“Lieferheld hat sich durch die Straftaten einen Vorteil verschafft” – Rechtsanwalt Thomas Brandes im Interview
Ende des vergangenen Jahres berichteten wir exklusiv über die Strafbefehle gegen das Führungsteam des Lieferdienstvermittlers Lieferheld (www.lieferheld.de) – siehe „Lieferheld ganz unheldenhaft: Strafbefehl gegen Führungsteam erlassen“. Der Artikel und die Strabefehle schlugen hohe Wellen in der deutschen Internet- und Gründerszene. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Rechtsanwalt Dr. Thomas Brandes, der die pizza.de GmbH in der Auseinandersetzung mit Lieferheld vertrat, über Strafbefehle, Urheberrecht und Wettbewerbsvorsprünge.
Zunächst einmal zu Ihrer Rolle: Sie haben pizza.de im konkreten Fall gegen Lieferheld vertreten?
Unser Büro berät pizza.de ständig. In dem konkreten Fall haben wir pizza.de in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als Geschädigten vertreten.
Wie nahm dieser Fall seinen Lauf?
pizza.de war Ende 2010 aufgefallen, dass Lieferheld innerhalb weniger Wochen eine Vielzahl von Speisekarten auf ihrem Lieferserviceportal lieferheld.de anbot. Das war für pizza.de überraschend, denn aus eigener Erfahrung wusste pizza.de, dass der Aufbau eines Angebotes von circa 5.000 Lieferdiensten bei ihr über zwei Jahre gedauert hatte. Es musste zunächst der Vertrieb aufgebaut werden. Eine In house-Abteilung musste potenzielle Kunden und deren Adressdaten ermitteln, Routen für die Vertriebsmitarbeiter festlegen und übermitteln. Zu Vertragsabschlüssen kommt es regelmäßig erst nach mehreren Treffen. Pizza.de hat ermittelt, dass im Durchschnitt acht Besuche pro Lieferdienst bis zum Vertragsschluss erforderlich waren. Bei circa 5.000 Lieferdiensten ergibt dies rund 40.000 Besuche Die Online-Shops mussten eingerichtet und die Daten der Lieferdienste erfasst werden. Lieferheld wollte das alles in drei Monaten geschafft haben.
Wie reagierte pizza.de darauf?
pizza.de hat sich die Angebote von Lieferheld näher angeschaut. Dabei fiel auf, dass alle überprüften Speisekarten auf lieferheld.de exakt dieselben Rechtschreibfehler aufwiesen wie bei pizza.de. Dies begründete den Verdacht, dass die Datensätze übernommen worden waren.
Was geschah dann?
pizza.de hat bei Lieferheld angerufen und Lieferheld auf ihr rechtswidriges Vorgehen hingewiesen. Natürlich sollte dies abgestellt und alle rechtswidrig erlangten Daten gelöscht werden. Lieferheld hat dies abgelehnt. So blieb pizza.de nichts anderes übrig, als gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. pizza.de hat Belege gesammelt und dann Strafanzeige erstattet und den Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht beantragt. Im einstweiligen Verfügungsverfahren hat sich Lieferheld verpflichtet, keine Speisekarten von den Seiten von pizza.de mehr systematisch auszuwerten und zu eigenen Zwecken zu nutzen. Das Ergebnis des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist bekannt.
Lieferheld-Chef Niklas Östberg bezeichnete diesen Vorfall kürzlich in einem Interview mit der FAZ als Anfängerfehler. Wie sehen Sie das?
Anfängerfehler ist gut. (lacht). Was damals gelaufen ist, war eine vorsätzliche Straftat. Die Strafbefehle gegen sieben führende Mitarbeiter von Lieferheld zeigen das. Lieferheld hat gezielt Daten von pizza.de abgegriffen und für die eigenen Angebote verwendet.
Dahinter steckt mehr?
Das vermag ich nicht zu beurteilen. Auffällig ist aber folgendes: pizza.de hatte bereits einmal im April 2009 ein Unternehmen wegen unberechtigter Übernahme von Daten abgemahnt und deswegen auch eine einstweilige Verfügung erwirkt. Hierbei handelte es sich um die Mjam GmbH aus Wien. Die Lieferheld GmbH in Deutschland hieß zuvor ebenfalls Mjam GmbH mit Sitz in Berlin. Markus Fuhrmann, einer der Geschäftsführer von Lieferheld, war im Jahr 2009 ebenso Gesellschafter der Mjam GmbH Österreich.
Noch einmal zurück zu den Strafbefehlen: Was bedeutet ein solcher Strafbefehl?
