Gastbeitrag von Katharina Wolff
Ist das Ruhrgebiet die nächste Start-up-Hochburg?
Herbert Grönemeyers Song „Komm zur Ruhr“ kann man gut und gerne als Einladung für Start-ups verstehen. Schließlich bietet das Ruhrgebiet ideale Bedingungen für Gründer, die aus Berlin oder Hamburg mittlerweile nicht mehr wegzudenken sind. In Städten wie Köln oder Düsseldorf hat sich mittlerweile eine nennenswerte Startupszene etabliert. Rund um Essen, Dortmund und Bochum ist die Hemmschwelle aber noch immer sehr hoch, sich gegen die sichere Anstellung in einem Industrie- oder Großunternehmen und für die eigene Unternehmensgründung als Start-up zu entscheiden. Lange Zeit hatte das Ruhrgebiet mit einem negativen Image zu kämpfen. Verbunden damit waren – etwas vereinfacht – die Arbeit unter Tage in einem der Zechen, Staub und hohe Arbeitslosenquoten. Gründergeist, Start-ups und Innovation waren bisher eher Fremdbegriffe.
Unvergleichliche Infrastruktur
Dabei bietet das Ruhrgebiet eine Infrastruktur, die sich andere Gegenden nur wünschen können. So kann das Ruhrgebiet mit einem großen ökonomischen und kulturellen Angebot aufwarten, das insbesondere für Neugründer verlockend ist. Schließlich sind die Mieten hier noch moderat, im Vergleich zu Städten wie Hamburg, München oder sogar dem eigentlich als billig verschrienen Berlin. Noch dazu gehört Nordrhein-Westfalen zu den fünf jüngsten Bundesländern – das Durchschnittsalter liegt bei 43,3 Jahren – ideales Jagdgebiet auf der Suche nach einem jungen und dynamischen Team. Dabei müssen junge Gründer ihre Suche nach Talenten nicht auf eine Stadt begrenzen, sondern können im gesamten Ruhrgebiet nach potentiellen Mitarbeitern Ausschau halten. Die Entfernungen zwischen den Städten sind in etwa so gering, als wenn man in Berlin von einem Ende der Stadt zum anderen fährt und sind somit quasi direkte Einladung zum Pendeln.
Zusätzlichen Anreiz sollte das Bruttoinlandsprodukt für Neugründer, die eigentlich immer nach solventen Investoren suchen, geben: Mit fast 600 Milliarden Euro ist das Bundesland Spitzenreiter. Förderungsprogramme, die unter anderem von der NRW.Bank oder der Bürgschaftsbank Nordrhein-Westfalen initiiert werden,bieten Gründern vielfältige Finanzierungsmöglichkeiten. Darüber hinaus finden sich alleine in Nordrhein-Westfalen fünf der zehn größten Universitäten Deutschlands wieder: Die Uni Köln, die Uni Bonn, die Uni Münster, die Uni Bielefeld und die RWTH Aachen warten mit hungrigen und qualifizierten Berufseinsteigern auf.
Business Angels und Hochschul-Acceleratoren
Die Universitäten im Ruhrgebiet tragen schon jetzt dazu bei, dass sich eine Startup-Gemeinschaft bildet. Die Essener Fakultät für Wirtschaftswissenschaften unterstützt mit ihrem startUP-Büro Studierende, Absolventen, Wissenschaftler und Alumni bei der beruflichen Selbstständigkeit. Das Büro berät, plant und realisiert Veranstaltungen und beantragt Fördermittel.
Das Entrepreneurship-Zentrum der Universität Witten/Herdecke, das im März 2014 eröffnet wurde, kümmert sich hingegen verstärkt um Neugründer, die parallel zum Studium oder der Promotion eine Firmengründung anstreben. Ab Herbst startet ein Accelerator-Programm, das eine besonders engmaschige Betreuung vorsieht. Die Start-ups profitieren von dem Netzwerk des Zentrums, um Folgeinvestoren oder Business Angels zu finden. So bietet beispielsweise die Business Angels Agentur Ruhr regelmäßige BAARforen an, bei der Gründer in Speeddatingmanier innerhalb von 10 Minuten ihre Idee vorstellen, um so die Investorenherzen für sich zu begeistern.
Wo hapert’s noch im Ruhrgebiet?
