Der methodische Product OwnerDigitale Leute bei Chefkoch.de: Hendrik Neumann
Hendrik Neumann beschreibt wie er Impact Mapping in der Weiterentwicklung der Erlösmodelle von Chefkoch.de einsetzt. Er zeigt uns den typischen Produktentwicklungsprozess von der Marktbeobachtung, über die Product Discovery bis zum MVP.
Dieses Interview erschien zuerst auf unserem neuen Magazin digitale-leute.de. Dort schauen wir mit einer neuen, frischen Perspektive auf die deutsche Digitalszene.
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Hallo Hendrik, was ist deine Rolle bei Chefkoch?
Ich bin Product Owner bei einem unserer sechs Scrum-Teams. Vier Teams kümmern sich um das Kerngeschäft, das heißt die Weiterentwicklung der bisherigen Funktionen und Erlösmodelle. Ein weiterer Produktmanager und ich entwickeln und testen neue Geschäftsmodelle und Features. Diese neuen Ideen erarbeiten wir entlang des Kochlebenszyklus, der beschreibt, wie ein Nutzer für jedes Kochevent mehrere Schritte durchläuft.
Außerdem habe ich bei Chefkoch noch die Rolle des Coaches und Sparringspartners für einen Product Owner, der für die Chefkoch-Akademie zuständig ist.
Worin besteht die Aufgabe eines Product Owners bei Chefkoch?
Der Product Owner bei Chefkoch ist derjenige, der im Konzert mit den verschiedenen Stakeholdern im Unternehmen, dem Entwicklerteam, der Qualitätssicherung, dem Community-Management, dem UX- und Design-Team und den Experten für SEO und Marketing, bestehende Produkte weiterentwickelt und neue Produktentwicklungen anstößt.
Der Product Owner kann und muss sich einzig und alleine auf die fachliche Weiterentwicklung des Produkts konzentrieren. Er muss sich zudem darum kümmern, dass die Projekte angegangen werden, die die Firma vorantreiben und sorgt im Scrum-Team dafür, dass die richtigen Aufgaben im Backlog stehen. Dabei ist es schon von Vorteil, wenn man gewisse Führungsqualitäten hat. Die Optimierung der Prozesse und die Verbesserung der Zusammenarbeit übernimmt aber der Scrum-Master.
Was hat es mit dem Kochlebenszyklus auf sich?
Der Kochlebenszyklus beschreibt die Schritte eines Users, die er für die Durchführung eines Kochevents vollzieht. Zum Beispiel möchte er im ersten Schritt Kochrezepte suchen und finden, nach der Rezeptauswahl geht er dann einkaufen, dann kocht er, isst, und zum Schluss kommuniziert er darüber.
Das ist kein Zyklus, wo jeder jeden Schritt durchläuft. Manchmal muss man für ein Event nicht einkaufen gehen. Aber es ist etwas, das sich ständig wiederholt. Bei einigen findet der im Tagesrhythmus statt, bei anderen im Wochenrhythmus. Bis jetzt wird Chefkoch hauptsächlich als Inspirationsquelle für Rezepte und über seine starke Community wahrgenommen.
Und wo in diesem Prozess bist du tätig?
Rezepte suchen und finden und über das Thema Essen sich austauschen, das findet bei uns schon sehr stark statt und bildet auch unser Kerngeschäft ab. Im Neugeschäft, für das ich zuständig bin, geht es zum einen darum neue Erlösmodelle zu entwickeln, aber auch um die Frage, wie wir die User in den Schritten im Kochlebenszyklus begleiten, in denen wir noch nicht so stark sind.
Unsere Einkaufsliste zum Beispiel hat schon einen ordentlichen Funktionsumfang, es besteht aber noch ein starkes Ausbaupotential. Das ist ein aktuelles Projekt von mir und den Kollegen vom Sales, bei dem es darum geht den User noch stärker beim Einkaufen zu begleiten. Dabei lassen wir immer offen, ob der Einkauf offline oder online durchgeführt wird. Denn Online-Lebensmittelhandel ist in Deutschland noch ein zartes Pflänzchen. In der Schweiz oder in Schweden sieht das schon ganz anders aus.
