Startup-Trend Onboarding
Wie deutsche Start-ups ausländische Fachkräfte locken
Knapp 1.000 Mitarbeiter beschäftigt die Hamburger Spieleschmiede Goodgame Studios: Das einstige Start-up ist längst erwachsen geworden. Ständig stoßen neue Mitarbeiter dazu, viele davon aus dem Ausland, über 50 Nationen sind vertreten. Das stellt die Spieleentwickler vor eine Herausforderung: „Viele ausländische potentielle neue Mitarbeiter schrecken vor der deutschen Bürokratie oder dem Wohnungsmangel in Hamburg zurück. Einige sind damit dermaßen überfordert, dass sie die Stelle absagen“, berichtet Daniel Gau, der bei Goodgame Studios als Onboarding-Manager arbeitet. Hilfe soll das Onboarding-Team leisten.
Noch einen Schritt früher gibt es eine weitere große Hürde: Visum und Arbeitserlaubnis. Wer ausländischen Fachkräften hier nicht behilflich ist, braucht diese gar nicht erst anzuwerben. „Wir stehen in direktem Kontakt mit der Ausländerbehörde, der Agentur für Arbeit und der ‘Zentrale Auslands- und Fachvermittlung’ (ZAV). Wir stellen im Vorfeld alle notwendigen Unterlagen zusammen und schicken diese zur Vorabprüfung an die ZAV“, berichtet Sandra Franke von Delivery Hero. Sobald die bürokratischen Hürden gemeistert sind und das Anreisedatum feststeht, organisiert das Team Termine für die Anmeldung beim Bürger- oder Landesamt und der eigentliche Onboarding-Prozess kann beginnen.
„Mitarbeiter haben Wooga wegen Heimweh verlassen“
Onboarding ist ein Begriff aus dem Personalmanagement. Es geht darum, neue Mitarbeiter schnell ins Unternehmen zu integrieren und „an Bord“ zu nehmen. Oft entscheidet sich schon in den ersten Wochen und Monaten, ob Mitarbeiter langfristig bleiben oder nicht. Für wachsende Start-ups ist das Thema besonders relevant: zum einen, weil die Entwicklung vom heimeligen Start-up zum mittelständischen Unternehmen das Arbeitsklima stark verändert. Zum anderen, weil Start-ups meist einen hohen Bedarf an ausländischen und mehrsprachigen Fachkräften haben. Diese haben es besonders schwer, sich im Unternehmen einzuleben, weil ein kompletter Kulturwechsel daran hängt.
Diese Erfahrung macht man auch beim Social Games-Entwickler Wooga. „Gerade in der jüngeren Geschichte von Wooga mussten wir das ein oder andere Mal die Erfahrung machen, dass Mitarbeiter keine Wurzeln geschlagen haben in Berlin und somit uns und die Stadt auf Grund von Heimweh wieder verlassen haben“, erzählt Woogas Event-Managerin Maike Kronenberg. Eine Psychologin setzt sich deshalb gleich in den ersten Wochen mit jedem neuen Mitarbeiter zusammen und bespricht mögliche Probleme, die beim Ankommen in Deutschland und dem neuen Unternehmen entstehen.
Hinzu kommen viele praktische Probleme, die weit über die Beantragung von Visa und Einreise-Bürokratie hinausgehen. Schon im Vorfeld heißt es: Mitarbeiter aus dem Onboarding-Team besichtigen passende Wohnungen und Häuser, suchen nach Übergangsunterkünften oder stellen Wohnungen für die ersten Wochen, kümmern sich um Strom- und Wasseranmeldung, Kontoeröffnung, KFZ-Anmeldung und Versicherungen. Bei Fällen wie dem amerikanischen Mitarbeiter, der bei Goodgame Studios anfing und mit Ehefrau und vier Kindern nach Deutschland übersiedelte, kommt eine weitere Herausforderungen dazu: die Suche nach passenden Schulen und Kindergärten.
