Über Risiko – Kolumne von Thomas Clark

Kürzlich durfte ich mit Walter Gunz zu Abend essen, dem Gründer der Media-Markt-Gruppe. Er beehrte uns im Juli beim „Kick-off“-Meeting aller beteiligten Sponsoren für die neue Runde von enable2start (www.enable2start.de). Bei Bier und […]

Kürzlich durfte ich mit Walter Gunz zu Abend essen, dem Gründer der Media-Markt-Gruppe. Er beehrte uns im Juli beim „Kick-off“-Meeting aller beteiligten Sponsoren für die neue Runde von enable2start (www.enable2start.de). Bei Bier und Braten plauderte er freimütig über seine unternehmerischen Anfänge. Gunz war erfolgreicher Abteilungsleiter bei Karstadt, als er 1979 kündigte, genervt von den Konzernstrukturen der Kaufhauskette. „Verdammt, was mache ich jetzt“, dachte er wenig später. Damals war er fasziniert von der Idee, auf mehreren tausend Quadratmetern Verkaufsfläche sämtliche TV-Apparate, Stereoanlagen und andere Elektrogeräte an einem einzigen Verkaufsstandort auszustellen, für jeden zum Anfassen – und Mitnehmen. In der Ära der kleinen Fachhändler war das – man mag es heute kaum glauben – revolutionär. Die Idee umzusetzen war jedoch: teuer. Sehr teuer!

Gunz „schnorrte“, wie er es selbst ausdrückte, vorerst 20.000 Mark von der Oma. Dann schaffte er es, einen Kredit über 500.000 Mark zu erhalten. Dafür verpfändete er seine Eigentumswohnung. Auch das reichte nicht, die Kosten für den Großteil der anfangs bestellten Ware blieb er schuldig.

Als wäre das finanzielle Risiko nicht genug (nicht vergessen, wir sind in den 70er Jahren), stellte er noch vor der Eröffnung zwölf Mitarbeiter ein – Weggefährten von Karstadt, die seinem unternehmerischen Gespür vertrauten. So ein Vertrauensvorschuss mag schmeichelnd sein, doch die Last der Verantwortung… puh! Viele dieser Menschen, die für ihn gekündigt hatten, waren Alleinverdiener und mussten eine Familie versorgen. Gunz wusste: Würden die ersten Tage nicht so laufen wie kalkuliert, könnte er diese Mitarbeiter gleich wieder auf die Straße setzen. „Im Einzelhandel ist der erste Verkaufstag ein sehr guter Indikator, ob ein Geschäft läuft oder nicht“, erklärte er uns; „ich hatte mir vorab ausgerechnet, dass ich am Eröffnungstag mindestens 200.000 Mark umsetzen muss, damit das Konzept eine Chance hat. Wenn wir darunter geblieben wären, hätte ich am Abend gleich wieder zumachen können.“ Gunz hatte Glück – der Kassensturz am Tag 1 brachte 365.000 Mark zum Vorschein. Seine Mega-Vision eines neuen Verkaufskonzepts im Elektrohandel funktionierte. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.

An diesem Abend versuchte ich mich in die Lage von Walter Gunz vor dem Eröffnungstag zu versetzen. „Wahnsinn“, dachte ich, „was für ein Risiko dieser Mensch eingegangen ist.“ Er hätte sein gesamtes Vermögen verlieren können (damals gab es noch nicht mal einen Gläubigerschutz für Private) und hätte zudem enorm viel verbrannte Erde hinterlassen.

Würde ich jemals so ein Risiko eingehen? In Retrospektive hat sich die Sache für Gunz und seine Weggefährten mehr als ausgezahlt. Wer würde da nicht in seinen Schuhen stecken wollen. Doch kommen auf einen Gunz nicht unzählige Möchtegern-Visionäre, die als Pleitiers enden?