Wie sieht der Produktentwicklungsprozess bei Chefkoch aus?
Ganz am Anfang steht die Marktbeobachtung und das Auffinden von Marktchancen. Da ist es zum Beispiel meine Aufgabe den Online-Lebensmittelhandel in Deutschland zu analysieren und zu reflektieren, ob es wirtschaftlich oder für den User Sinn macht, wenn Chefkoch daran partizipiert. In unserer Produktvision, in dem der Kochzyklus vorkommt, kann man so etwas wie eine Einkaufsbegleitung in Form einer Einkaufsliste durchaus als nächsten logischen Schritt ableiten.
Dann folgt ein Workshop, die Product Discovery, während dessen wir verschiedene Ideen sammeln, wie das aussehen könnte. Wenn wir in der Product Discovery feststellen, es könnte ein neues Produkt für Chefkoch sein, gibt es verschiedene Methoden, um Ansätze für die Umsetzung zu finden. Wir erstellen da zum Beispiel einen Lean Canvas, mit dem wir Fragen beantworten wie: Wer ist unsere Zielgruppe? Was sind die Probleme dieser Zielgruppe? Mit welchen Features wollen wir diese Probleme lösen? Wie wollen wir damit Geld verdienen? Wie ist die Kostenstruktur?
Das klingt sehr nach Start-up-Methodik!
Wir sind nicht so flexibel wie ein Start-up, denn am Ende sind wir auch Teil eines Konzerns, der längerfristige Strategien verfolgt. Aber wir wollen durchaus die Flexibilität, die ein Start-up hat, wiedererlangen und erhalten. Wir nutzen viele Produktentwicklungsmethoden aus dem Start-up-Bereich.
Woran liegt das?
Es scheint ein allgemeiner Trend zu sein, dass auch ältere Firmen wie die Telekom oder die Post versuchen von Start-ups zu lernen und Projekte mit Scrum zu entwickeln. Scrum heißt ja nicht, dass man alle zwei Wochen die Richtung oder den Fokus verliert, sondern dass man ständig hinterfragt und misst, ob man noch das Richtige tut.
Wie geht es dann weiter im Prozess?
Meist gibt es immer mehrere Optionen sein Ziel zu erreichen und das heißt, man muss sich letztlich für etwas entscheiden und einen Priorisierungsprozess etablieren. Da helfen dann wirtschaftliche Kennzahlen. Aber nicht alles, womit man Geld verdienen kann, passt auch zu Chefkoch. Darum haben wir einen “Purpose”, einen Zweck, definiert. Die Umschreibung dafür ist: Der Grund, warum eine Firma existiert, außer, dass sie Geld verdienen möchte. Das klingt dann etwas pathetisch so:
Wir liefern das Rezept für gemeinsame Momente des Glücks.
Darin enthalten ist, dass es eben um mehr als nur um die Kochanleitung geht, sondern ein Rezept für schöne, gemeinsame Momente. Essen soll verbinden und dient nicht nur zur Nahrungsmittelaufnahme, die hungrige Menschen satt macht. Dieser “Purpose” stellt den Kern unserer Werte dar und jede Idee muss damit konformgehen, wobei es relativ selten vorkommt, das eine Idee dem widerspricht.
Dann folgen Usertests am Prototypen, wir erstellen ein Minimal Viable Product (MVP), was bedeutet, dass wir etwas entwickeln, was bereits in der Lage ist uns zu zeigen, ob das funktionieren könnte. Und daran wird dann iterativ das Produkt entwickelt.
Eine Methode, um herauszufinden, ob man sich auf dem richtigen Weg bei der Produktentwicklung befindet, ist zum Beispiel Impact Mapping. Die Methode zwingt einen dazu ein klar messbares Ziel zu setzen, muss Akteure definieren, die etwas zu diesem Ziel beitragen können und den Impact selbst herausarbeiten, den sie auf dieses Ziel haben sollen. Am Beispiel unserer Einkaufsliste gibt es verschiedene Möglichkeiten die Nutzung der Liste zu erhöhen. Ich kann das Featureset erweitern, aber natürlich auch extern Werbung schalten und so den Traffic erhöhen. Die Frage ist dann: Was ist der effizienteste Weg zum Erfolg? Vielleicht muss ich sogar verschiedene Lösungswege kombinieren.
