“Nach zwanzig Jahren Gründer-Erfahrung schockt mich kaum noch etwas!”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antwortet Adrian Locher, Mitgründer von Merantix. Das junge Unternehmen kümmert sich um den Transfer von KI-Forschung in die Wirtschaft.
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Direkt nach dem Aufstehen beginne ich den Tag erstmal mit Zeit für mich. Am liebsten starte ich mit Sport und meditiere oder lese danach – am liebsten zu philosophischen Themen. Erst danach greife ich nach Handy und Notebook, um alle Mail- und Messenger-Inboxes zu screenen. Um dabei effektiv zu sein, gehe ich nach dem Triage-Modell vor: Dinge, die in weniger als 20 Sekunden machbar sind, erledige ich sofort; alle anderen aus den Nachrichten hervorgehenden Tasks delegiere ich entweder oder stelle sie auf spätere Wiedervorlage. Nachdem das erledigt ist, werden dann meistens auch meine Kinder wach, denen dann der ganze Rest des Morgens gehört. Das gemeinsame Frühstück mit gutem Kaffee und Obst ist mir sehr wichtig. Wann immer möglich, bringe ich meine Kinder dann auf dem Weg ins Büro in den Kindergarten und in die Schule.
Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Dazu hilft mir am besten das Spielen mit den Kindern, das Kochen mit meiner Partnerin oder der Gang in die Natur. Wenn ich für mich sein will, dann treibe ich Sport, lese oder meditiere.
Was über das Gründer-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Um ehrlich zu sein: Ich habe nie etwas anderes gemacht, als zu gründen oder unternehmerisch tätig zu sein. Schon zu Schulzeiten habe ich ein kleines Unternehmen aufgebaut, später dann zugunsten des Unternehmerdaseins die Uni direkt nach dem Bachelorabschluss verlassen. Will sagen: Nach zwanzig Jahren Gründer-Erfahrung schockt mich kaum noch etwas!
Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Am Anfang eines jeden Ventures geht es um den Aufbau von Reputation. Die ist wichtig für das Gewinnen von Kund*innen, Mitarbeiter*innen und Investor*innen. Dabei ist es immer zentral, dass ich nicht nur viel verspreche – Stichwort Vision –, sondern entsprechend auch liefern kann – Stichwort Execution. Um das richtig zu machen, gibt es meiner Ansicht nach zwei relevante Dimensionen: Energie und Kreativität. Energie, um die Extrameile zu gehen, also mehr zu tun als andere. Kreativität, um Dinge anders, innovativer zu machen als die Konkurrenz. Das war und ist auch bei Merantix das Erfolgsgeheimnis.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Grundsätzlich hatte ich immer schon das Glück, eine gute Intuition für Menschen zu haben. Dennoch habe ich rückblickend in einigen Situationen zu lange an Menschen festgehalten, die nicht gut gepasst haben, ob als Kunden oder im Team. Dem versuche ich nun entgegenzuwirken mit mehr Offenheit und Transparenz, sodass Unstimmigkeiten direkt angesprochen und behoben werden können. Der wohl mit Abstand größte Fehler jedoch war, dass ich mir lange Jahre nicht genügend Zeit für mich selbst eingeräumt habe und es keine Balance zwischen Business, Familie und mir selbst gab. Während eines Sabbaticals ist mir das bewusst geworden und ich gehe seitdem ganz anders an das Thema heran. Daher sind mir zum Beispiel auch die Momente mit meinen Kindern absolut heilig. Und wenn ich nicht bei ihnen sein kann, dann will ich in der Zeit etwas sinnvolles tun – so wie bei Merantix, wo wir mit Künstlicher Intelligenz Unternehmen und Produkte entwickeln, die einen positiven Einfluß auf die Welt in der wir leben, haben werden.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Die Grundlage dafür, andere einzuschätzen und sie als Team-Mitglieder aufnehmen zu wollen, ist, sich selbst zu kennen. Bevor ich mein Gegenüber zu verstehen und einzuordnen versuche, muss ich als Individuum meine eigenen Stärken und Schwächen klar benennen können. Auf der Ebene darüber, also aus Organisationssicht, ist der Fit zum Wertesystem enorm wichtig. Bei Merantix gründen wir unser Handeln und unsere Kultur auf Leidenschaft, Vertrauen, Gemeinschaft und Exzellenz. Die Frage ist also: Passt ein*e Bewerber*in zu uns? Wir versuchen das in vielen Gesprächen und abschließend auch an zwei sogenannten “Onsite Days” herauszufinden – und sagen, wenn etwa die Skills passen, aber sich kulturelle Probleme andeuten, im Zweifel klar “Nein”. Das ist für beide Seiten besser so, denn dann weiß jede*r genau, woran sie oder er ist.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer?
Entwickle dich ständig als Mensch, Leader*in und Partner*in weiter – etwa indem du dich mit Menschen umgibst, die schlauer als du sind, aber die gleichen Werte mit dir teilen – und baue nur dann ein Unternehmen auf, wenn du Passion dafür hast – denn nur die trägt dich in schwierigen Phasen.
Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Die G Suite und Slack sind für die Kollaboration bei Merantix gleichsam wichtig, weil sie Austausch und damit Transparenz im Team ermöglichen. Dazu sind – neben den Köpfen und Herzen unserer Teams, meiner Meinung nach übrigens die wichtigsten “Tools” – die Server und die Dateninfrastruktur für unsere Machine-Learning-Plattform unabdingbar.
Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Das fängt schon mit der Auswahl der richtigen Leute an! Wir achten auf einen Mix an diversen Typen, setzen ihnen klare Ziele und geben damit einen Rahmen vor, innerhalb dessen sich jede*r mit größtmöglicher Freiheit bewegen kann. Das betrifft zum Beispiel auch die Urlaubstage – die zählen wir nämlich nicht mit. Im täglichen Umgang mit unseren Gründer*innen setzen mein Co-Gründer Rasmus Rothe und ich sehr stark auf Coaching und persönliche Weiterentwicklung. Während Rasmus als einer der Top-Experten in Sachen KI und Computer Vision Expertise aus der Forschung weitergibt, profitieren Team-Mitglieder in meinem Fall von den vielfältigen Erfahrungswerten als Seriengründer, der neben mehreren erfolgreichen Exits auch mehrfach gescheitert ist. Eine Sache, die ich noch sagen möchte, auch wenn sie unbequem ist und ich sie über die vielen Jahre immer wieder schmerzhaft lernen musste: Mir fällt es heute viel leichter, mich schnell von jemandem zu trennen, der nicht oder nicht mehr ins Team passt. Das hat mitunter wahrscheinlich den stärksten Effekt auf eine gute Kultur im Team.
Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Bevor ich mich während eines Sabbaticals in San Francisco für das Thema KI begeisterte und 2016 dann schließlich mit Rasmus Merantix gegründet habe, habe ich in der Schweiz das E-Commerce-Unternehmen DeinDeal aufgebaut und zum Exit geführt. Die Zeit war extrem intensiv: In den ersten 18 Monaten sind wir damals von 0 auf 200 Mitarbeiter*innen gewachsen und hatten bereits nach fünf Jahren einen Jahresumsatz von über 100 Millionen Euro Umsatz. Ein solches Wachstum hatte ich bis dato noch nie erlebt. Jeder Tag fühlte sich ein bisschen wie ein Ritt auf einer Rakete an, die während des Fliegens gebaut werden muss.
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.
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