Trotz dieser Möglichkeiten und der Bemühungen der Universitäten, das Ruhrgebiet zu einer Startup-Gegend zu machen, liegen die Neugründungen im Digitalen Bereich bei nur 1,7 auf 10.000 Erwerbstätigen in Düsseldorf bzw. 0,8 in Dortmund – im Vergleich zu Berlin mit 2,8 ist hier also eindeutig noch Luft nach oben. Laut Startup Verzeichnis NRW sind bislang 53 junge Unternehmen im E-Business Bereich im Ruhrgebiet verzeichnet. Dortmund ist dabei, trotz der geringen Neugründungen, führend, gefolgt von Essen und Bochum.
Dennoch ist der Trend erkennbar, dass insbesondere Entwickler sich noch immer lieber in einem der großen Unternehmen anstellen lassen, anstatt ein eigenes Unternehmen zu gründen. Der Mut zum Risiko ist bei den sonst so frohen Rheinnaturen im Vergleich zu Berliner Pflanzen sehr viel geringer. Während in der Startup-Hochburg schon allein aus Mangel an entsprechenden Konzernen kaum jemand eine klassische Unternehmenslaufbahn anstrebt, gilt dieser Weg im Nordrhein-Westfalen mit gleich acht der deutschen DAX-Unternehmen fast als Standard.
Den Zahlen zum Trotz gibt es aber auch hier digitale Unternehmen, die es geschafft haben, sich zu etablieren, so wie das Portal Ausbildung.de, das (angehenden) Auszubildenden helfen soll, einen Ausbildungsplatz zu finden und ihnen die Möglichkeit gibt, sich vorab über die unterschiedlichsten Berufe und Unternehmen zu informieren. Ein weiteres spannendes Start-up aus dem Ruhrgebiet ist Baby-Markt.de. Bereits seit Oktober 2003 am Markt, gehört das Dortmunder Unternehmen zu den größten und ältesten Online-Shops Deutschlands, beschäftigt inzwischen 300 Mitarbeiter und ist mit über 40.000 Artikeln einer der führenden Anbieter von Babysachen im Land.
Großes Manko bisher: Es fehlte lange an Netzwerkveranstaltungen für Gründer, die den Austausch untereinander fördern. Doch auch hier ist Bewegung am Rhein: Veranstaltungen wie „Die Initiale“ in der Dortmunder Westfalenhalle helfen Gründern die ersten Hürden zu nehmen und gewähren auch finanzielle Unterstützung. Gleichzeitig gibt die Messe jungen Unternehmen die Möglichkeit, an einem Pitch-Wettbewerb teilzunehmen, sich und ihr Projekt einer fachkundigen Expertenjury und einem interessierten Publikum vorzustellen.
Quo vadis, Ruhrgebiet?
Auch wenn die Bedingungen besser werden. Hamburg und Berlin sind im Bereich der Start-ups aus der digitalen Wirtschaft vorherrschend. Für das Ruhrgebiet könnte sich aber ein ganz anderer Markt für Start-ups auftun, wenn es sich auf seine Grundwerte besinnt und darauf, was das Ruhrgebiet schon immer ausmachte. Seit jeher gilt das Ruhrgebiet als eine Gegend, in der die Menschen anpacken können. Der Trend geht auch wieder hin zu Dingen, die greifbar und nicht in der digitalen Welt verankert sind. Warum also mit der kreativen Szene im Norden und Osten der Republik konkurrieren, wenn insbesondere Techniker und Schrauber dafür sorgen könnten, dass aus dem Ruhrgebiet doch noch eine waschechte Startup-Szene hervorgeht? Dank des Ballungsraums mit mehreren Millionen Einwohnern ist das Ruhrgebiet die perfekte Location, um dafür geeignete Abnehmer zu finden, das fehlende regionale Denken aufzulösen, die Stadtgrenzen abzubauen und zu einer einzigartigen Startup-Wirtschaft zu verschmelzen.
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Zur Person
Katharina Wolff ist Gründerin von premium consultants, der Personalberatung für die Digitalwirtschaft. In ihrer Position als Managing Director ist sie für die strategische Planung und das operative Geschäft des Unternehmens verantwortlich. Daneben unterstützt sie mit ihrer Beteiligungsgesellschaft Wolff Ventures Startups mit Geld, Know-How und einem umfangreichen Netzwerk bei den verschiedenen Phasen der Gründung. Neben ihrer Unternehmertätigkeit ist Katharina Wolff Autorin und hat das Buch “Selbstverständlich Frau” veröffentlicht.