Kerstin Timm, Head of Blogger Relations bei Artaxodigitale-leute.de
Dieses Interview erschien zuerst auf unserem neuen Magazin digitale-leute.de. Dort schauen wir mit einer neuen, frischen Perspektive auf die deutsche Digitalszene.
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Wir fahren mit dem Bus in Hamburgs Osten zu Artaxo, denn das zehngeschossige Hochhaus liegt ein bisschen Abseits, wie es Kerstin später nett ausdrücken wird. Auf dem Gelände steigt uns der Duft von Schokolade in die Nase. Im Aufzug suchen wir den Knopf für die 10. Etage. Da es ihn nicht gibt, fahren wir in die 9. und gehen eine schmale Treppe in das Office von Artaxo. Der Weg hat sich gelohnt: Ein blauer Himmel und ein glasklarer Ausblick über ganz Hamburg ist die Belohnung. Wir reißen uns vom Ausblick los und setzen uns zum Interview mit Kerstin Timm, um herauszufinden, was die Tools, Taktiken und Methoden einer Head of Blogger-Relations bei Artaxo sind.
Hallo Kerstin, als ich draußen schon mal das Gebäude fotografiert habe, roch es intensiv nach Schokolade! Oder habe ich mir das nur eingebildet?
Nestlé hat direkt nebenan eine Fabrik, und wir werden morgens immer mit Schokoladenduft begrüßt. Wir bilden uns manchmal ein, dass sie diese Orangensticks mit Schokolade machen. Vielleicht täuscht das, aber es riecht hier so.
Wie lange seid ihr schon in diesem Gebäude?
Artaxo ist von Anfang an hier, also seit dem Jahr 2000. Ich bin seit sechs Jahren in der Agentur, davon viereinhalb als Teamleiterin. Zuerst habe ich einen Trainee-Job gemacht und wurde dann übernommen, um den internationalen Blogger-Relations-Bereich aufzubauen. Das hat sich über die Jahre ein wenig gewandelt. Wir haben unsere Ausrichtung hinsichtlich der Märkte geändert. Heute habe ich hauptsächlich ein deutschsprachiges Blogger-Relations-Team.
Wie groß ist deine Abteilung Blogger-Relations?
Meine Abteilung hat einschließlich mir elf Mitarbeiter.
Worin genau besteht deine Aufgabe bei Artaxo?
Als Head of Blogger-Relations bin ich dafür verantwortlich, dass die Projekte funktionieren. Dazu stehe ich mit den Kunden in Kontakt, bespreche Ziele und Aufgaben und treibe die Lead-Generierung voran. Wenn der Auftrag definiert ist, verteile ich die Arbeiten im Team. Während der Auftragsabwicklung übernehme ich die Qualitätskontrolle und stehe immer als Ansprechpartner für Verbesserungsvorschläge und Optimierungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Am Ende des Monats liegt es an mir, Ergebnisse an die Kunden zu reporten. Ich bin aber auch operativ tätig, da ich es ganz wichtig finde, dabei zu sein. Einerseits aus Motivationsgründen, um das Team mitzureißen und immer am Ball zu bleiben. Andererseits um zu sehen, wo die Schwierigkeiten liegen.
Wieviel Prozent sind administrative, wieviel operative Tätigkeiten?
Da sind wir bei 80 Prozent Koordination, Management und Kundenkontakt. Gerade der Kundenkontakt ist sehr zeitintensiv, wobei wir noch zwei Projektmanager im Team haben, die dies ebenfalls übernehmen. Die verbleibenden 20 Prozent bin ich operativ tätig.
Ich kann mir denken, dass du viel mit Bloggern zu tun hast. Bloggst du denn selbst?
Nein, nicht mehr. Alle meine Versuche sind letztlich an der knappen Zeit gescheitert. Was ich aber gelernt habe: Bloggen ist aufwändig. Heute bringe ich Bloggern noch mehr Wertschätzung entgegen, denn ihre Arbeit ist viel wert und muss auch entsprechend entlohnt werden.
Es gibt Facebook-Gruppen, in denen Blogger regelmäßig E-Mails von Agenturen posten, die 50 Euro für einen Text anbieten. Musstest du schon mal deine eigene E-Mail in einer solchen Gruppe lesen?
Zum Glück nicht! Da wir selber zum Teil Blogger sind und gut mit Blogger-Konferenzen und anderen Bloggern vernetzt sind, bekommen wir solche Postings in den Gruppen natürlich mit. Das ist gang und gäbe. Wir sind aber eine Agentur, die Blogger wertschätzt.