Was passiert, wenn man wagt, aber nicht gewinnt? Kann man sich jemals verzeihen, dass man so ein enormes Risiko eingegangen ist, wenn das Fazit am Ende lautet: „Much risk, but no fun.“

Ich rief Jan Rosenkranz an, um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Jan ist einer der Sieger der ersten Staffel von enable2start (2007/08). Sein Vision war, dass Systemgastronomie à la McDonalds auch für Bio-Food funktioniert. Dafür kündigte er seinen Job als Geschäftsführer, investierte einige Hunderttausend Euro seines eigenen Geldes, mietete sich eine große Restaurantfläche in der Hamburger Innenstadt, richtete andernorts eine Großküche ein, an einem dritten Ort ein Büro – und los ging es, mit Nat. Es sprach vieles dafür, dass die Idee funktionieren kann. Vapiano (www.vapiano.de) läuft schließlich auch ganz gut. Nur: Es klappte nicht. Nach einem Jahr zog Jan den Stecker – mit einer Million Bankschulden und 400.000 Euro an Verbindlichkeiten für Lieferungen und Leistungen. Einem Husarenstück gleich, schaffte er es trotzdem, die Insolvenz zu vermeiden und mit jedem einzelnen Gläubiger solange über Schuldennachlass zu verhandeln, dass er geordnet liquidieren konnte. Doch das dauerte – fast zwei Jahre. „Alles in allem haben mich Gründung und Stilllegung sechs Jahre meines Lebens gekostet – und sehr viel Geld“, zog er trocken Resümee. Ich fragte ihn, ob er sich rückblickend für das Risiko, das er damals eingegangen ist, nicht immer wieder verflucht. „So richtig geläutert bin ich nicht“, meinte Jan. Dass seine Frau für sein unternehmerisches Wagnis nicht mit haftet und somit auch seine beiden Kinder nicht in die komplette Armut stürzen, dafür habe er schon vor der Nat-Gründung gesorgt. Dass er irgendwann wieder die Selbständigkeit wagt, sei für ihn „keine Frage“.

Derzeit ist Jan Berater und Interims-Manager. Er steuert auf die 50 zu. Trotzdem glaube ich ihm sofort, wenn er am Telefon andeutet, dass sein unternehmerisches Feuer noch immer brennt. Er habe während der Zeit mit Nat viel gelernt. Dinge, die auf seine Lebensbilanz sehr positiv einzahlen.

So eine Aussage ist typisch für Jan, auch wenn er sein Tun intensiv reflektiert und rationalisiert. „Klar kann man einwenden, dass es besser gewesen wäre, wenn ich nicht alle Eier in einen Korb gelegt, sondern meine finanziellen Mittel gestreut hätte. Gute Portfolio-Manager machen das ja auch so.“

Doch Jan ist kein Portfolio-Manager. Er ist Unternehmer, durch und durch. Und die sind nun mal qua Naturell stets bereit, alle Eier in einen Korb zu geben, wenn sie von einer Idee überzeugt sind. Deshalb bleibt vor richtigen Unternehmertypen ein Plädoyer über Risikominimierung am Ende immer nur eins: theoretisches Geplänkel.

Und was mich betrifft?

Ich fürchte, ein richtiger Unternehmer bin ich (noch) nicht. Eher ein Dienstleister, der selbständig ist.

Das ist etwas anderes.

Zur Person
Thomas Clark heißt irgendwie britisch, spricht irgendwie österreichisch und lebt in Hamburg. Er betreut die Gründerinitiative enable2start (www.enable2start.de), bei der sich Gründer derzeit bewerben können. Thomas ist Gründer und Geschäftsführer von Ambo Media, einer Agentur für die Entwicklung und Umsetzung von Kommunikationskonzepten aller Art – von Zeitschriften über Websites bis zu Social-Media-Applikationen. Der gebürtige Wiener war zuvor Redakteur, Korrespondent und Leiter Unternehmensentwicklung der Financial Times Deutschland.

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Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.