Maschinen usw., viel schneller vonstatten geht als bisher. Der Schlüsselmoment war für mich, als ich 2012 für ein ganz anderes Projekt einen 3D-Drucker gekauft habe. Damit war mir klar, wie man Software und Produktion integrieren kann und damit Moore’s Law ins Engineering bekommt. Das war der Aha-Moment. Nach etwas Recherche habe ich die Welt des industriellen 3D-Drucks entdeckt und damit wurde dann auch klar, dass es nicht nur mit kleinen Plastikteilen geht, sondern man praktisch jedes Material in jeder Dimension verarbeiten kann. Mir wurde damals klar, dass dies eine neue industrielle Revolution auslösen kann und dass vor allem die Software-Seite das Problem ist.

Wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Wir verdienen am Handel mit sogenannten Digital Physical Producs (DPPs). Das sind Produkte, die digital erzeugt, digital gehandelt und dann lokal produziert werden. Im Prinzip ist das Geschäftsmodell ähnlich wie andere Modelle, wo mit digitaler IP gehandelt wird, etwa die Lizensierung von Patenten.

Wie hat sich Hyperganic seit der Gründung entwickelt?
2015, 2016 habe ich mich zunächst mal ins Flugzeug gesetzt und habe mir angeschaut, wie Produktion und Engineering genau ablaufen und habe mit vielen Leuten geredet. Ob das Auftragsfertiger in Taiwan waren, der deutsche Mittelstand oder ein A.I. Lab in Äthiopien, das mit 3D-Druckern Roboter baut, weil entsprechende Komponenten sonst nicht verfügbar sind. Alles dies hat wichtigen Input geliefert. 2017 habe ich mich dann mit Michael zusammengesetzt und wir haben gesagt, super, wir gründen die nächste Firma. Gleich im ersten Jahr hatten wir die ersten Kunden und Umsätze. 2019 haben wir dann ein paar Angels dazu genommen und dann 2020 die Runde vorbereitet.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Hyperganic inzwischen?
Wir sind schlank aufgestellt. 22 Mitarbeiter, weltweit verteilt, gut die Hälfte hier am Standort in München. Weitere Zahlen geben wir nicht raus, aber die Investoren waren zufrieden. Kunden sind in den USA, Europa, Südostasien und in China.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Ich glaube wir haben vielleicht etwas zu viel Zeit in die klassische Industrie investiert. Man findet da manchmal früh Begeisterung aber seltener ein Budget. Generell hätten wir vielleicht noch breiter agieren können. Generell bin ich aber zufrieden. Bis man etwas ausprobiert hat, weiß man ja auch nicht, ob es richtig oder falsch ist. Etwas enttäuscht bin ich vom deutschen Mittelstand. Da ist wenig Bereitschaft in Neues zu investieren. Man will da dann immer irgendein Förderprojekt machen, anstatt einfach mal ein paar Euro in die Hand zu nehmen. Wir haben dann irgendwann beschlossen, wir stellen selbst Ingenieure ein, die etwas Aufregendes konstruieren. Wenn das dann auf dem Tisch steht, dann kann man es schlecht wegdiskutieren. Also in Summe vielleicht, weniger Zeit verbringen damit zu versuchen zu überzeugen, stattdessen einfach machen und zeigen. Dafür braucht man dann allerdings irgendwann auch externes Geld. Meine Lektion ist vielleicht auch: gerade wir Deutschen versuchen manchmal zu lange organisch zu wachsen. Da muss ich mich auch an die eigene Nase fassen.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Die Technologie Grundlage, die wir uns damals überlegt haben, ist genau richtig. Alle Annahmen, die wir damals getroffen haben, sind immer noch korrekt. Das freut uns sehr, weil es sehr viele Basisarbeit erfordert hat. Es hat sich auch gezeigt, dass man ohne diese Arbeit nicht viel hinbekommen kann. Wir sehen immer wieder Leute, die versuchen den Weg zum A.I. Engineering abzukürzen. Geht halt nicht. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Unser technologischer Ansatz ist nach wie vor einzigartig.

Wo steht Hyperganic in einem Jahr?
Wir sind dann raus aus dem Stealth Mode, die Plattform ist gelaunched und es gibt noch mehr Nationalitäten und weiterhin generell große Diversität im Team. Weiterhin gutes Umsatzwachstum. Und natürlich sind wir in einem Jahr auch in den ersten Gesprächen zur nächsten Runde. Vor allem aber haben wir in einem Jahr Endprodukte zusammen mit Kunden gezeigt, die beweisen, wie fundamental man Märkte verändern kann, wenn man A.I.-generierte Objekte fertigt. Generell hoffe ich, dass wir in einem Jahr bewiesen haben, dass wir eine deutliche Beschleunigung von technischer Innovation auslösen können, etwas, was wir dringend brauchen.

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Foto (oben): Hyperganic

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.