#Interview

“Wir hätten viel früher den Fokus schärfen und ganz gezielt in eine Richtung rudern sollen”

Das Bootstrapping-Unternehmen Itonics entwickelt Software. "Heute setzen wir viele KI-Komponenten ein, die es bei der Gründung so noch nicht gab", sagt Gründer Michael Durst. Und auch Kathmandu als Zweigstelle stand beim Start nicht auf der Agenda.
“Wir hätten viel früher den Fokus schärfen und ganz gezielt in eine Richtung rudern sollen”
Montag, 22. Februar 2021VonAlexander Hüsing

Das Nürnberger Startup Itonics, 2009 an den Start gegangen, hilft großen und kleinen Unternehmen dabei, ihre Produkte zum passenden Zeitpunkt an den Start zu bringen. “Mit Werkzeugen wie Trend-Radare, Portfolios, Roadmaps oder auch globalen Ideenkampagnen digitalisiert Itonics das Innovationsmanagement”, sagt Gründer Michael Durst. In den vergangenen Jahren entwickelt sich Itonics zum SaaS-Anbieter.

“Heute setzen wir viele KI-Komponenten ein, die es 2009 bei der Gründung so noch nicht gab”, führt Durst aus. In Berlin, Kathmandu, Kapstadt, New York und Nürnberg arbeiten derzeot über 110 Mitarbeiter:innen für das Unternehmen. “Wir sind bis heute bootstrapped, haben also kein Wachstumskapital im Unternehmen. Dadurch können wir sehr flexibel und dynamisch agieren und an mancher Stelle höhere Risiken eingehen. Nach wie vor stecken wir jeden Cent in das Wachstum – insbesondere in die Softwareentwicklung. Nur solange unsere Software wesentliche Wettbewerbsvorteile bietet, werden wir weiter aggressiv global expandieren können”, sagt Itonics-Gründer Durst.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Durst außerdem über seine Niederlassung in Kathmandu, Innovationsradare und Opportunities.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Itonics erklären?
Was müssen wir heute und morgen tun, um übermorgen noch erfolgreich zu sein? Wir unterstützen Firmen dabei, die Dinge zu erkennen, die für ein Unternehmen wichtig sind und darauf rechtzeitig zu reagieren. Itonics hilft Firmen dabei, die richtigen Produkte zum passenden Zeitpunkt an den Markt zu bringen. Das nennt sich dann Innovationsstärke. Diese Aufgabe ist in der digitalen und globalen Welt von heute sehr komplex. Es müssen viele Details beachtet werden und deshalb brauchen Unternehmen digitale Werkzeuge, die ihnen dabei helfen. Diese Werkzeuge stellt Itonics bereit.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Das grundlegende Konzept hat sich nicht verändert: Mit Werkzeugen wie Trend-Radare, Portfolios, Roadmaps oder auch globalen Ideenkampagnen digitalisiert Itonics das Innovationsmanagement. Das Geschäftsmodell hat sich hin zu SaaS entwickelt und heute setzen wir viele KI-Komponenten ein, die es 2009 bei der Gründung so noch nicht gab.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Im März 2020 haben viele potenzielle Kunden die Gespräche zunächst ausgesetzt, da die Unsicherheit aufgrund der Pandemie zu einer radikalen Fokussierung auf das operative Kerngeschäft geführt hat. Im August haben wir dann gemerkt, dass viele Unternehmen verstärkt digitale Werkzeuge suchen, um die globale Zusammenarbeit trotz Social Distancing zu stärken. So konnten wir trotz COVID-19 in 2020 unseren Annual Recurring Revenue um 30 Prozent steigern. Heute sind wir in einer sehr privilegierten Lage: Mehr und mehr Unternehmen merken in der Pandemie, dass eine durchgängige Digitalisierung in Strategie und Innovation eine kritische Fähigkeit darstellt, um auch zukünftig erfolgreich sein zu können.