Wie lange dauert ein Produktentwicklungsprozess für gewöhnlich?
Das ist sehr unterschiedlich. Manche Ideen sterben schon bei der Ideenfindung, während der Product Discovery. Nicht wenige werden nach der Entwicklung des MVP nicht weitergeführt, was den Verlust von bis zu zwei Wochen Entwicklungsarbeit bedeutet. Bei manchen Projekten braucht es sogar Monate, um erste wirklich aussagekräftige Erkenntnisse zu gewinnen.
Welche Rolle spielt Testing bei der Produktentwicklung?
Wir testen bei Chefkoch auf verschiedene Arten. Das können User-Tests sein oder Umfragen, oder man holt einen Kollegen aus einer anderen Abteilung, wenn man schnell mal Feedback braucht. Falsch ist es auf jeden Fall, wenn man Feedback gar nicht, oder sehr spät einholt. Ich habe schon Projekte gesehen, bei denen der Usability-Test der letzte Schritt vor dem Livegang war. Da merkt man natürlich häufig, dass man ein halbes Jahr in die falsche Richtung entwickelt hat.
Unsere UX-Abteilung hat zum Beispiel für einen Usability-Test unserer Einkaufsliste ein eigenes Setup entwickelt. Testleiter und Proband saßen dafür in einem Raum, wir in einem anderen und konnten über einen Monitor den Testverlauf beobachten. Das war sehr interessant als Product Owner mit rein zu hören, wenn so ein Test an einem gerade entwickelten Produkt durchgeführt wird.
Hast du schon mal als Product Owner darüber nachgedacht einen Roboter zu entwickeln, der kochen kann? Die Entwicklung des Thermomix geht da ja so ein bisschen in die Richtung Automatisierung.
Die Benutzer des Thermomix sind eine stetig wachsende Fangruppe, die eine eingeschworene Gemeinschaft sind. An die Entwicklung eines Kochroboters habe ich allerdings noch nicht gedacht. Ich glaube, das würde auch gegen unseren Purpose gehen, denn wenn ein Roboter kocht, dann wird das Essen leblos.
Wenn man sich zum Beispiel Backrezepte anschaut, dann backt niemand, weil er davon satt werden möchte, sondern weil man jemandem damit seine Wertschätzung, vielleicht sogar seine Liebe ausdrücken möchte. Man transportiert immer etwas durch das Essen, das man zubereitet hat, das wird ein Roboter niemals können.
So futuristisch ein Roboter klingt: Ich glaube es ist genau das Gegenteil von dem, was wir fördern möchten.
Am Ende geht es den Leuten immer darum, dass sie selbst gekocht haben und dass sie damit etwas zum Ausdruck bringen wollen.
Ein Thermomix kann auch dabei helfen, das ist dann aber vielleicht auch die Grenze.
Was sind wichtige Themen und Trends in der Produktentwicklung?
Ich bin ein Product Owner, der sich sehr für Methoden interessiert, besonders aus dem Bereich der agilen Softwareentwicklung, also Scrum und Kanban, aber auch aus dem Produktentwicklungsbereich, den man eher mit Start-ups assoziiert. Da geht es dann zum Beispiel um die Lean Start-up Methode und den Lean Canvas.
Das Impact Mapping habe ich ja bereits erwähnt. Ein Scrum-Master hier bei Chefkoch hat diese Methode promoted und ich beschäftige mich seit einigen Monaten damit. Das sollte man sich als Product Owner unbedingt mal anschauen, weil es ein sehr nützliches Tool ist.
Mit Chefkoch sind wir ja im Food-Bereich unterwegs und da muss man in Bezug auf Kommunikation feststellen, dass diese immer bild-lastiger wird. Wenn man sich ein altes Chefkoch-Forum anschaut, dann ist das im Vergleich zu Instagram die reine Textwüste.
Welche Tools verwendet ihr?
