Technology doesn‘t matter – oder: Kann man hier klicken? – Gastbeitrag von Alexander Hachmann (widjet)
Produkte werden häufig ohne den Blick auf den Kunden entwickelt. Alexander Hachmann, CEO der widjet GmbH, erläutert in diesem Gastbeitrag, warum die Technik eigentlich zweitrangig ist.
Der Blick ist verstellt
Wenn sich ein Start-up aufmacht die Welt zu verändern, stoßen die Gründer sehr schnell auf die Frage, wer ihnen ihre Idee umsetzen kann. Das Problem folgt sogleich: Der derzeitige, chronische Entwicklermangel. Dieser Engpass versperrt alten wie jungen Unternehmen den Blick für das Reiseziel. Als Start-up freut man sich oft schon, wenn man jemanden gefunden hat, der das Produkt im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten irgendwie funktionstüchtig zum Laufen bringt. Doch das reicht häufig nicht, um am Markt langfristig erfolgreich zu werden. Der verwöhnte, ungeduldige Konsument von heute verzeiht Fehler immer seltener und bricht im schlimmsten Fall den Nutzungsprozess ab.
Sehr viele Start-ups setzen bei der Produktentwicklung das Interesse und die Beteiligung der User als gegeben voraus. Allzu häufig hört man, alle könnten es gebrauchen. Diesen Zahn sollte man sich direkt selber ziehen. Sonst versucht man elementare Fragen aus Kundensicht erst dann zu beantworten, wenn das Produkt nicht so recht anläuft oder die Abbruchraten erstaunlich hoch sind. Fragen wie: „In welcher Situation entsteht der Bedarf? Hat der potentielle Kunde Zeitdruck oder einen großen Leidensdruck? Ist er dabei zuhause oder unterwegs? Kennt der Kunde das Produkt oder ein ähnliches schon?“
Der Weg ist nicht das Ziel
Wie würden Sie das Produkt einem Alien erklären? Robert L.Sutton beschreibt in seinem Buch der Querdenker-Faktor die „Vu ja de“-Mentalität, welche bedeutet, Altbekanntes aus neuen Perspektiven zu betrachten. Nicht auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen ist wesentlich schwerer als es klingt. Betriebsblindheit ist aber gefährlich und trifft fast jeden Unternehmer. Reden Sie mit branchenfremden Menschen über Ihr Geschäft – Wann haben sie z.B. das letze mal versucht Ihrer Großmutter Ihr Geschäft zu erklären?
Ein weiterer Weg ist eine Art Prozess-Elevator-Pitch. Anstatt in einer Minute die Geschäftsidee zu erläutern, versucht man in diesem Zeitraum zu erklären, welchen Vorgang der Kunde genau bei der Bedienung durchlaufen muss. Den Prozess hält man selber in der Regel für wesentlich schlanker, als er eigentlich ist. Nicht vergessen sollte man, dass die Prozessbeobachtung starten sollte, wenn der potentielle Kunde das Problem lösen möchte. Hat der Kunde sich schon in Ihrem Portal eingeloggt, gingen schon viele Prozesse diesem Moment voraus.
Gibt es vergleichbare Produkte oder Dienstleistungen, die der Kunde bereits kennt, werden Sie daran gemessen. Dies betrifft Ihre Vertrauenswürdigkeit, wie einfach Ihr Anmeldeprozess erscheint, ob eine Abwicklung zu lange dauert und wie viele Werbe-einblendungen sie Ihrem Nutzer zumuten. Je dringender der Kunde genau sie als Anbieter möchte, um so geduldiger wird er mit Ihnen sein. Wie Sie Ihren Kunden im Idealfall allerdings überglücklich machen, ist ihm in der Regel vollkommen egal. Außer es ist im Sinne eines ganzheitlichen Produktes Teil des Produktbenefits.
Bedienbarkeit = Problem geh weg
Gerade bei Technikprodukten setzen Verkäufer häufig auf Featurelisten, um Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Die meisten Funktionen jedoch, die das Gerät beherrscht, werden normale Kunden vermutlich nie benutzen. Bei anstrengender Bedienung lernen wir nicht durch spielerisches Probieren. Erst wenn man vom Chef den Auftrag bekommt dem Kopierer Farbausdrucke in DinA3 Vorder-und Rückseite zu entlocken, quälen Sie sich durch teils wiedersinnige Menüs, durch die eventuell schlecht übersetzte Bedienungsanleitung in 20 Sprachen und zum Schluss durch trial and error Durchläufe. Nun sind Sie vermutlich in der einen oder anderen Weise ein Problemlöser-Typ. Je nach dem in welchem Bereich Ihre Domäne ist, lösen Sie Probleme hier sogar gerne. Aber wollen wir nicht in allen anderen Bereichen, dass die Probleme einfach nicht mehr da sind? Bei allen kleinen und großen Problemen, die das Leben sowieso schon für uns bereit hält, freuen wir uns über Produkte und Dienstleister die unser Leben einfacher machen. Ihre Kunden ticken vermutlich genau so. Die Beurteilung, ob das Leben einfacher wird ist meist unbewusst – bis zu dem Moment wo Sie ein CallCenter fünf Mal weiterleitet und der Kunde weiß: diese Firma macht mein Leben nicht einfacher.
