#Gastbeitrag

Ein Insider-Bericht aus Portugals Tech-Hub Lissabon

Portugals Tech-Industrie wächst doppelt so schnell wie jedes andere Tech-Hub Europas. Es war nie einfacher mit einem Start-up oder als Freelancer in Lissabon einen Neustart zu wagen. Zudem schlagen immer mehr Tech-Konferenzen ihre Zelte in Lissabon auf.
Ein Insider-Bericht aus Portugals Tech-Hub Lissabon
Freitag, 5. Juli 2019VonTeam

Kaum ein Monat vergeht, ohne dass man einen neuen Artikel entdeckt, in dem Portugal als Europas bestes Urlaubsziel, Lissabon als sicherste Stadt oder neuestes Immobilien-Eldorado mit der besten Rendite gepriesen wird. Ebenso beachtlich ist das rasante Wachstum der Stadt als Tech-Hub. Ausgebildete Arbeitskräfte und Venture-Capital-Investments strömen in den Markt – sowohl aus dem In- als auch dem Ausland.

Geld durch Venture-Capital-Investoren und Tech-Konferenz-Organisatoren

Portugals Tech-Industrie wächst doppelt so schnell wie jedes andere Tech-Hub Europas und die Venture-Capital-Investments in portugiesische Start-ups stiegen auf ein Maximum von 485 Millionen Euro. In den vergangenen drei Jahren haben sich Private-Equity-Investitionen auf 7 Milliarden Euro mehr als verdreifacht, wie man Branchenzahlen entnehmen kann. Anleger strömen in die sich erholende und kapitalhungrige Wirtschaft.

Das Land erlebt außerdem einen Anstieg an lokalen Investitionen: Kürzlich hat Indico Capital Partners das Closing der ersten 41 Millionen von insgesamt 46 Millionen Euro von Investoren aus acht unterschiedlichen Ländern abgeschlossen. Der Fond soll die vielversprechendsten Early-Stage-Start-ups auf der Iberischen Halbinsel, insbesondere in Portugal, fördern.

Zudem schlagen immer mehr Tech-Konferenzen ihre Zelte in Lissabon auf. Besonders bekannt ist der Web Summit, der nach einer dreijährigen Testphase im Herbst letzten Jahres verkündet hat, für weitere 10 Jahre in Lissabon zu bleiben. Die Konferenz zieht nicht nur über 80.000 Brancheninsider in die Altice Arena, sondern soll dem Land auch Einnahmen von rund 3 Milliarden Euro im nächsten Jahrzehnt bringen. Der jährlich im Juni stattfindende Lisbon Investment Summit ist eine Möglichkeit für ansässige Start-ups bei internationalen Venture-Capital-Gebern zu pitchen und hat signifikant dazu beigetragen, Lissabon in Europas Tech-Landschaft zu integrieren. Allein in diesem Jahr waren unter anderem 500Startups, Hoxton Ventures, Seedcamp, White Star Capital, Elaia, Partners, Joint Capital und 360 Capital Partners vor Ort.

Dig publishing, Made of Lisboa and Singularity University haben alle Lissabon als Standort in den letzten Jahren gewählt.

Lissabons Pool an Arbeitskräften ist global und gut gefüllt

Portugals Bildungssystem versorgt die Tech-Szene des Landes mit jungem, hochqualifizierten Personal und zählt auf universitärem Level zu den besten Europas. Besonders stehen Tech-Themen im europäischen Vergleich in Portugal im Vordergrund. Die größten Universitätsstädte beheimaten alle auch eine Technische Universität und für ein Land mit knapp über 10 Millionen Einwohnern werden bemerkenswert viele Ingenieure pro Kopf ausgebildet. Tausende qualifizierte Berufseinsteiger graduieren jedes Jahr vom Politecnico Institut in Braganca, UpTec in Porto, Tecnico und Instituto Politecnico in Lissabon und von der Nova School of Business and Economics am Stadtrand. Wenig überraschend ist es, dass bei Portugals wirtschaftlichem Aufschwung auch immer mehr junge Portugiesen bleiben, anstatt in Städten wie Paris und London nach einer beruflichen Zukunft zu suchen.

Dazu kommt, dass auch mehr qualifizierte, internationale Arbeitskräfte nach Portugal, beziehungsweise nach Lissabon, strömen. Das reicht vom Einsteiger- bis zum C-Level: Dazu gehören unter anderem Felix Petersen, Mitgründer und Director von Circ Mobility Portugal, Simon Schäfer als CEO von Startup Portugal und Rohan Silva, der vor ein paar Jahren aus London für die Eröffnung der portugiesischen Büros von Second Home kam und mittlerweile an der Planung für den zweiten Standort arbeitet.

Ein Neuanfang in Lissabon ist einfach – und immer mehr versuchen es

Die Stadt arbeitet daran, neue Business-Ideen anzunehmen und Geschäftsprozesse zu beschleunigen, sodass es einfacher ist ein Start-up in Lissabon als in jedem anderen europäischen Tech-Hub zu gründen. Einer der bekanntesten Co-Working-Spaces der Stadt ist Beta-i, der als eines der weltweit führenden Innovation-Labs für FinTech gilt.

