Believe the Hype – Ein Streifzug durch die deutschsprachige Musik-Start-up-Landschaft
Webbasierte Musikanwendungen erleben derzeit ihr Allzeit-Popularitätshoch. Kaum eine Woche vergeht, in der es nicht einer der Global Player á la Spotify, turntable.fm, Google Music oder Pandora in die Schlagzeilen der deutschen Medien schafft. Dies mag bisweilen etwas absurd erscheinen, ist doch kein einziger dieser Dienste bis dato in Deutschland offiziell verfügbar. Als größtes Hindernis für die Expansion der internationalen Shootingstars in den deutschen Markt wird zumeist das rigide Verhandlungsregime der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA ins Feld geführt. Für die hiesige Musik-Start-up-Szene haben sich die verschärften Rahmenbedingungen aber nicht nur nachteilig ausgewirkt.
Einerseits bewahrten diese sie vor einem frühzeitigen Eintritt der internationalen Schwergewichte, und andererseits waren sie gezwungen, alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. So konnte sich in den vergangenen Jahren eine bisweilen glamouröse und gleichzeitig nachhaltige Musik-Start-up-Landschaft in Deutschland entwickeln, die jetzt ihrerseits selbstbewusst auf Internationalisierung setzt.
Die einsame Spitze
In puncto Glamour und erfolgreicher Internationalisierung kann dem Berliner Start-up soundcloud (www.soundcloud.com) im gesamten deutschsprachigen Raum keiner das Wasser reichen. Kurz gesagt, ermöglicht die Plattform Musikkünstlern und Prosumern die Bereitstellung von selbst produzierten beziehungsweise bearbeiteten Tracks als Stream oder zum Download. Soundcloud hat damit mehr oder weniger die Funktion des ehemaligen Platzhirschen MySpace übernommen, der inzwischen nahezu in der Bedeutungslosigkeit versunken ist. Gegründet von Alex Ljung und Eric Wahlforss, beide schwedische Staatsbürger mit einem persönlichen Faible für die Kultur- und Partymetropole an der Spree, hat sich Soundcloud seit der Gründung 2007 zum wahrhaft globalen Player mit über fünf Millionen Nutzern gemausert. Eine 10 Millionen US-Dollar VC-Spritze von Union Square Ventures und ein Investment von A-Grade, der VC-Firma von Ashton Kutcher, dürften Soundcloud bis auf weiteres einen sicheren Platz in der Riege der heißesten Musik-Unternehmen weltweit sichern.
Alte Hasen
Der Music-On-Demand Dienst simfy (www.simfy.de) aus Köln, in der internationalen Fachpresse nicht selten als „The German Spotify“ (www.spotify.com) betitelt, bietet seinen circa eine Million Nutzern ein Repertoire von über 13 Millionen Tracks. Die werbefinanzierte Basis Version war bis vor kurzem noch kostenlos nutzbar. Ein in jeder Hinsicht unbezahlbares Marketing-Tool, das zeitgleich zum Launch von Spotify in Österreich und der Schweiz auf eine monatliche Nutzungsdauer von fünf Stunden reduziert wurde. Ein Schritt, der von einigen Kommentatoren bereits als „Kapitulation“ vor dem in Kürze erwarteten Markteintritt des schwedischen Konkurrenten gewertet wurde, der gerade seine eigene App-Plattform inklusive neuer Partner, wie beispielsweise last.fm, vorgestellt hat. Spotify musste zuvor aber auch einen Tiefschlag hinnehmen, als eine große Zahl von Indie-Labels ihr Repertoire aus dem Streaming-Angebot öffentlichkeitswirksam entfernen ließen. Begründung für diesen Schritt waren drastische Verkaufsrückgänge bei iTunes, die angeblich durch die verstärkte Nutzung des Streaming-Dienstes entstanden seien.
Foto-Streifzug durch die Musik-Start-up-Szene
Generell muss das Music-On-Demand-Geschäftsmodell noch unter Beweis stellen, dass bei einer Vergütung pro gestreamtem Song genug Werbeeinnahmen erzielt beziehungsweise Premium-Abos verkauft werden können, um am Ende schwarze Zahlen zu schreiben. Gegründet vom jetzigen CIO Steffen Wicker, wurde Simfy später Teil der Musicnetworx AG unter CEO Gerrit Schumann, die inzwischen aber als Simfy AG firmiert. Ausgestattet mit einem zweistelligen Millionenbetrag hat simfy nach der Expansion nach Österreich und in die Schweiz jetzt den Sprung nach Belgien gewagt. Für das erste Halbjahr 2012 seien die nächsten Schritte in Richtung Internationalisierung bereits geplant, „vor allem in Europa gibt es noch einige interessante Möglichkeiten“, erklärt Simfy-Pressesprecher Marcus von Husen gegenüber deutsche-startups. In Österreich und der Schweiz, wo die beiden Konkurrenten jetzt erstmals direkt aufeinander treffen, ist die Abwehrschlacht bereits in vollem Gange.