Hat die Branche diesbezüglich ein Imageproblem? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
Gerade Blogger haben im Laufe der Zeit unheimlich viele negative Erfahrungen gemacht. Sie denken, Agenturen wollen sie nur ausnutzen und bekommen – als klassisches Beispiel – den Monatsvorrat Müsli angeboten. Und es gibt sie, die Anbieter, die im Bereich Blogger Relations auf Masse ausgerichtet sind. Das ist ein bisschen so wie früher zu den Anfangszeiten im SEO-Bereich.
Aber wenn ich das Gefühl bekomme, dass ich den Blogger nicht erreiche, dann schreibe ich etwas sehr Individuelles oder versuche, mit ihm zu telefonieren, um ihm klar zu machen, dass es sich um ein individuelles Angebot handelt. Obwohl man sagen muss, dass die meisten Blogger nicht telefonieren wollen. Aber man sollte es wenigstens anbieten.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei dir aus?
Ich wache meist zwischen sechs und sieben Uhr auf und bin dann zwischen acht und neun in der Firma. Als erstes bearbeite ich meine Mails, was hauptsächlich Kundenanfragen oder Kundenprojekte sind. Dann kümmere ich mich darum, dass alle Projekte laufen. Dazu spreche ich mit den Mitarbeitern, erkundige mich nach dem Status, gebe Feedback, segne oder lehne Sachen ab. Dadurch halte ich die Projekte am Laufen.
Danach schaue ich, was auf meiner eigenen To-do-Liste steht. Das können neue Aufträge sein, oder dass ich bei einem Kunden nachhaken muss, um herauszufinden, wie wir etwas angehen und planen.
Dann kann es sein, dass ich selbst operativ arbeite und vielleicht mal einen Artikel schreibe. Oder ich bereite interne Schulungen oder externe Workshops vor. Am Ende eines Monats bringe ich unter anderem den Rechnungslauf in Gang.
Wie sieht es hier denn mit der kulinarischen Versorgung zur Mittagszeit aus? Für Schokolade scheint ja schon mal gesorgt zu sein.
Schokolade will man auch nicht jeden Tag essen. In dieser Ecke von Hamburg ist man kulinarisch leider etwas abseits. Darum essen wie hier meistens gemeinsam, was wir uns selbst mitgebracht haben. Wir machen auch regelmäßig Kochevents, bei denen wir gemeinsam Wraps oder Burger zubereiten.
Apropos Events: Welche Rolle spielen Events für deinen Job?
Events sind wichtig. Zum Beispiel für die persönliche Weiterbildung und das Networking. Heute Abend bin ich auf einem Event, das sich mit interkultureller Kommunikation und Kooperation beschäftigt. Das finde ich sehr spannend. Für unsere Kunden sind Events in Form von Blogger-Events wichtig.
Kannst du ein solches Blogger-Event an einem Beispiel erläutern?
Gerne. Wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr ein Blogger-Event mit einer Kartenmanufaktur umgesetzt. Dazu haben wir Blogger zu einem Weihnachtskarten-Bastel-Event in ein süßes schwedisches Café eingeladen. Das passte super zum DIY-Mami-Bereich. Wir hatten eine professionelle Workshop-Leitung, die gezeigt hat, wie man Karten bastelt, und ein Catering. Für die Blogger ist es wichtig, sich gegenseitig kennenlernen zu können. Die kennen sich vielleicht schon aus dem Netz, aber von Angesicht zu Angesicht ist es schon etwas Anderes. Außerdem gab es noch ein Goodie Bag. Danach haben alle fleißig ihre Reviews geschrieben.
Das heißt, ihr organisiert ein Event, und die Blogger kommen und berichten kostenlos?
Die Blogger kommen umsonst und freiwillig, vor allem deswegen, weil sie dort viel geboten bekommen. Das Event ist nicht werblich und der inhaltliche Mehrwert steht absolut im Mittelpunkt.
Parallel zum Event findet bereits eine Social-Media-Begleitung der Blogger statt. Durch den inhaltlichen Mehrwert stellen wir sicher, dass die Blogger selber schreiben, was uns sehr wichtig ist. Es ist ja auch menschlich, etwas zurückzugeben, wenn man etwas bekommt. Man will dem Unternehmen, das den schönen Tag geschenkt hat, einen Post schenken.
Wie können denn weitere Kundenprojekte aussehen und wie entwickelt ihr diese?
Es gibt zum Beispiel Kunden, die mit dem Wunsch auf uns zukommen, die Reichweite eines bestimmten Reiseprodukts zu erhöhen, weil dort die Verkaufszahlen unbefriedigend sind. Da ist zunächst unsere Aufgabe, Ideen zu sammeln, wie ein Projekt mit Bloggern aussehen könnte, um eine bestimmte Reichweite zu erzielen. Wir bereiten dann eine Präsentation vor und warten das Feedback des Kunden ab.
