#Interview
“Als wir gegründet haben, waren wir eines der wenigen Startups in der Region”
Das junge Startup Semalytix liefert Unternehmen zu konkreten Fragestellungen Auswertungen quasi aller verfügbaren Daten. “Wir erschließen vormals unstrukturierte Daten – digitale Texte -, strukturieren und analysieren die Inhalte, und lassen sie Zusammenhänge interaktiv erklären. Das ist Machine Reading in Kombination mit Data Story Telling”, sagt Janik Jaskolski, Mitgründer von Semalytix. Finanziell unterstützt wird das Bielefelder Unternehmen unter anderem von Fly Ventures. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Jaskolski unter anderem über Entscheidungsfindungen, Marktpenetration und traditionelle Familienunternehmer.
Wie würdest Du Deiner Großmutter Semalytix erklären?
Der globale Informationsschatz wächst so schnell wie nie zuvor. Dabei sind die, für uns Menschen, am einfachsten zu generierende Daten Text. Davon gibt es so viel, dass kein Mensch noch hoffen kann große Datenmengen ohne effektive Hilfsmittel zu verstehen. Wir lösen dieses Problem indem wir eine Künstliche Intelligenz entwickeln, die Texte wie ein Mensch lesen, aber auch erklären kann! Wir haben unsere KI in ein größeres System eingebaut. Dieses System haben Pharos getauft, nach dem historischen Leuchtturm von Alexandrien. Mit Pharos kann ein Nutzer direkt Fragen an diese riesigen Datenmengen stellen. Zum Beispiel: Wieso hat unser Produkt mehr Erfolg im amerikanischen als im europäischen Markt? Unsere KI durchsucht dann in Echtzeit die verfügbaren Daten, findet Antworten und fasst diese transparent zusammen. Statistiken und das semantische “Warum”, liefert Pharos in einem. Um möglichst kundenfreundlich zu sein und um Nutzern Zeit zu sparen, werden die Analysen direkt in eine sehr präsentable und teilbare Fassung gebracht.
Ging dies alles bisher denn nicht?
Natürlich stellen Unternehmen solche Fragen schon heute und ohne uns. Bislang dauert die einmalige, datengetriebene Beantwortung häufig Monate, kostet große Summen Geld und ist trotzdem — bislang — relativ unscharf. Sehr häufig wird mit externen Beratern gearbeitet. Mit Pharos können unsere Nutzer Fragen in wenigen Minuten – nahezu Echtzeit -, so oft sie möchten, sehr viel exakter, und um mehr als 100% günstiger beantworten. Wir erschließen vormals unstrukturierte Daten – digitale Texte -, strukturieren und analysieren die Inhalte, und lassen sie Zusammenhänge interaktiv erklären. Das ist Machine Reading in Kombination mit Data Story Telling.
Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Das Kernkonzept hat sich nicht verändert. Wir haben vom ersten Tag an daran gearbeitet, automatisiert Business Intelligence Fragen zu beantworten. Wir sehen darin eine unglaubliche Chance. Oft haben Entscheider mehrere Dutzend Fragestellungen, die Einfluss auf eine strategische Entscheidung nehmen sollten, zum Beispiel auf eine Marketingstrategie. Eben weil die bisherigen Strategien viel Geld kosten und langsam sind müssen die meisten Fragen herunter priorisiert werden. Nur die wichtigsten 5 % werden beantwortet. Mit unserer Technologie wollen wir aber nicht nur die Beantwortung dieser 5 % schneller und besser machen. Unser Ziel ist datengetriebene Entscheidungsfindung zu revolutionieren und so zu skalieren, dass nahezu 100% kritischer Fragestellungen schnell und effektiv beantwortet und Entscheidungsträger besser informiert sind als je zuvor.
Wie funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Der erste Schritt ist ein wohl ausgewähltes Proof-of-Concept Projekt. Hier selektieren wir mit dem Kunden zusammen, zum Beispiel einem Forecasting Manager, eine brennende Fragestellung. Wir integrieren diese Fragestellung in unsere Platform und der Kunde hat fortan Zugriff auf ein interaktives Dashboard, das die Antworten auf diese Frage beinhaltet. Daten werden automatisch verarbeitet und sind nahezu live verfügbar. Dann kann der Kunde die Funktionalität auf einem echten Use-Case testen. Der nächste Schritt ist ein Lizenzvertrag, der mit dem Kunden aufgesetzt wird und ihm ermöglicht auf ein vorher definiertes Fragebudget zuzugreifen. Die tatsächlichen Fragen können zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Geschäftsprioritäten ändern sich oft schnell und unser Modell deckt ab, dass Anforderungen kurzfristig geändert werden können. Das langfristige Modell basiert damit auf jährlich wiederkehrenden Fragebudgets und einer immer höheren Abdeckung.
Wie genau hat sich Semalytix seit der Gründung entwickelt?