Wie ist überhaupt die Idee zu Itonics entstanden?
Ich habe in den 90ern bei Siemens zahlreiche Digitalprojekte begleitet und dort für Siemens und für Kunden sogenannte Innovationsradare erstellt. Auf diesen Radaren konnte man neue Technologien, Geschäftsmodelle und Konsumententrends sehen und dazu eine einfache Bewertung: Wann wird diese Innovation groß, wie stark ist ihr Einfluss auf eine bestimmte Branche und welchen Handlungsdruck haben wir? Diesen Ansatz habe ich dann in meinen Job bei adidas als Leiter Innovations & Research in der IT Mitte der 2000er wieder aufgegriffen. Und die ganze Zeit dachte ich mir: Das kann doch nicht sein, dass die Reisekosten volldigital eingereicht und abgerechnet werden, aber alles rund um Innovation und Strategie nach wie vor in Excel und Powerpoint gemacht wird?! So ist dann 2009 Itonics entstanden. Wir wollten alle Aktivitäten rund um Strategie, Wachstum und Innovation digitalisieren. Und das klappt soweit sehr gut!

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Wir bauen und betreiben Software, die wir dann unseren Kunden als Software as a Service (SaaS) zur Verfügung stellen. Das geht bei kleinen SaaS-Paketen für einige wenige Nutzer los und skaliert bis hin zu mehreren zehntausend Nutzern wie beispielsweise im Innovationsmanagement bei Cisco. Neben der reinen Software verkaufen wir flankierende Beratungsdienstleistungen und helfen Kunden dabei, in jeder Beziehung innovativer zu werden.

Euer Firmensitz ist Nürnberg. Was zeichnet die Startup-Szene vor Ort aus?
Die letzten Jahre ist glücklicherweise sehr viel passiert. Die Stadt selbst, die Hochschulen, Bayern Innovativ, oder auch die hier ansässigen Fraunhofer-Institute bieten alle zahlreiche Formate an, um Gründungen zu fördern, Startups zu vernetzen oder Finanzierungen aller Art zu ermöglichen. Der Zollhof Tech Incubator entwickelt sich bestens, mit dem JOSEPHS gibt es ein offenes Innovationslabor und Bayern Innovativ bringt regelmäßig etablierte KMUs mit der Startup-Szene zusammen. Als wir 2009 angefangen haben, gab es das meiste davon noch nicht, oder es befand sich überhaupt erst im Aufbau. Wir wurden damals sehr stark durch BayStartUP und durch den Wissens- und Technologietransfer der Universität Erlangen-Nürnberg unterstützt. Nürnberg hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem sehr attraktiven Standort für Startups entwickelt: Die Szene wird größer, es gibt viel Unterstützung, die Mieten sind noch erschwinglich, die Hochschulen sind Weltklasse, die Verkehrsanbindung und die Lage sind optimal und im ICE ist man in einer Stunde in München und in drei in Berlin.

Ihr habt auch eine Zweigstelle in Kathmandu. Wie kam es dazu?
Wir hatten 2010 einen Werkstudenten aus Nepal. Beim Lunch meinte er, dass es in Nepal wirklich gute Coder gäbe und er da an einer Softwareentwicklungsfirma beteiligt wäre. Da wir große Schwierigkeiten hatten, in der Gründungsphase talentierte KollegInnen in Nürnberg zu finden, sind wir einmal um die halbe Welt geflogen und haben uns die Lage in Kathmandu angeschaut. Das hat uns schnell überzeugt: Motivierte und talentierte Softwareentwickler, erträgliche Zeitverschiebung und ein superspannendes Land mit toller Kultur, Natur und Kulinarik. Nach zwei Jahren Offshore-Softwareentwicklung mit einem lokalen Partner haben wir uns dann entschieden, eine eigene Tochtergesellschaft zu etablieren. Dort arbeiten inzwischen über 55 KollegInnen. Kathmandu entwickelt sich zum Glück noch schneller als die Startup-Szene in Nürnberg: Am Anfang hatten wir teilweise 14 Stunden pro Tag keinen Strom und immer mal wieder Probleme bei der Internetverbindung. Harte Streiks haben die KollegInnen daran gehindert, ins Büro zu kommen und die Einreise am Flughafen hat ewig gedauert – oder der Flug wurde gleich nach Nordindien umgeleitet. Inzwischen hat sich die Infrastruktur radikal verbessert, es gibt viel bessere Flugverbindungen und die politische Lage hat sich stabilisiert. Ein tolles Land, das definitiv eine Reise wert ist! In der Zwischenzeit haben wir aber auch Büros in Berlin, New York und Kapstadt eingeweiht. Die frühen Erfahrungen in Nepal helfen sehr bei der Internationalisierung.