Hilfe bei Ausländerbehörde, Arbeitsagentur und Hochzeit
Oftmals ist die Arbeit fürs Onboarding-Team aber nicht nach den ersten Wochen oder Monaten vorbei. Gerade Visums-Angelegenheiten werden immer wieder neu aktuell. So berichtet Christoph Schipper vom Webseiten-Baukastenhersteller Jimdo: „Als das Visum von Jaime, einem Kollegen aus Kolumbien, abgelaufen war, haben wir uns wochenlang um ein neues gekümmert und sämtliche Schreiben an die Ausländerbehörde und an die Arbeitsagentur geschickt.“ Am Ende wurde so aus einem verzweifelten Mitarbeiter, der schon die Koffer packte, doch noch ein langfristiges Team-Mitglied.
Als ein kanadischer Wooga-Mitarbeiter seiner kanadischen Freundin einen Heiratsantrag machte und sie nach Deutschland holen wollte, kümmerten sich Mitarbeiter um die gesamte Bürokratie – „ansonsten hätten die beiden sehr viel Zeit auf deutschen Ämtern und mit der Beschaffung von Unterlagen verbringen müssen“. Klar, dass dann einer der Helfer dann auch bei der Trauung auf dem Standesamt dabei war und übersetzte.
Bei Spreadshirt ist es Feel-Good-Managerin Stefanie Häußler, die das Onboarding neuer und ausländischer Mitarbeiter organisiert und bei all dem unterstützt, was entweder aus der Ferne schwierig oder aufgrund fehlender Deutschkenntnisse allein kaum zu bewältigen ist. „Am meisten profitieren unsere ausländischen Fachkräfte aber davon, dass unsere Unternehmenssprache Englisch ist“, gibt HR-Chefin Theresa Kretzschmar zu bedenken. Andere ehemalige Start-ups wie Delivery Hero, Wooga, Jimdo oder Kreditech bieten ihren Mitarbeitern Deutschkurse an, zum Teil für unterschiedliche Sprachniveaus und gemeinsam mit den Ehepartnern.
Herausfordernd: Deutsches Essen und Zurechtkommen in der Stadt
Ein Thema, das von vielen Unternehmen unterschätzt wird, ist laut Daniel Gau das deutsche Essen. „Viele sind begeistert, andere mögen es gar nicht und können sich nur schwer daran gewöhnen“, berichtet der Onboarding-Manager von Goodgame Studios. Weil Mitarbeiter immer wieder verzweifelt nach Restaurants fragen, die Gerichte aus den jeweiligen Heimatländern anbieten, ist das Team gerade dabei, einen Restaurantführer für die ausländischen Mitarbeiter zu entwickeln. „So kann jeder wenigstens ein Stückchen Heimat schmecken.“ Bei Kreditech versucht man, über Veranstaltungen wie „Tastes around the world“ die Kultur und Küche der ausländischen Mitarbeiter zu würdigen: Dann bringt jeder ein Gericht aus seinem Heimatland mit.
Auch das Ankommen in der neuen Stadt ist ein wichtiges Thema, um Mitarbeiter langfristig zu halten. Bei Spreadshirt sind es die „Chatty Thursdays“, bei denen neue und alte Kollegen gemeinsam um die Leipziger Häuser ziehen und Restaurants oder Bars unsicher machen. „Wenn man dann am nächsten Morgen noch etwas müde ist, fängt man dank flexibler Arbeitszeiten eben etwas später an“, schmunzelt Kretzschmar. Auch „Starter Sessions“ und die Zuteilung eines persönlichen „Buddys“ haben sich bei vielen Start-ups als Onboarding-Maßnahme bewährt.
Ob Bürokratie-Wahnsinn, Wohnungssuche oder kulinarische Gepflogenheiten: Bei ausländischen Fachkräften müssen sich wachsende Start-ups eben mehr einfallen lassen als bei deutschen Talenten, um sie zu locken und im Unternehmen zu halten. Viele unterschätzen das Thema Kulturschock, das manchmal schon lange vor der Einreise nach Deutschland beginnt und potentielle Mitarbeiter daran hindert, tatsächlich ins Flugzeug zu steigen. Insofern wird das Thema Onboarding – nach dem Trend”Feel-Good-Manager – die deutsche Startup-Szene noch stark bewegen in den kommenden Jahren – siehe dazu “Feel-Good-Manager: Start-up-Bespaßer als Trend-Beruf“.