Der Erlass eines Strafbefehls bedeutet nichts anderes als die Verurteilung einer Person wegen einer Straftat. Es gibt nur keine Hauptverhandlung, das Verfahren ist schriftlich. Da die betroffenen Personen hier nichts gegen die Strafbefehle unternommen haben, sind sie rechtskräftig verurteilt.
Das Lieferheld-Führungsteam meinte dazu, dass sie den Ausgang in der Sache nicht für verhältnismäßig hielten, sich aber entschlossen hätten, es zu belassen, um das Thema abzuschließen.
Für die betroffenen Personen dürfte es die beste Wahl gewesen sein, die Strafbefehle zu akzeptieren. Sie haben so die sonst obligatorische mündliche Hauptverhandlung vermieden, in welcher die Einzelheiten der begangenen Straftaten noch einmal im vollen Umfang zur Sprache gekommen wären. Mit den jeweils verhängten 90 Tagessätzen sind sie zwar bestraft, in einem polizeilichen Führungszeugnis werden Taten aber erst bei einer Strafe von 91 Tagessätzen ausgewiesen.
Sie meinen, Lieferheld wollte eine mündliche Hauptverhandlung vermeiden?
Ich hätte dazu geraten.
Östberg, der jetzt alleinige Geschäftsführer von Lieferheld gibt an, pizza.de sei durch die Kopiererei kein großer Schaden entstanden. Lieferheld sei neu gewesen und habe damals nur wenige Bestellungen gehabt.
Ich meine nicht, dass man das so sehen kann. Lieferheld hat sich durch die Straftaten einen Vorteil beim Aufbau seines Geschäfts verschafft. Lieferheld hat die Kosten, vor allem hohe Personalkosten für die Erfassung der Daten und Zeit gespart und so den Wettbewerbsvorsprung von pizza.de verringert.
Zur Person
Dr. Thomas Brandes, Jahrgang 1964, ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und spezialisiert auf die Rechtsgebiete Patentrecht, Markenrecht, Designschutz, Urheberrecht und Wettbewerbsrecht.
“Vermeintlich wider besseren Wissens”
Susanne Mildner, Pressesprecherin von Delivery Hero, schickte uns nach Veröffentlichung dieses Interviews am Dienstag nachmittag folgende Stellungnahme zu, welche wir sehr gerne direkt an dieser Stelle veröffentlichen:
“Herr Brandes versucht hier vermeintlich wider besseren Wissens den Eindruck zu erwecken, wir hätten 5.000 Menüs kopiert und online gestellt. Wie dem Strafbefehl zu entnehmen – so auch z.B. in der FAZ bestätigt – waren 224 Menüs kopiert und online. Der daraus entstandene Schaden lässt sich auf wenige hundert Euro beziffern, da Lieferheld zu diesem Zeitpunkt wenig Umsatz machte. Wenige Wochen nach Onlinegang der Lieferheld Plattform im Januar 2011 einigten sich beide Parteien zivilrechtlich und der Vorgang war damit beendet. Die Aussage von Herrn Brandes, dass Lieferheld vor Einleitung rechtlicher Schritte telefonisch kontaktiert wurde, ist falsch. Lieferheld ist erstaunt über die Kampagnenhaftigkeit in dieser Sache. Wir bedauern zudem, dass Alexander Hüsing unseren Vorschlag eines persönlichen Gesprächs vor fast zwei Wochen schriftlich abgelehnt hat. Zitat: “Vorbeikommen schaffe ich nicht.”
Anmerkung der Redaktion (Alexander Hüsing): Die Einladung von Lieferheld zum persönlichen Gespräch lautete wie folgt: “Schön, dass du Interesse hast. Wir bzw. Nikita würden gern zuerst persönlich mit dir sprechen – am Telefon oder direkt in der Mohrenstr. Ginge es am Montag, 15:30 Uhr oder 13:30 Uhr?” Meine Antwort: “Können gerne am Montag um 13:30 Uhr telefonieren. Vorbeikommen schaffe ich nicht”. Das Telefongespräch fand dann auch statt.
Hausbesuch bei Lieferheld
Anfang November 2011 durfte sich deutsche-startups.de beim Berliner Start-up Lieferheld einmal ganz genau umsehen. In den riesigen Büroräumen – umweit der Friedrichstraße – arbeiten über 100 Lieferhelden in sehr schicken Räumlichkeiten. Das Büro ist vollgepackt mit Bildern von Superhelden aller Art, etlichen großen Pappkameraden und ganz ganz vielen leeren Pizzakartons. Einige heldenhafte Eindrücke gibt es in unserer kunterbunten Fotogalerie.
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