Wie genau hat sich Itonics seit der Gründung entwickelt?
Nach der Gründung 2009 ist das – privat eingelegte – Geld ganz schnell zur Neige gegangen. War nicht die beste Idee, mitten in der Finanzkrise dem Konzern den Rücken zu kehren und ein Startup zu gründen. Wir haben dann die ersten Jahre mit einer Handvoll treuer Kunden die Software schrittweise immer weiter entwickelt und waren bis 2015 weder profitabel noch wirklich relevant. Die letzten sechs Jahre sind wir dann stark gewachsen und haben inzwischen über 150 Kunden rund um die Welt. Darunter sind AUDI, CISCO, die DZ Bank, INTEL und Siemens, aber auch zahlreiche Hidden Champions wie der Deutsche Milchkontor, Leonhard Weiß und die Mobiliar Versicherung.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Itonics inzwischen?
Wir sind heute über 110 KollegInnen in Berlin, Kathmandu, Kapstadt, New York und Nürnberg. Unser Annual Recurring Revenue wächst zwischen 30 und 40 % per annum. Wir sind bis heute bootstrapped, haben also kein Wachstumskapital im Unternehmen. Dadurch können wir sehr flexibel und dynamisch agieren und an mancher Stelle höhere Risiken eingehen. Nach wie vor stecken wir jeden Cent in das Wachstum – insbesondere in die Softwareentwicklung. Nur solange unsere Software wesentliche Wettbewerbsvorteile bietet, werden wir weiter aggressiv global expandieren können. Und es schaut aktuell sehr so aus, als bliebe das noch eine ganze Weile der Fall.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir haben uns in den Anfangsjahren ein wenig verzettelt: Zwischen Softwareentwicklung, Vermarktung und Vertrieb, Investorensuche in der Seed-Phase, Ausprobieren von weiteren Geschäftsideen und zeitintensiven Beratungsprojekten zur laufenden Finanzierung habe ich mich ein paar Jahre aufgerieben. Wir hätten viel früher den Fokus schärfen und ganz gezielt in eine Richtung rudern sollen, anstatt alle möglichen Opportunities mitzunehmen zu versuchen. Dazu habe ich viel zu viel Zeit mit möglichen Geschäftspartnern und Investoren verplempert – nur um immer wieder festzustellen, dass es halt trotz aller schöner Versprechungen nur darum geht, so viel wie möglich mitzuverdienen. Und so wenig wie möglich mitzuarbeiten. Dann doch lieber die KollegInnen beteiligen und von innen heraus wachsen!

Und wo hat ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir sind in einem dynamischen Wachstumsmarkt mit unserer Software sehr gut aufgestellt. Der Markt wächst organisch und das Wettbewerbsumfeld ist noch eher träge. Die internationale Zusammenarbeit bei Itonics klappt ganz hervorragend, wir haben an allen Standorten hochmotivierte und top ausgebildete Kolleginnen und Kollegen mit insgesamt 18 Nationalitäten. Ich bin immer wieder begeistert über die Kreativität und Energie, die in einem so diversen Umfeld entsteht. Aktuell arbeiten wir an der Strategie 2021+ und werden dank unserer Cloud-Software weiter stark wachsen.

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Foto (oben): Itonics

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.