Gastbeitrag von Philipp Bock (allpago)
Kurzer Leitfaden für den erfolgreichen Start in Brasilien
Brasilien ist mittlerweile nicht mehr nur der wichtigste Onlinemarkt Lateinamerikas, sondern auch einer der am schnellsten wachsenden E-Commerce Märkte der Welt. Mit einem aktuellen Volumen von mehr als 19 Milliarden US-Dollar (eMarketer 2013) wird er voraussichtlich bis 2015 zu den weltweiten Top 5 gehören. Durch die Professionalisierung lokaler Anbieter und den Eintritt internationaler Akteure verbessert sich auch das notwendige Ecosystem stetig. Brasilien wird zu einem attraktiven Absatzmarkt.
Allerdings sollten Online Händler bei einem Markteintritt kleine Hürden und lokale Besonderheiten berücksichtigen: Die Geschäftsbedingungen in Brasilien sind nach wie vor mit zahlreichen Auflagen verbunden, die nicht zuletzt erklären, warum das Land im „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank weiterhin im letzten Quartil rangiert. Ökonomisch als auch operativ am sinnvollsten ist es daher, auf die Gründung einer Landesgesellschaft zu verzichten. Stattdessen sollte man sich einen seriösen Partner vor Ort suchen, der praktische Unterstützung bei Fragen leisten kann, die Steuern, Arbeitsrecht und Sozialabgaben, sowie Zahlungsmittel betreffen.
Konsumenten
Die rapide anwachsende Mittelklasse ist einer der Key Driver des E-Commerce. Über 100 Millionen Brasilianer zählen heute bereits zum Mittelstand des Landes und sorgen für wachsende Kaufkraft. Das größte Volumen generieren Konsumenten zwischen 25 und 50 Jahren, mit höherer Schulausbildung und einem verfügbaren Einkommen von R$1.000 bis R$5.000 pro Monat, umgerechnet ca. 300 bis 1.500 Euro. Die Kaufmotivation ist dabei die gleiche wie im Rest der Welt – Einfachheit und Bequemlichkeit stehen ganz oben, gefolgt von günstigen Preisen und der Möglichkeit zum Preisvergleich, sowie die Tatsache, dass ein entsprechendes Angebot im stationären Handel fehlt.
Extrem beliebt bei Brasilianern ist die Nutzung von Sozialen Netzwerken: 87 % aller Internetnutzer sind Mitglied in mindestens einem Sozialen Netzwerk, weltweit liegt der Durchschnitt bei 70 Prozent. Als Konsequenz ist der Online Handel in Brasilien in den letzten Jahren immer „sozialer“ geworden – rund 30 Prozent der Internetnutzer folgen den Neuigkeiten von Händlern im Netz. Ein weiteres Plus für Händler ist die hohe Online Time: Brasilianer surfen durchschnittlich rund 26,6 Stunden pro Monat im Web, in Deutschland sind es aktuell nur 22,3 Stunden.
Online Zahlungsmittel – lokale Eigenheiten
Die Abwicklung lokaler Zahlungsmittel ist für E-Commerce Händler in Brasilien nicht nur eine vertrauensbildende Maßnahme, sondern erfolgsentscheidend. Lokale Zahlungsmittel repräsentieren rund 80 % des Gesamtvolumens – wer diese nicht abwickeln kann, reduziert seine potentielle Kundschaft automatisch auf die verbleibenden 20 Prozent. Eines der beliebtesten lokalen Zahlungsmittel ist der Boleto Bancário, eine Art Überweisungsschein, bei dem es praktisch keine Betrugsmöglichkeiten gibt.
Er ist nicht nur für Käufer ohne eigenes Bankkonto geeignet, sondern macht auch nahezu 100 % der B2B-Transaktionen aus. Internationale Händler sollten außerdem berücksichtigen, dass 70 % der in Brasilien ausgestellten Kreditkarten auf Transaktionen in der Landeswährung, dem Brasilianischen Real, beschränkt sind. Grenzüberschreitende Zahlungen an Händler mit Sitz außerhalb von Brasilien sind somit ausgeschlossen. Besitzer einer internationalen Kreditkarte können auch in anderen Währungen bezahlen, in dem Fall werden jedoch 8 % Wechselkursdifferenz sowie 6,38 % IOF, die Finanztransaktionssteuer, fällig.
Im nächsten Schritt sollten innerhalb dieser Zahlungsmethoden verschiedene Verfahren angeboten werden, wie beispielsweise 1-Click oder Recurring-Payments. Aufgrund der niedrigen Einkommen in Brasilien sind auch Ratenzahlungen sehr beliebt. Händler, die Ratenzahlungen anbieten, können ihren Umsatz – insbesondere bei physischen Gütern – aufgrund der höheren Ticketpreise im Idealfall verdreifachen.
