Erfahrungsbericht
Jobhopping in der Startup-Szene – Fluch oder Segen?
Die Startup-Hochburg Berlin. Jedes Jahr kommen und gehen dutzende junge Unternehmen mit Ambitionen, Visionen und dank Investoren auch nicht selten einer ganzen Stange Geld. Schnelles Wachstum – von Null auf Hundert in einem oder zwei Jahren. Wer nicht schnell genug skaliert verschwindet in der grauen Masse. Doch die Schnelllebigkeit der Startup-Szene fordert nicht nur Unternehmer, sondern auch deren Mitarbeiter.
Seit 2008 durfte ich viele Höhen und Tiefen in über zehn Startups miterleben. Im Schnitt habe ich damit weniger als ein Jahr bei einem Startup verbracht. Die Gründe für die häufigen Jobwechsel sind in meinem Fall sehr vielfältig und ich wäre durchaus gewillt gewesen, bei einigen Startups länger zu bleiben. Welche Vor- und Nachteile sich für mich dadurch ergeben haben möchte ich in diesem Erfahrungsbericht erklären.
Meine Karriere begann untypisch
Während der Zeit auf der Oberschule hatte ich bereits viele Jahre mit dem Computer und dem Internet Erfahrungen gesammelt, erste Websites und Communities erstellt und mein erstes eigenes Geld verdient. Man kann mich daher wohl als Digital Native bezeichnen, der dank frühem Umgang mit der neuen Technik schon während der Schulzeit erste relevante Erfahrungen sammeln konnte. Der Einstieg in das Berufsleben fiel mir dementsprechend relativ leicht: Innerhalb eines Jahres habe ich drei Praktika absolviert und wurde bei dem letzten Praktikum in eine Festanstellung übernommen, bei der Frogster Online Gaming GmbH, die mittlerweile von Gameforge aufgekauft und deren Büro in Berlin geschlossen wurde. Eingestellt als „Assistant Product Manager“ wurde ich von damaligen Kollegen an das Thema Social Media herangeführt und übernahm den Bereich, nachdem die Kollegen das Unternehmen verlassen haben, um eine Agentur zu gründen – die Agentur für digitale Transformation TLGG.
Das war letztlich mein Einstieg in das weite Feld des Online Marketings, in dem ich mich wohlgefühlt habe und dabei geblieben bin. Mein Jobtitel hat sich anschließend kaum noch verändert: Marketing Manager, Online Marketing Manager, Senior Marketing Manager, Head of Marketing, Marketingleiter oder auch Marketing Director. So langweilig die Jobbezeichnungen anmuten mögen – die dahinterstehenden Aufgaben waren immer sehr vielfältig, wie auch die Startups an sich. Dementsprechend breite Erfahrungen konnte ich sammeln – vom B2B Dienstleistungsunternehmen zu B2C eCommerce Startups, von Produkten für wohlhabende Frauen über 40 zu Entertainment-Anbietern für pubertierende Jugendliche, von SEO, SMO, SEA und CRO zu Event-Management und Pressearbeit. Das war letztlich auch häufig der entscheidende Punkt bei der Auswahl meines nächsten Arbeitgebers: Welche neuen Erfahrungen kann ich sammeln? Der finanzielle Aspekt war selten ausschlaggebend – wenngleich mein Gehalt im Schnitt um etwa 20 % pro Jahr gewachsen ist.
Häufig werde ich gefragt, warum ich die Jobs so schnell wechsle
Bei etwa jedem zweiten Vorstellungsgespräch kommt es zur Ansprache und teilweise auch bereits im Vorfeld bei Rückfragen per Mail oder in Telefoninterviews. Leicht fällt mir die Beantwortung der Frage bis heute nicht und eine definitive Antwort fällt mir bei den vielfältigen Gründen für die jeweiligen Jobwechsel sehr schwer.
„Ich war jung und brauchte das Geld“ hat mal ein Rapper gesagt. Da ich früh zu Hause ausgezogen bin und schnell auf eigenen Beinen stehen musste, war eine längere Zeit arbeitslos zu sein nie eine Option. Rücklagen zu bilden mit den sehr überschaubaren Gehältern als „Junior“ in der Berliner Startup-Szene quasi nicht möglich. Doch wenn man 50 bis 60 Stunden pro Woche im Büro sitzt, bleibt oft nicht genug Zeit, sich ausreichend viele Startups anzusehen, bevor man sich für ein Jobangebot entscheidet. Und auch die Jobangebote von Startups sind selten länger als zwei Wochen gültig, bis sie sich vielleicht doch für jemanden Anderen entscheiden. Das war im Nachhinein betrachtet sicherlich der Grund für einen Teil der Jobwechsel: Das Startup hat einfach nicht zu mir gepasst. Und letztlich ich auch nicht zum Startup. Das betrifft bei mir etwa ein Viertel der Jobwechsel.
