“Die Internet-Industrie Deutschlands spielt leider in der zweiten Liga” – Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel
Die Internet-Industrie Deutschlands spielt leider in der zweiten Liga – Offener Brief von Johannes Reck, Mitgründer und Geschäftsführer von GetYourGuide (www.getyourguide.de), an Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
für uns Internet-Unternehmer war es eine sehr große Ehre, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, und der Vize-Kanzler, Herr Philipp Rösler, sich am vergangenen Donnerstagabend die Zeit genommen haben, um mit der deutschen Start-Up Szene auf Tuchfühlung zu gehen. Dies war ein klares Signal, dass die Internet-Industrie in Deutschland auch in den höchsten politischen Kreisen Respekt und Anerkennung findet. Wir beschäftigen mittlerweile eine signifikante Anzahl an Arbeitnehmern und füllen mit beachtlichen Etats die abendlichen Fernseh-Werbeblöcke. Vor allem aber wachsen wir im Gegensatz zu vielen Industriezweigen am Wirtschaftsstandort Deutschland nach wie vor mit einem rasanten Tempo. Wie Sie es sehr deutlich auf den Punkt gebracht haben, geht an der Digitalisierung der Welt kein Weg vorbei, und wir stehen auf dieser Strecke erst am Anfang.
Trotz der positiven Entwicklung, einer hervorragenden Infrastruktur und einem exzellenten Bildungsniveau spielen die Internet-Industrien Deutschlands und Europas leider im internationalen Vergleich noch in der zweiten Liga. An unseren Universitäten haben wir ausgezeichnete Ausbildungen in Informatik und Elektrotechnik, und dennoch haben wir es nicht geschafft, nachhaltige und auch international erfolgreiche Internet-Unternehmen aufzubauen, so wie es in Silicon Valley, Boston, New York oder London der Fall ist.
Mit besseren Rahmenbedingungen haben wir die Chance, auch in Deutschland ähnliche Cluster einzuführen, und so die Position Europas als dynamischen und zukunftsorientierten Standpunkt in der Weltwirtschaft zu stärken. Die folgenden drei Punkte würden Jungunternehmern im Start-Up Sektor in Deutschland stark helfen, die schwierige Anfangsphase besser zu überstehen:
1) Senkung der Steuern & betrieblichen Lohnnebenkosten für Jungunternehmen
Falls Sie es geschafft haben, als Unternehmer eine Finanzierungsrunde abzuschließen und zusätzliches Personal einzustellen, wird in Deutschland ein Großteil des Kapitals durch hohe Einkommenssteuersätze, aber vor allem auch durch hohe Lohnnebenkosten an den Staat abgeführt. Dies führt dazu, dass viele Start-Ups einen viel zu hohen Anteil an Praktikanten in der Frühphase beschäftigen, für die keinerlei Nebenkosten und Steuern anfallen und die teilweise sogar noch staatliche Unterstützung bekommen. Dies ist eine Perversion des Systems und kann nicht im Anliegen des Staates sein. Junge Unternehmen sollten von Abgaben und Steuern in den Anfangsjahren so weit wie möglich entlastet und erst dann zur Kasse gebeten werden, wenn sie die Gewinnzone erreicht haben.
2) Lockerung des Arbeitsrechts
Die meisten Jungunternehmen müssen mit befristeten Verträgen, Freelancern oder ähnlichen Konstrukten arbeiten, um flexibel zu bleiben, und sich schneller den Marktbedingungen und dem internationalen Wettbewerb anzupassen. Dies ist absurd, denn gerade für junge Unternehmen ist es wichtig, Arbeitnehmer an das Unternehmen langfristig zu binden und eine starke Unternehmens-kultur zu entwickeln. Gleichzeitig ist es aber essentiell, dass junge Unternehmen genügend Spielraum haben, um die Personalkosten – die in Internet -Unternehmen oftmals die höchsten Kosten sind – flexibel auf die betriebliche Entwicklung und der Finanzierungslage anzupassen. Unser deutsches Arbeitsrecht wurde für große Konzerne konzipiert, entspricht jedoch nicht der Realität eines modernen Start-Ups.
3) Förderung von universitären Gründungen
Die großen amerikanischen Internet-Unternehmen wie Google, PayPal und Facebook sind zum überwiegenden Teil im Nukleus der Universitäten entstanden. In Amerika gibt es ein extrem ausgereiftes System, um Innovationen an Hochschulen zu fördern und in Form von neuen Produkten und Firmengründungen weiterzuentwickeln. An den Universitäten gehören Entrepreneurship Kurse zum Pflichtprogramm, und die meisten Risikokapitalinvestoren haben ihre Büros nur wenige Minuten entfernt. Dieses Ökosystem fehlt uns noch, es ist aber unerlässlich, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Auch hier kann die Politik eine tragende Rolle spielen, so wie es mit der Exzellenz Initiative bereits ansatzweise versucht wird.
Die deutsche und somit die europäische Wirtschaft würden stark von neuen, flexibleren Rahmenbedingungen für Jungunternehmen profitieren. Wir müssen in Europa einen gemeinsamen Weg gehen, um dynamische Cluster zu entwickeln, in denen neue Unternehmen enstehen und schnell gedeihen können. Ihre Unterstützung und Ihr Einsatz in Deutschland, um dies möglich zu machen, wären ein starkes Signal für unsere Wirtschaft und ein essentieller Schritt, um auch hier weltweit eine tragendere Rolle zu spielen.
Ich stehe Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung, um diese Punkte noch tiefgründiger zu erörtern.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Reck
Die Berliner Start-up-Rede von Angela Merkel
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