Auch Aupeo (www.aupeo.de) gehört zu den etablierten Playern im deutschen Online-Musikgeschäft. Die Berliner bieten personalisierte Audiostreams, basierend auf einer Empfehlungstechnologie des Fraunhofer-Instituts sowie redaktionelle Radiostationen. Aupeo ist aber auch auf einer beachtlichen Reihe von internetfähigen Endgeräten vertreten: die Liste reicht von Wireless Sonos HiFi-Systemen über Loewe Designer-TVs bis zum Pioneer Autoradio. Globale Hardware-Bundlings, basierend auf den extrem guten Kontakten in die internationale CE- und Automotive-Industrie, gehören seit jeher zu den Kernkompetenzen von Aupeo. Viel internationales Lob bekam das Team um CEO Holger G. Weiss und Gründer Armin G. Schmidt für die gelungenen mobilen Applikationen, speziell für die aktuelle iPad App. Weitere Plattformen, darunter auch Windows Phone, sollen bald folgen. Aupeo ist ein klassisches Freemium Modell: Nutzer können den Service sofort und ohne Registrierung kostenlos und unbegrenzt nutzen. Werbefreiheit muss allerdings, wie bei Pandora, dem inzwischen börsenotierten US-Vorbild, per Premium-Abo erkauft werden. Bei Aupeo setzt man schon seit dem Start 2009 auf Internationalität, was sich auch im multinationalen Mitarbeiterstab widerspiegelt. Das Webradio-Angebot wird ist weltweit erhältlich, wird aber lokalisiert ausgeliefert. Weit oben auf der Agenda steht derzeit die Weiterentwicklung der Musikentdeckung, einer Kernfunktion von Aupeo. Gegenüber deutsche-startups verrät Holger G. Weiss: „In den kommenden Wochen wird es hierzu einige spektakuläre Neuerungen geben“. Für die Finanzierung sorgt ein Konsortium von VCs, darunter die IBB Beteiligungsgesellschaft.
New Kids on the Block
Gefragt nach der Grundidee von wahwah.fm (www.wahwah.fm), bringt es CEO Philipp Eibach mit großer Bildmacht auf den Punkt: „wahwah.fm funktioniert wie eine Art Zweiwege-Taschenradio mit integrierter Chat-Funktion“. Das Neuköllner Start-up, das letzte Woche sein erstes Wagnis-Kapital von Hasso Plattner Ventures erhalten hat, will Anfang des Jahres mit einer Weiterentwicklung seiner App aufs internationale Parkett. Mit wahwah.fm können Personen, Orte oder auch Produkte als kleine Radiostationen auf Sendung gehen, womit auch schon die Frage nach einer möglichen Monetarisierung des Angebots beantwortet wäre. Wahwah.fm ist eine schöne Webradio-Adaption, die ein Grundversprechen des Internet einlöst, wonach jeder Empfänger zugleich auch Sender sein kann. Damit Nutzer ihre Mikroradio-Kollegen auch mal persönlich im Biergarten für ihren guten Musikgeschmack loben können, bietet wahwah.fm eine Radiolandkarte. On Top gibt es noch eine Chat-Funktion. Bisher konnten Tracks für die eigene Radiostation lediglich aus dem Soundcloud-Repertoire eingespeist werden. Mit der neuen Version der „Social-Music-App“ inklusive GEMA-Lizenzierung können zukünftig alle auf dem Sender-Smartphone abgespeicherten Titel für die Programmgestaltung genutzt werden.
Verhandlungen mit der GEMA müssen die beiden Geschäftsführer des Züricher Start-ups Fellody (www.fellody.com) zum Glück nicht führen. Die Music-Matching-Plattform ist erst seit Ende September in der offenen Beta-Phase und soll Menschen mit gemeinsamen musikalischen Vorlieben zusammen bringen. Ein Matching-Algorithmus analysiert über die Musik-Bibliotheken von iTunes oder Windows Media Player das Hörverhalten der User und ermittelt so deren „Musikgeschmack“. Seit letzter Woche können Nutzer des Angebots auch ihr Last.fm-Musikprofil mit der Fellody-Community abgleichen lassen. Als Resultat spuckt Fellody eine Rangliste mit den Usern aus, die musikalisch am besten passen. Andere Gemeinsamkeiten lassen sich, ähnlich wie bei herkömmlichen Flirt- und Dating-Plattformen, durch kurze Fragebögen ermitteln. Bisher ist die Funktionalität von Fellody noch recht rudimentär und die Anzahl der potentiellen Flirt-Partner überschaubar, doch das Konzept ist definitiv ausbaubar: „Wir verhandeln gerade mit weiteren Music Streaming und -Recommendation Services, um deren Mitgliedern eine Schnittstelle zu Fellody zu bieten“, erklärt dazu CEO Robin Simon. In einem für die nächsten Wochen geplanten Update sollen erste Premium-Funktionen enthalten sein. Anfang 2012 wird es dann auch Mobile Apps für iOS und Android geben. Eine erste Investorenrunde ist ebenfalls für das erste Quartal 2012 geplant, bisher ist Fellody privat finanziert.