Dutzende neue Workspaces schießen zudem aus dem Boden, wie zum Beispiel Heden, IDEIA oder Cowork Lisboa. LACS, ein Bündel verschiedener Hubs, hat erst im letzten Monat den dritten Standort eröffnet und weitere Expansionspläne.

Factory Berlin ist auf dem besten Weg Ende des Jahres den 12.500 Quadratmeter großen Tech-Campus in Flussnähe zu eröffnen und der exklusive Mitgliederclub Soho House hat ebenso einen Ableger in Lissabon verkündet.

Es war nie einfacher mit einem Start-up oder als Freelancer in Lissabon einen Neustart zu wagen. Auch internationale Start-ups folgen dem Trend an die portugiesische Küste: Mit Unternehmen wie Linkilaw, Jungle AI oder Yoochai haben internationale Gründer ihren Weg nach Lissabon gefunden. Das New Yorker Unternehmen James AI hat einen zweiten Hauptsitz eröffnet, ähnlich wie Veniam 2016 nach einem Fundraising von 26.9 Millionen Dollar.

Mittlerweile hat es auch die ganz Großen in die Stadt auf den sieben Hügeln geführt: Volkswagen hat letztes Jahr ein Digital Lab gegründet mit dem Ziel, eine bessere Konnektivität der Fahrzeugsoftware zu entwickeln. BMW hingegen bildet zusammen mit CRITICAL Software ein Joint Venture zur Entwicklung und Handhabung von High-End-Softwarelösungen für verschiedene Bereiche. Daimler eröffnet auch ein großes Tech-Hub, während Google, HP und CISCO Teil von Oeiras sind, einem eigenen, aufstrebenden Tech- und Engineering-Ökosystem, das nur einen Katzensprung von Lissabons Küstenstreifen entfernt liegt.

Eine überdurchschnittliche Erfolgsquote bei Start-ups der ersten Generation

Lissabon hat wahrhaftig für den Erfolg gearbeitet. Die erste Generation von Start-ups kam vor fünf bis zehn Jahren auf, bevor jemand an Portugals Potential als Tech-Ökosystem glaubte. Das Land steckte in einer tiefen Rezession, die Gehälter sanken und die wirtschaftliche Zukunft des Landes wurde in düsteren Farben gemalt. Diese Start-ups flogen unter dem Radar, finanzierten sich ohne externe Hilfe, perfektionierten das Produkt und damit den Proof of Concept in einem der härtesten Märkte und während der schlimmsten Rezension des Landes. Um zu wachsen, mussten diese Unternehmen von Stunde Null an international denken und die Hürden einer europaweiten Expansion zu überwinden lernen: auf sprachlicher, rechtlicher und kultureller Ebene.

Eine beeindruckende Anzahl der Pioniere der portugiesischen Tech-Szene hat es zu internationalem Erfolg gebracht. Das ist bei großen Namen wie Uniplaces, Unbabel, Codacy, Farfetch oder Hole19 der Fall, von denen auch eine Handvoll schon Unicorn-Status erreicht hat: Outsystems hat bei einer Bewertung von einer Milliarde kürzlich 360 Millionen US-Dollar von Goldman Sachs und KKR und TalkDesk bei einer von Viking Global Investors geführten Series-B-Finanzierung 100 Millionen US-Dollar eingesammelt.

Abseits der Euphorie um Investitionen und Beachtung ist Lissabon kürzlich im Ranking um globale Wettbewerbsfähigkeit sechs Plätze nach unten gerutscht. Auch wenn die Platzierung nach wie vor gut ist und es keinen ernsthaften Grund zur Sorge gibt, kommt auf Portugal und insbesondere Lissabon eine kritische Wachstumsphase zu. Man muss alles daran setzen, konkurrenzfähig und international attraktiv zu bleiben.

Zudem liegt eine von Lissabons größten Stärken in eben dieser ersten Welle von Start-ups, die international erfolgreich sind. Jetzt da diese First-Movers zu international anerkannten Unternehmen mit Geschäften in London (Farfetch), New York (Codacy) oder San Francisco (Unbabel) gewachsen sind, ist es essentiell, dass die etablierten Player den Blick zurück nicht scheuen und ihr Wissen und ihre Expertise teilen. Das macht nämlich den Erfolg und die Entwicklungsfähigkeit eines Tech-Hubs aus.

Über die Autorin
Clara Armand-Delille ist Gründerin und Geschäftsführerin von ThirdEyeMedia, eine Kommunikationsberatung für Unternehmen und Start-ups aus dem Tech-Bereich. Mit einem Jahrzehnt an Branchenerfahrung und früheren Stationen bei Google, Accel Partners und iZettle vereint Clara Armand-Delille Branchenkenntnis und PR-Expertise. Dabei hat sie schon Start-ups in Europa, den USA und Lateinamerika beim Aufbau der eigenen Marke unterstützt, global angelegte Kommunikationskampagnen, Markteinführungen und Finanzierungsmitteilungen begleitet.

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Foto (oben): Shutterstock