Interaktionsdesign dient einem „einfacheren Kunden-Leben“ und ist ein fortwährender Prozess. Wenn der Hauptnutzen nicht durch vergleichsweise gute Bedienbarkeit glänzt, wird ein langfristiger Erfolg schwer. Vergessen Sie nicht: die technische Seite ist dazu da, um zu funktionieren. Sie mag durchaus für Ihre Preis- und Wachstumsstrategie eine wichtige Rolle spielen, für den nicht professionellen Kunden allerdings nicht. Er sieht und versteht nicht, was sie alles im Hintergrund für Ihn tun und für die Einfachheit seines Lebens ist dies auch gut so.
Ich sehe also bin ich
Menschen sind primär visuell orientierte Wesen. 70 % aller unserer Sinneszellen sind im Auge konzentriert. Wir strukturieren, verarbeiten und bewerten Informationen so auf Relevanz. Eine gute visuelle Umsetzung hilft „leichter zu sehen“ und unterstützt das Handling des Produktes. Setzen Sie einen unbedarften Nutzer vor Ihr Angebot und schauen Sie sich an, wie schnell er sich zu recht findet. Blickkameras wären die Profivariante, die Ihnen viel Optimierungspotential aufzeigen kann. Aber auch die emotionalen Bedürfnisse des Menschen werden anhand von Design angesprochen. Es macht einfach Spaß schöne Dinge zu benutzen. iPhone-Besitzer müssen sich beispielsweise oft von Technikfreaks kritisieren lassen, dass sie die Produkte nur benutzen, weil sie ästhetisch schön sind. Ja, das mag auch durchaus sein, aber warum auch nicht? Aus Sicht des Interaktionsdesigns ist etwas dann formvollendet, wenn es nützlich, leicht zu benutzen und ästhetisch ansprechend ist. Da freut sich nebenbei auch der Marketingverantwortliche: denn ein Produkt, das Blicke auf sich zieht, ist leichter an die Kunden zu bringen. Ein fähiger Designer sollte also nicht nur dafür da sein schöne Bildchen zu machen.
Wie sie sehen, sehen sie nichts
Gutes Design ist gefühlte 95 % unsichtbar. Das Argument „Das fällt doch Niemandem auf“ stimmt; untermauert aber somit noch nicht die Unnötigkeit des Designs. Dem Konsumenten wird die Wirkung von Design in der Regel erst dann bewusst, wenn etwas nicht funktioniert. Wie oft macht man sich Gedanken, warum ein Trinkglas aussieht wie es aussieht? Aber wenn Sie ein Glas in der Hand halten, dass zu groß, zu wenig griffig oder zu schwer erschien, fällt Ihnen dies negativ auf. Sie klicken im Internet auf eine Fläche und sind irritiert weil dies wohl doch keine Schaltfläche war. Denn die Frage „Kann man hier klicken?“, stellen Sie sich nur, wenn ihr intuitives Herangehen nicht das richtige Resultat bringt. Die Anwendung sollte so gestaltet sein, dass diese intuitiv erfass- und erfahrbar ist, dabei den Anwender optisch anspricht und schon auf den ersten Blick zur Interaktion einlädt.
Wie orientiert sich der Kunde
Damit die Bedienung größtenteils intuitiv erfolgen kann, sollten z.B. alle Interaktionselemente des Produktes selbstähnlich sein. Selbstähnlichkeit bedeutet, dass die Bedienelemente eine wiederkehrendes Element behalten. Praktisch bedeutet dies, dass Sie Formen beibehalten, wenn sie die Farbe variieren oder die Farbe kontant halten, wenn Sie mit Formen spielen möchten. Gleichzeitig sollte die Elemente differenzierbar sein. Piktogramme, kurze Texte und farbliche Unterschiede helfen dabei. Ihr Nutzer sollte möglichst schnell lernen, wie ihre Inhalte gestaltet sind, damit er sich in Ihrer Welt frei bewegen kann.
Was war zuerst: Der Kunde oder die Einfachheit?
Nachdem sie mit SEO und Werbung Nutzer auf Ihre Seite geführt haben, sollten diese auch langfristige Kunden werden. Conversion ist hier das Zauberwort. Die beschriebenen Ideen sollten am besten ein Teil Ihrer Gesamtausrichtung werden. Suchen Sie Experten in diesem Gebiet oder – wenn zunächst das Geld knapp ist – einen emphatischen Mitstreiter, der sich in den Kunden hineinfühlen kann.
Viel Erfolg dabei, die Welt ein wenig einfacher zu machen.
Zur Person
Alexander Hachmann ist seit 2008 einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter der widjet GmbH (www.widjet.de), einer Kölner Agentur für Interaktionsdesign. Der Wirtschaftspsychologe und Kommunikationswirt hat vorher als selbstständiger Marketingberater für Kunden aus dem B2C-Bereich gearbeitet. Parallel dazu hat er als Fachautor in mehreren Magazinen publiziert und nimmt seit 2001 verschiedene Dozententätigkeiten wahr, unter anderem an der Universität Duisburg-Essen, der WAK in Köln sowie an der Hochschule Fresenius Köln, wo er bis heute seinen Studenten VWL nahe bringt. Im Rahmen des KfW-Gründercouchings unterstützt er junge Unternehmen. Seit 2010 ist Alexander Hachmann darüber hinaus ständiges Jurymitglied für das Jahrbuch der Werbung, Bereich Digitale Medien.