Bestellungen und Versand
Auch hier gibt es einige Besonderheiten: Bei jeder Online-Bestellung muss die brasilianische Steuernummer (CPF) angegeben werden. Über eine elektronische Schnittstelle zur Gemeinde wird die Rechnung ausgestellt, auf der auch die Mehrwertsteuer ausgewiesen ist. Wird diese Rechnung nicht bis zum 7. Tag des Folgemonats annulliert, muss die Steuer entrichtet werden, egal, ob der Kunde bezahlt hat oder nicht. Hinzu kommt, dass sich die Mehrwertsteuerrichtlinien in Brasilien von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
Ein Plus dagegen für alle Händler: Die versandkostenfreie Lieferung, wie wir sie hier in Deutschland kennen, existiert in Brasilien kaum. Allerdings erschweren die noch immer entwicklungsbedürftige Infrastruktur und Mängel im staatlichen Postwesen den Versand von physischen Gütern. Im Vorteil sind daher Händler mit digitalen Modellen, beispielsweise im E-Learning Bereich, die sich gleichzeitig schneller skalieren lassen und höhere Renditen versprechen.
Steuern
Die Besteuerung im E-Commerce erfolgt grundsätzlich nach den Gesetzen des stationären Handels. Zunächst einmal fallen PIS/COFINS an, eine Art umsatzabhängige Sozialprogrammabgabe, vergleichbar mit der Mehrwertsteuer. Sie betragen zusammen 9,25 %. Ein Onlineshop, der Dienstleistungen erbringt, muss darüber hinaus die Dienstleistungssteuer ISS (ca. 2 bis 5 %) entrichten, für physische Güter fallen IPI (Industrieproduktsteuer) und ICMS (Umsatzsteuer) an. Das operative Ergebnis wird mit einer Körperschaftssteuer (IRPJ) von 25 %sowie der Gewinnsozialangabe (CSLL) von 9 %besteuert.
Darüber hinaus gelten Steuern, die von nicht-brasilianischen Unternehmungen entrichtet werden müssen, sobald diese Geld ins Ausland überweisen, das aus in Brasilien erbrachten Leistungen gewonnen wurde. Zwischen 15 und 25 % Quellensteuer (IRRF), behält der brasilianische Fiskus im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr direkt an der Quelle ein. Ausschließlich bei Bank-, Finanz- und Versicherungsgeschäften muss zusätzlich die Kapitalverkehrssteuer IOF von 0,38 %entrichtet werden.
Trends
– Social Commerce: Brasiliens Social Network Community entspricht mit rund 80 Millionen Nutzern bereits der deutschen Gesamtbevölkerung und repräsentiert die viertgrößte Nutzergemeinde weltweit. Brasilianer sind ungeheuer affin, was das Einkaufen über Soziale Netzwerke angeht und nehmen vor allem auch den dort angebotenen Kundenservice wahr.
– Mobiles Internet: Der Verkauf von Smartphones hat sich im letzten Jahr mit über 16 Millionen Geräten mehr als verdoppelt und die so genannten Feature Phones bereits überholt. Grundsätzlich verschiebt sich die Internetnutzung in Brasilien immer mehr in Richtung mobiler Endgeräte. Es wird geschätzt, dass 2014/15 die Hälfte der Bevölkerung über Smartphones und Tablets surfen wird – ein zusätzlicher Push für den M-Commerce. Laut aktuellen Prognosen werden bis zum Ende nächsten Jahres rund 5 Prozent aller virtuellen Transaktionen mobil erfolgen.
– Internetpenetration und Kaufkraft steigen weiter parallel: eMarketer prognostizierte unlängst, dass bereits 2015 über 31 Millionen Brasilianer online einkaufen werden. Denselben Erwartungen zufolge, wird sich der E-Commerce Umsatz zu diesem Zeitpunkt auf rund 27 Milliarden USD belaufen.
Trotz kleinerer und größerer Herausforderungen, die im brasilianischen E-Commerce bestehen – Unternehmen, die diese richtig in Angriff nehmen, haben die Chance, eine der am schnellsten wachsenden Absatzmärkte zu nutzen, während lokale, krisengeplagte Märkte stagnieren.
Passend zum Thema: “Internationalisierung: Der Weg zum globalen Erfolg” und “Den Schritt ins Ausland wagen: 3 Tipps zur Expansion“.
Zur Person
Philipp Bock ist Geschäftsführer der allpago international und Partner bei Brazil Ventures. Beide Firmen unterstützen Online-Unternehmen und Zahlungsmitteldienstleister beim Eintritt in den brasilianischen Markt, indem sie lokale Zahlungsmittellösungen sowie Dienstleistungen rund um den Aufbau von Landesgesellschaften anbieten. Zuvor war Bock Geschäftsführer der Bertelsmann arvato services. Dort baute er zunächst die zentrale, globale Marketing Plattform für alle Microsoft Channel Partner auf- und aus.