Für die Projektverwaltung nutzen wir Jira und ein Wiki. Für das Erfolgstracking haben wir mehrere Tools im Einsatz, zum Beispiel Webtrack. Die interne Kommunikation läuft über Jabber und Mattermost. Aber was am Meisten bei uns im Einsatz ist, sind Post-its und Zettel. Wir haben hier viele beschreibbare Wände und Glas-Wände, die wir mit Zetteln und Post-Ist bekleben. Das ist auch für mich das Werkzeug Nummer eins, gleich nach dem Laptop. Wer schon mal versucht hat zu fünft an einem Monitor zu arbeiten, weiß wovon ich spreche.
Wie zufrieden bist du mit deiner Arbeit und was bedeutet für dich Erfolg?
Ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit, was zu einem guten Teil am Arbeitsumfeld und an den Kollegen liegt. Bei Chefkoch ist es ja so, dass diejenigen, die die Produkte begeistert nutzen, nicht unbedingt die sind, denen wir die Rechnung stellen. Unsere Produkte sind größtenteils werbefinanziert und die User können sie kostenlos nutzen. Erfolg bedeutet darum für mich, wenn User-Zufriedenheit mit wirtschaftlichem Erfolg einhergeht.
Als Product Owner würde ich mich als erfolgreich bezeichnen, wenn ich methodisch so vorgegangen bin, dass ich hinterher weiß, warum es nicht funktioniert hat.
Was wissen die meisten nicht über deinen Job?
Die meisten wissen nicht, dass es diesen Job gibt.
Gibt es etwas, das dich an deinem Beruf nervt?
Ich würde sagen mich nervt, dass Product Owner so schlecht in ihrer Außendarstellung sind, dass niemand weiß, dass es diese Rolle eigentlich in den meisten digitalen Unternehmen gibt.
Was würdest du Leuten empfehlen, die sich überlegen Product Owner zu werden? Erst mal gratulieren, das sie wissen, dass es diesen Job gibt?
Ja. Dann aber auch, dass es erst mal egal ist, wie man in eine Online-Firma reinkommt. Denn innerhalb gibt es viele Wege Product Owner zu werden. Ich kenne Entwickler, die später Product Owner geworden sind, oder auch welche mit Wirtschaftsinformatik-Hintergrund. Wichtig ist ein technisches Verständnis, aber eben auch das wirtschaftliche, um ein Produkt erfolgreich zu machen.
Die Abkürzung wäre es, ein Start-up zu gründen, denn der Geschäftsführer eines Start-ups ist normalerweise auch immer der Chief Product Owner.
Wusstest du, das du eines Tages Product Owner werden würdest?
Nein, ich habe mich nach dem Studium der Geographie mit den Nebenfächern Informatik und Städtebau als Entwickler bei meinestadt.de in Siegburg beworben und bin dort auch genommen worden. Nach einigen Monaten bin ich dann aber schon in das Produktmanagement gewechselt. Danach habe ich evaluiert, ob ich mich im Bereich geographische Informationsdienste selbstständig mache, habe dann aber recht schnell die Reißleine gezogen und bin dann Product Owner bei Chefkoch geworden.
Gibt es Bücher oder Blogs, die du empfehlen kannst?
Da ich so methodenfixiert bin, kann ich die Bücher von Roman Pichler empfehlen und auch seinen Blog. Ich finde das Usability-Blog ganz gut und finde es am interessantesten, wenn man solche Einstiegspunkte nutzt. Denn dort wird viel gegenseitig zitiert und so findet man immer neue Blogs und Kontributoren in der Szene.
Das Büchlein zum Impact Mapping kann ich sehr empfehlen, als auch das Blog, das einen ersten Einstieg ermöglicht.
Was ist der größte Fehler, den du beruflich gemacht hast?
In den ersten zwei Jahren meiner beruflichen Laufbahn habe ich nicht genügend über den Tellerrand geschaut. Wenn man davon ausgeht, dass man alles was man lernen muss, irgendwie in der eigenen Firma beigebracht bekommt, dann wird das glaube ich nichts. Man muss über die eigene Firma, sogar über die eigene Branche hinaus aufmerksam sein für Trends und Veränderungen, weil man sonst nicht mitbekommt, dass sich die Welt weiterentwickelt hat und man nur in seiner eigenen Suppe herumgerührt hat.
Vielen Dank für das Interview!
Webseite: Chefkoch