Bei Startups ist natürlich auch immer die Gefahr, dass das Unternehmen nicht auf dem Markt ankommt, Investorengelder fehlen oder andere Gründe letztlich das Startup zur Aufgabe zwingen. Auch davon bin ich natürlich nicht verschont geblieben und ebenfalls ein Viertel aller Jobwechsel ist darauf zurück zu führen. Zuletzt bei der MyLorry GmbH, die mit Food Express die Auslieferung der Speisen von Lieferservices zentralisieren wollten und nach einem rasanten Aufstieg genauso schnell wieder verschwanden, als der wichtigste Investor absprang.
Für die andere Hälfte meiner Anstellungen sind die Gründe sehr unterschiedlich. Manche Startups haben nach nur wenigen Monaten ihr Geschäftsmodell radikal geändert und meine Kompetenzen wurden nicht mehr gebraucht. Andere haben bereits nach einem halben Jahr die Anfangsmotivation verloren und waren von alteingesessenen Mittelständlern nur noch durch den Kicker und den Club-Mate Vorrat zu unterscheiden. Unabhängig davon, wie spannend die ersten Monate im Startup gewesen sind.
Endlich Reich? Wenn der Exit kommt und der Geldregen ausbleibt
Natürlich gibt es auch einige erfolgreiche Startups in meinem Lebenslauf: Die besagte Frogster Online Gaming GmbH wurde von der Gameforge AG aufgekauft, was den Aktionären der Muttergesellschaft, die Frogster Interactive Pictures AG, satte Gewinne brachte. Oder auch MeinFernbus, die mittlerweile nach der Fusion mit Flixbus und der Übernahme vom Postbus eindeutiger Marktführer mit über 80% Marktanteil sind.
Das große Ziel endlich erreicht: Das kleine Startup wirft nun Millionengewinne ab oder wird für hunderte Millionen Euro aufgekauft. Der Grund für die vielen Überstunden, die Eigenmotivation, das Wir-Gefühl – einfach die berühmte Startup-Atmosphäre, die uns alle antreibt und Firmenwagen gegen Kicker tauschen lässt.
Unser aller Vorbild? Das Silicon Valley – der Ort an dem Träume wahr werden und Mitarbeiter dank Unternehmensanteilen über Nacht zu Millionären werden und anschließend ihre eigenen Träume verfolgen können. Ein wichtiger Punkt, wenn nicht der wichtigste Grund für das Funktionieren der Startup-Szene, wird dabei gerne mal von deutschen Startups vergessen: Den Erfolg mit seinen Mitarbeitern teilen. Die Menschen, die das Startup in den zahlreichen Überstunden zum Erfolg gebracht haben. Die, welche geringe Gehälter, spärlich eingerichtet Großraumbüros und starken Erfolgsdruck auf sich genommen haben, um zusammen an einem „höheren Ziel“ zu arbeiten. Wenn man im Bewerbungsgespräch nach eine Beteilung fragt, blickt man oft in fragende Gesichter. Selbst erfolgsabhängige Provisionen werden nicht selten eher belächelt.
Tritt der Exit dann ein, bleibt die Ernüchterung: Eingliederung in das Unternehmen des Käufers, Kündigungen bei nicht mehr benötigten Positionen oder auch Schließung des Standorts – gegebenenfalls noch mit dem Angebot, in die Stadt des Käufers zu ziehen (von Berlin nach Buxtehude?) und in einem gänzlich anderen Unternehmen hoffentlich glücklich zu werden.
Aber natürlich bleiben auch die vielen gesammelten Erfahrungen und Eindrücke, die Kontakte, die man knüpfen konnte und eine Geschichte, die man später seinen Kindern immer wieder gerne erzählt. Ob es sich auszahlt? Das muss wohl jeder für sich entscheiden. Die Startup-Szene ist sicherlich nicht für Jeden das Richtige. Wer sie allerdings einmal lieben gelernt hat, wird sie so schnell nicht wieder verlassen.
Über den Autor
Berliner Jungvater unter 30 mit über 10 Jahren Erfahrung in der Konzeption, Umsetzung und Vermarktung von Online-Services. Vermittelt seine Erfahrungen in Workshops, als Speaker auf Events und unterstützt die deutsche Startup-Szene. Mehr über Sascha Ahlers erfahren Sie auf seiner Website http://sascha.ahlers.pro und bei Xing https://www.xing.com/profile/Sascha_Ahlers2
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