Hausbesuch bei Aupeo
Weniger ist eben doch manchmal mehr, besonders im Fall von musicplayr (www.musicplayr.com), einem – und dies verrät bereits der Name – webbasierten Player zum Sammeln und Teilen von Musikinhalten aus dem Web. Das Bootstrap-Projekt von Gründer und CEO Thorsten Lüttger, das auf einem Freemium-Geschäftsmodell à la Evernote beruht, hat es in kürzester Zeit zu einer stattlichen Reihe von internationalen Ehrenbekundungen gebracht, zuletzt bei den Tech-Startup-Awards „The Europas“ aus dem Hause TechCrunch. Hier unterlag musicplayr zwar dem Londoner Webradio-Portal Mixcloud, wurde aber zusammen mit Songkick, einem Konzert-Erinnerungsservice, in die Gruppe der besten sechs Entertainment-Start-ups gewählt. Gefragt nach der Zukunft von musicplayr erklärt Lüttger: “Wir vereinfachen das Hören, Entdecken und Bloggen von Webmusik. Mit ein bisschen Glück könnte es uns gelingen, eine echt neue Social-Music-Plattform zu kreieren. Neben Konsumenten sprechen wir bereits mit Künstlern, um deren Bedürfnisse zukünftig auch befriedigen zu können.“ Demnächst wird musicplayr von Köln in das Betahaus nach Berlin umziehen.
Turntable.fm (www.turntable.fm) ist nach Meinung vieler maßgeblicher Beobachter der Musik-Start-up-Szene die Killer-App des Jahres. Die virale Verbreitung der US-amerikanischen Social-DJing-Plattform vollzog sich – auch hierzulande – rasend schnell, was dann auch unmittelbar zur Abschaltung des Angebots in Deutschland führte. Seither wartet die Fan-Gemeinde auf einen würdigen Nachfolger oder zumindest einen brauchbaren Lückenfüller. Mitte dieses Monats wurde nun der erste deutsche Klon namens djparty.fm (www.djparty.fm) von ClubCooee, Anbieter der gleichnamigen 3D-Chat-Community, ins Rennen geschickt. Der Service ist für die Nutzer kostenlos und soll über Werbung finanziert werden. Unabhängig davon sollen die User virtuelle Güter wie Bekleidung für ihre Avatare oder Gegenstände zur Erstellung eigener virtueller Club-Räume erwerben können. Aus Sicht von Stefan Lemper, Geschäftsführer der Cooee GmbH, eignet sich die visuelle 3D Umgebung aber auch zum Vertrieb von realen Gütern wie Musik-Merchandise-Artikeln. Auch wenn nach Lempers Ansicht globale Spieler wie Google, Amazon oder Apple den Massenmarkt perspektivisch immer stärker prägen werden, sieht er durchaus eine wichtige Rolle für deutsche Start-ups: „Die Chancen innovativer Services wie DJparty.fm oder Soundcloud liegen darin, neue Anwendungsmöglichkeiten und Mehrwerte um das reine Musikstück herum zu schaffen“. In puncto Geschäftsmodell mag dies aufgehen, allerdings wirkt die Ästhetik von djparty.fm im Vergleich zum schlanken und damit webtauglichen Design von Turntable.fm überfrachtet – für das 3D-Feuerwerk muss dann leider auch ein Browser-Plugin heruntergeladen werden. Die Tracks zum Auflegen kommen von Grooveshark, Soundcloud und YouTube. Anders als Simfy zählt djparty.fm im Übrigen nicht als Music-On-Demand-Angebot sondern als Webradio und führt entsprechend niedrigere Gebühren an die GEMA ab.
Foto (ganz oben): istockphoto
Autor: Eric Eitel, der als PR- und Social Media-Berater für Neue Medien, Musik- und Kultur-Projekte arbeitet. Als freier Autor schreibt er unter anderem für das Musikfachmagazin Musikmarkt und twittert unter @alias_eitel