Wenn wir uns mit dem Kunden geeinigt haben, testen wir. Das heißt, wir sprechen mit zwei, drei Bloggern und fragen sie, ob das Konzept grundsätzlich interessant ist. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass es nichts bringt, Content zu kreieren über den am Ende keiner sprechen möchte. Content muss den Nerv treffen und die Blogger-Community interessieren. Denn es soll am Ende nicht nur der Kooperationspartner darüber berichten, sondern auch andere anregen, das Thema aufzugreifen.
Content muss den Nerv treffen und die Blogger-Community interessieren.
Wir nehmen dann das Feedback und gehen in die Umsetzungsphase. Die Projekte, die dabei entstehen, können sehr unterschiedlich sein. Für einen Reisekunden zum Beispiel, ging es darum, die griechischen Inseln zu pushen, weil aufgrund der Flüchtlingskrise viele Leute Bedenken hatten dort Urlaub zu machen. Wir haben mehrere Blogger jeweils auf verschiedene Inseln geschickt und sie eine Woche lang berichten lassen. Gleichzeitig haben wir in einem anderen Format mit Bloggern zusammen Content kreiert und auf der Landing-Page eine Griechenlandkarte mit den verschiedenen Inseln abgebildet. Das war eine Art Klick-Tool, bei dem man die Inseln anklicken konnte und neben allgemeinen Informationen zur Destination einen Reisetipp von einem Blogger bekam. Das lief sehr gut.
Was kostet es einen Reise-Blogger auf eine griechische Insel zu schicken?
Das kostet schon einen vierstelligen Betrag. Gerade im Reisebereich gibt es einige hauptberufliche Reise-Blogger, die durch die ganze Welt tingeln und ihre Aufenthalte über Kooperationen finanzieren.
Wie muss man das im Vergleich zu einem Blogger-Event sehen?
Blogger-Events sind einen Tick teurer und deswegen auch nicht für jede Abteilung interessant. Aber sie sind mindestens so ergiebig wie andere Projekte, denn sie bedienen verschiedene Ziele gleichzeitig. Wenn man nur das Budget einer Abteilung im Auge hat, zum Beispiel das einer SEO-Abteilung, dann wird sie beispielsweise 8.000 Euro für zehn Links als überteuert empfinden. Aber wenn man noch die Interaktionen in den sozialen Netzwerken und die Brand-Awareness als Währung mit rein nimmt, dann ist das unheimlich viel, was man für die 8.000 Euro bekommen hat.
Wie vergibst du die Aufgaben im Team?
Das funktioniert tatsächlich per E-Mail und im direkten persönlichen Gespräch. Ich sichere mich aber doppelt und dreifach ab, dass die Anforderungen auch bei allen ankommen. Wir benutzen ein Tool, das wir selbst programmiert haben. Darüber wickeln wir die Aufträge ab.
Wie heißt das Tool, und was kann das alles?
Das Tool stammt noch aus der SEO-Zeit und heißt Link-Hunting-Tool, kann aber alles Mögliche. Für die Mitarbeiter ist es zum Beispiel eine Art To-do-Liste in Kachelform. Jeder Mitarbeiter durchläuft mit seinen Projekten die Schritte eins bis zehn. Eins heißt, das Projekt wurde gerade angelegt, zwei heißt, ich habe jetzt den Auftrag und die Aufforderung, da etwas zu machen. Drei bedeutet, dass man sich passende Kooperationspartner heraussucht, vier, dass man den potentiellen Kooperationspartner kontaktiert und die Details bespricht. Und so weiter und so fort. Das Tool verwaltet auch unsere Kontakte, und die Buchhaltung wird ebenfalls darüber abgewickelt. Das Tool hat riesige Excel-Tabellen abgelöst, die regelmäßig explodiert sind.
Ist ein Monitoring in dieses Tool integriert?
Das ist nicht integriert, da wir die Marketing-Aktivitäten für andere Unternehmen übernehmen und nicht immer den Analytics-Zugang haben. Das heißt, wir wissen manchmal gar nicht, wie viele Leute über unsere Kampagne auf eine Webseite oder eine Landing-Page gekommen sind.
Aber wie bekommt ihr mit, wie oft ein Blog-Artikel zum Beispiel geklickt wurde?
Nicht jeder Blogger hat Analytics. In dem Fall muss im Vorfeld geklärt werden, ob es am Ende eine Art Reporting gibt. Manchmal bekommen wir einen Screenshot oder auch die Zugangsdaten.