Die wichtigste Entwicklung sind wir gerade erst durchlaufen. Als wir Semalytix gegründet haben, war ein typisches Start-up nicht unser Fokus. Wir haben uns daran begeistert, unsere Forschung und entwickelten Technologien an echten Problemen einzusetzen. Die erste Zeit war dabei sehr bescheiden. Für fast ein Jahr habe ich alleine entwickelt, Algorithmen geschärft und mich damit beschäftigt, wie Kunden mit den Analysen umgehen möchten. Dann kam der erste volle Mitarbeiter, Praktikanten und Hilfskräfte. 90 % des Firmenlebens hat sich bis dahin auf acht Quadratmetern abgespielt und Semalytix war nur auf einem handgeschriebenen Zettel an der Wand zu lesen. Nach anderthalb Jahren waren wir zu viert und tauschten unsere acht Quadratmeter gegen unser erstes echtes Büro ein. Fast zeitgleich sind wir in den Bielefelder Accelerator, die Founders Foundation, eingetreten. Das ist die B2B-Kaderschmiede hier im Herzen des deutschen Mittelstands. Innerhalb von sechs unglaublich intensiven Monaten haben wir durch die Foundation die Basics gelernt, die ein Start-up ausmachen. Die Learnings, die wir mitgenommen haben, zusammen mit dem neuen Büro, waren der Startschuss von Semalytix als Start-up. Innerhalb von drei Monaten haben wir unsere Teamgröße verdoppelt. Nach weiteren drei Monaten noch einmal. Bis zum Sommer 2018 haben wir das komplett ohne externes Funding durchgezogen und unser Wachstum über unser direktes Einkommen finanziert. Mitte 2018 haben wir dann in Fly Ventures den für uns perfekten und sehr high-tech affinen Seed-Investor gewinnen können und sammelten insgesamt circa 1,2 Millionen Euro ein um unsere Produktentwicklung voran zu treiben. Diese Entwicklung — weg von Innovationsprojekten, hin zu einem gut skalierbaren Geschäftsmodell mit einem klaren Produkt im Zentrum — haben wir innerhalb von sechs Monaten in Rekordzeit durchgezogen.
Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Semalytix inzwischen?
Semalytix ist innerhalb von zwei Jahren von sechs auf mittlerweile an die 60 Mitarbeiter aus 20 verschiedenen Nationen gewachsen. Davon sind 35 in Vollzeit. Wir haben zwischen 2015 und 2019 insgesamt circa 3 Millionen Euro Umsatz eingefahren. Die ersten echten Lizenzumsätze haben wir mit circa 40.000 Euro monatlich nun auch. Bis Ende des Jahres erwarten wir ein Verdreifachen des monatlichen Lizenzumsatzes.
Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir haben zu früh versucht in verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Jetzt wissen wir, dass wir uns erst einmal in einer Industrie, in einem Markt, behaupten und Wachstum demonstrieren müssen. Gerade im Bereich von Business Intelligence und Competitive Intelligence ist eine tiefe Marktpenetration schwierig, wenn man den Fokus nicht hat. Zu frühe Expansion in deutlich unterschiedliche Industrien hat uns viel Zeit gekostet und stark abgelenkt.
Und wo habt ihr bislang alles richtig gemacht?
Wir haben 60 Mitarbeiter aus 20 Nationen und sind ein Team. Schon als wir zu dritt in einem kleinen Büro saßen haben wir uns intensiv damit beschäftigt wie wir miteinander arbeiten. In Start-ups muss immer alles schnell gehen. Es muss aber auch alles richtig funktionieren. Das klappt natürlich nicht. Die einzige Möglichkeit dem zu begegnen ist eine offene Fehler- und Kommunikationskultur. Fail fast. Dabei geht es nicht nur um die großen Dinge sondern häufig um kleinste Details die über längere Zeit zu destruktiven Gewohnheiten werden. Das bezieht sich darauf wie man selbst arbeitet aber auch wie man im Team miteinander arbeitet. Zu dritt, mit 15 und heute mit 60 Mitarbeitern arbeiten wir jeden Tag daran diese Kultur aufrecht zu erhalten in der man sich offen vor das Team stellen kann und über passierte Fehler spricht. Fail fast heißt bei uns, dass jeder, ob Praktikant oder CEO Probleme direkt anspricht und wir ihnen als Team begegnen. Das macht uns extrem effizient darin sie aufzulösen, egal ob es um die Organisation an sich, die Planung von einem Event oder Software-Entwicklung geht.
Ihr residiert in Bielefeld. Was zeichnet die Szene vor Ort aus?
Als wir uns gegründet haben, waren wir eines der wenigen Start-ups in der Region. Wir haben unheimlich davon profitiert, von starken Universitäten und akademischen Programmen umringt zu sein, die viele sehr talentierte Datenwissenschaftler hervorbringen. Semalytix ist da als agiles Start-up ein sehr aufregender und interessanter Arbeitgeber in der Region und wir profitieren davon, dass wir wenig direkte Konkurrenz haben. Als die Bertelsmann-Stiftung dann die Founders Foundation ins Leben gerufen hat, hat sich quasi über Nacht eine pulsierende Start-up-Welt um uns herum gebildet. Es ist ein Startup-Ecosystem entstanden! Aus einigen vereinzelten Initiativen hat die Foundation eine Community von Unternehmern gemacht, von der selbst etablierte Investoren aus Berlin regelmäßig überrascht und beeindruckt sind. Auch die traditionellen Familienunternehmer der Region ziehen voll mit. Heute bringen die Ausbildungsprogramme der Founders Foundation alle sechs Monate ein halbes Dutzend spannender neuer Start-ups hervor — mitten in Bielefeld. Diese Kombination von Talent und frischer, aufregender, Start-Up Szene macht Bielefeld für mich einzigartig und ich bin sehr froh darüber, dass wir Semalytix in diesem Umfeld aufbauen können.
Wo steht Semalytix in einem Jahr?
Wir arbeiten gezielt darauf hin, wichtige Meilensteine für unsere Series-A zu erreichen. Das beinhaltet die nächsten großen Kunden, das Erreichen einiger produktseitiger Neuentwicklungen und interne Umstrukturierungen, die uns die nächste Wachstumsstufe ermöglichen. Einen siebenstelligen Umsatz werden wir über unsere Intelligence Platform schon dieses Jahr wieder verzeichnen. Die nächste große Herausforderung ist dann der Sprung von einer auf zehn Millionen Euro jährlich.
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