#Gastbeitrag
Europa ist gefordert! Ohne starke Startups wird es schwer
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“The problem is not that Europe lacks ideas or ambition”, kommentierte der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi im Economist seinen Innovationsbericht für die EU-Komission. Ja, denken Leser:innen dieser Aussage vielleicht: Europäische Startups sind für ihre Innovationskraft bekannt. Und ja, europäische Forscher:innen, Erfinder:innen und Wissenschaftler:innen genießen international hohes Ansehen. Industrielles Erbe und Umweltbewusstsein verbinden sich zu einer einzigartigen Chance für europäische Startups, weltweit erfolgreich zu sein. Doch wer dem ersten Teil von Draghis Botschaft zustimmt, wird auch bejahen: Europa muss diese Chance aktiv ergreifen, will es diese Hoffnungsträger zum Vorteil des Kontinents und seiner Bewohner:innen fördern und gedeihen lassen.
Ein entscheidendes Problem, das Draghi in seinem Bericht benennt, sind die Grenzen des europäischen Ökosystems. Während US-Startups durch M&A und IPOs zu den großen Konzernen von morgen werden, fehlen in Europa diese Entwicklungsmöglichkeiten. Dieser Umstand bedroht das Wachstum und damit die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Tech-Branche. Woran liegt das? Und welche Lösungsansätze gibt es?
Bürokratie – wirkt anders als man denkt
Gut gemeinte Vorhaben wie das Wortungetüm des “Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz” sollen Nachhaltigkeit und ethische Standards in globalen Lieferketten fördern. Doch in ihrer praktischen Umsetzung führen sie häufig zu bürokratischen Belastungen, die weitreichende Folgen haben. Zwar greifen solche Regelungen meist erst bei größeren Unternehmen, doch ihre Auswirkungen treffen indirekt auch Startups: Lokale Zulieferer und Partner wie Elektronikhersteller (EMS) – entscheidend für die Skalierung neuer Hardware-Produkte und als potenzielle Kunden – müssen steigende Prüf- und Berichtskosten tragen. Die Folge: Laut EY-Studie von 2023 gingen zwei Drittel der Übernahmen deutscher Startups und damit deren Innovationskraft an außereuropäische Märkte. Michael Velmeden, Geschäftsführer des EMS-Spezialisten cms electronics, brachte es im Rahmen einer Paneldiskussion auf den Punkt: “Neue Geschäftsfelder und Start-ups sind ohne EMS […] nicht mehr möglich.”
Fehlendes Wachstumskapital
Die Anzahl großer europäischer VC-Fonds mit einem Volumen von über 250 Millionen Euro ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und im Jahr 2024 wurden mehrere Fonds mit einem Volumen von über 500 Millionen Euro aufgelegt. Dennoch beläuft sich die Wachstumsfinanzierungslücke in Europa laut dem Atomico State of European Tech Report 2024 auf insgesamt 375 Milliarden US-Dollar. Viele dieser neuen Mega-Fonds konzentrieren ihre Investitionen auf frühphasige Startups. Startups in kapitalintensiven Sektoren wie Deep Tech und ClimateTech sind jedoch weiterhin auf Wachstumskapital aus dem Ausland angewiesen.
IPO-Markt? Fehlanzeige!
Bei IPOs zeigt sich eine beständige Kluft zwischen Europa und den USA. Während die größten Börsen der USA, der Nasdaq und die NYSE im Jahr 2023 trotz eines herausfordernden Marktumfelds mehr als 60 Milliarden Dollar durch Börsengänge einnahmen, erzielte die London Stock Exchange im selben Zeitraum weniger als 10 Milliarden Dollar an IPO-Erlösen. Diese Diskrepanz spiegelt nicht nur die geringere Liquidität der europäischen Börsen wider, sondern auch den Mangel an globalen Investoren, die bereit sind, in hiesige Börsengänge europäischer Tech-Unternehmen zu investieren.
Ökosystem ist nicht gleich Ökosystem
Letztlich geht es nicht darum, das Silicon Valley zu kopieren. Vielmehr geht es darum, dass Europa sich seiner zahlreichen Wettbewerbsvorteile bewusst wird und mit der nötigen Entschlossenheit daran arbeitet, diese konsequent auszuschöpfen. Die unbedingte Grundlage für den Erfolg eines Ökosystems sind der Zugang zu Wachstumskapital, eine starke Basis großer Kunden und Möglichkeiten für nicht-dilutive Finanzierungen. Doch was Europa einzigartig macht und nicht aus den Augen verlieren sollte, ist die Lebensqualität, die erstklassige Bildung, ein robustes Gesundheitssystem, die ausgebaute Infrastruktur, und last but not least eine vielfältige Kulinarik und ein lebendiges kulturelles Angebot.
Europa ist gefordert
Draghi findet in seinem Gastbeitrag deutliche Worte für die Folgen fortgesetzter Tatenlosigkeit: “The EU has reached a point where, without action, it will have to compromise either its welfare, the environment or its freedom.” Ohne entschlossenes Handeln läuft Europa Gefahr, nicht nur im globalen Technologiewettbewerb weiter an Boden zu verlieren, sondern auch die notwendige Stärke einzubüßen, entschieden für die europäische Idee einzutreten. Schaffen wird die EU das nur durch eine noch engere Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.
Über den Autor
Julien Fredonie bringt über 20 Jahre Erfahrung als Unternehmer und strategischer Investor im Bereich Deep Tech und Nachhaltigkeit mit. Derzeit leitet er als Head of Strategic Partnerships and Corporate Venturing bei Honda XCelerator Ventures das Corporate-Venture-Geschäft in Europa und Afrika. In dieser Rolle entwickelt er zukunftsweisende Partnerschaften und unterstützt Innovationen in Sektoren wie Klimaschutz, Mobilität, Kreislaufwirtschaft und neue Produktionsprozesse.
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