Welche Tools nutzt ihr noch?
Es kommt immer auf die Zielsetzung an. Wenn es ein Kunde aus dem SEO-Bereich ist, dann nutzen wir die gängigen SEO-Tools wie Sistrix, Searchmetrics und Majestic. Im Bereich Social Stats nutzen wir Influma oder auch kleinere Tools und Add-Ons wie Follower Wonk, das im Übrigen auch ein sehr gutes Tool ist, um Blogs zu finden. Der beste Weg Blogger zu finden ist aber immer noch die klassische Suchmaschine wie Google, Bing, die französische Suchmaschine Qwant oder DuckDuckGo.
Was ist dein persönlich wichtigstes Tool? Was brauchst du zum Arbeiten?
Auf jeden Fall mein Notizbuch. Ich habe immer ein kleines Notizbuch dabei, in das ich meine ganzen To-dos, Aufgaben und Kundenanforderungen eintrage, damit das nicht verlorengeht. Außerdem brauche ich auf jeden Fall einen zweiten Monitor. Ich kann auch gar nicht mehr zu Hause arbeiten, weil mir der zweite Monitor fehlt.
Darüber hinaus brauche ich immer ein bisschen Action um mich herum. Ich habe es ganz gerne, wenn Leute um mich herum an einem Projekt arbeiten und sich besprechen. Dann bin ich mit einem Ohr dabei und bekomme ein bisschen was mit.
Bist du zufrieden mit deiner Arbeit?
Ich bin ein Perfektionist und denke häufiger, das hätte noch besser gehen können. Aber ich glaube, es ist schon recht solide, was ich abliefere. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht in dieser Position.
Wie würdest du die Arbeit, die ihr macht, beschreiben?
Wir sind Vermittler. Wir vermitteln zwischen Unternehmen und Kunden, Bloggern und Dienstleistern. Für uns fühlt sich das so an, dass wir eigentlich mit zwei Kunden zu tun haben. Wir müssen den eigentlichen Kunden zufriedenstellen. Das ist derjenige, der das zahlt. Aber wir müssen auch den Blogger zufriedenstellen. Denn hinter ihm steht eine Community, die unheimlich mächtig ist. Wenn man sich daneben benimmt, weil man nicht rechtzeitig bezahlt, oder weil man andere Anforderungen an den Artikel oder die Kooperation hat, läuft man Gefahr, einen Shitstorm auszulösen.
Wer sich daneben benimmt oder nicht rechtzeitig bezahlt, läuft Gefahr einen Shitstorm auszulösen.
Was empfiehlst du Leuten, die sich überlegen beruflich in den Bereich Blogger-Relations einzusteigen?
Es schadet sicherlich nicht, wenn man ein eigenes Blog hat. Denn dann kann man die andere Seite ganz gut verstehen und hat auch Anknüpfungspunkte im Gespräch. Um sich zu vernetzen, sollte man auf die zahlreichen Konferenzen gehen, die es gibt. Hier kann ich die jährlich stattfindende BLOGST empfehlen. Da lernt man nicht nur, wie Blogger ticken, sondern kommt auch mit ihnen in Kontakt.
Welche Ausbildung ist hilfreich, wenn man in deinem Bereich arbeiten möchte?
Es hilft, wenn man Marketing oder BWL als Schwerpunkt hatte. Wir haben bei uns im Unternehmen aber auch Leute aus ganz unterschiedlichen Bereichen, wie zum Beispiel Germanistik oder Philosophie. Wichtiger als die Ausbildung ist die Freude am Umgang mit Menschen und Organisationsstärke. Und man darf sich auch nicht von der Hektik, die im Agenturalltag entstehen kann, aus der Fassung bringen lassen.
Welche Bücher oder Blogs kannst du zu deinem Bereich empfehlen?
Es gibt sehr wenig Spezielles dazu, denn das Thema Blogger Relations wird generell immer auf normalen Online-Marketing-Plattformen aufgegriffen. Da lese ich zum Beispiel bei Zielbar ganz gerne, oder, wenn es in Richtung Suchmaschinenoptimierung geht, searchengineland oder marketingland natürlich.
Zudem würde ich mich eher in Facebook-Gruppen aufhalten und auf Konferenzen gehen, um sich weiterzubilden und sich generell mit dem Thema Einflussnahme oder Influencer-Marketing zu beschäftigen. Als Buch kann ich Return on Influence von Mark Schaefer empfehlen. Darin geht es um Überzeugungstechniken, also wie man eine Kooperation einfädelt, sodass alle glücklich sind.