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“Unser ursprüngliches Geschäftsmodell war nicht skalierbar”

Das Dresdener Robotik-Grownup Wandelbots krempelte sein Geschäftsmodell komplett um und trennte sich dabei vom Handwaregeschäft. "Dieser Kurswechsel war schmerzhaft, aber notwendig, um unsere Vision zu verwirklichen", sagt Gründer Christian Piechnick.
“Unser ursprüngliches Geschäftsmodell war nicht skalierbar”
Montag, 26. August 2024VonAlexander Hüsing

Das No-Code-Startup Wandelbots, das Roboter programmiert, galt als aufsteigender Stern am Startup-Himmel. Insight Partners, 83North, Microsoft, Next47 und Co. investierten in den vergangenen Jahren rund 123 Millionen Dollar in das Unternehmen aus Dresden. Doch das ursprüngliche Geschäftsmodell ging nicht auf. Das Unternehmen, von Christian Piechnick, Georg Püschel, Maria Piechnick, Sebastian Werner, Jan Falkenberg, Giang Nguyen und Frank Fitzek gegründet, suchte sein Heil deswegen im einem radikalen Pivot.

“Obwohl unsere Vision der ‘einfachen Programmierung’ mit dem Tracepen erste Erfolge zeigte, stellten wir fest, dass viel Applikationswissen nötig war und die Anforderungen stark variierten. Dies führte zu einer projektbasierten Arbeit, die hauptsächlich über Personal skalierbar ist, was unsere Mission, die Welt zu verändern, eingeschränkt hätte”, sagt Gründer Christian Piechnick. Inzwischen nimmt das Unternehmen wieder Fahrt auf. “Diese Reise hat uns alle stärker gemacht”, sagt Piechnick.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Wandelbots-Macher einmal ganz ausführlich über den Pivot seines Unternehmens.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Wandelbots erklären?
Wandelbots ist ein junges Unternehmen, das die Nutzung von Robotern revolutioniert. Stell dir vor, du könntest einem Roboter beibringen, wie man Pflanzen gießt oder Unkraut jätet, ohne die komplizierte Sprache des Roboters zu lernen oder einen Roboterspezialisten anzurufen. Die Wandelbots-Software ermöglicht es dir, dem Roboter zu sagen, was zu tun ist, und er übernimmt den Rest. Zudem kann die Software vorher simulieren, ob die Automatisierung sinnvoll ist und wie sie am besten umgesetzt wird. Du kannst dich auf dein Wissen über Pflanzen und Gartenarbeit konzentrieren, während die Software den Roboter steuert. Und die Software wird immer besser, weil sie aus den Erfahrungen lernt und von einer Community and kreativen Entwicklern unterstützt wird.

Zuletzt habt ihr Euch aus dem Segment Hardware komplett zurückgezogen. Warum habt ihr Euer Geschäftsmodell so radikal geändert?
Wir haben uns aus dem Hardware-Segment zurückgezogen, weil unser ursprüngliches Geschäftsmodell nicht skalierbar war. Obwohl unsere Vision der “einfachen Programmierung” mit dem Tracepen erste Erfolge zeigte, stellten wir fest, dass viel Applikationswissen nötig war und die Anforderungen stark variierten. Dies führte zu einer projektbasierten Arbeit, die hauptsächlich über Personal skalierbar ist, was unsere Mission, die Welt zu verändern, eingeschränkt hätte. Nach intensiven Gesprächen mit Kunden und Partnern im Frühjahr 2023 entschieden wir uns, den Fokus komplett auf Software zu legen. Dieser Kurswechsel war schmerzhaft, aber notwendig, um unsere Vision zu verwirklichen.

Was war die größte Herausforderung, was die größte Schwierigkeit bei diesem Wandel?
Die größte Herausforderung war der Moment der Veränderung und der Abschied von unserer ursprünglichen Vision. Zu sehen, dass die Veränderung nicht nur unser Geschäftsmodell, sondern auch unsere Kollegen betrifft, war ein sehr harter Moment für alle, die in der strategischen Neuausrichtung involviert waren. Es gibt einfach den Zeitraum, wo bereits klar ist, wie die Veränderung aussieht und trotzdem Zeit ins Land zieht, bis du die Freigaben der Board Member hast und in die Umsetzung kommst. Da fühlt es sich an, als ob man als Leadership-Team in zwei Welten lebt. Dennoch hat uns diese Erfahrung gestärkt, indem sie uns lehrte, mit Unsicherheit umzugehen, flexibel zu bleiben und gemeinsam als Team durch schwierige Zeiten zu gehen.

Wie hat sich Euer Pivot auf Eure Mitarbeitenden ausgewirkt?
Für alle Kollegen war es emotional, da vielen bewusst war, dass der alte Weg nicht zielführend für die Demokratisierung war. Als klar wurde, dass wir einen Teilbereich der Firma nicht weiterführen und neue Anforderungen an die Teams stellen würden, traf erst die Realisierung ein, dass die Veränderung einen größeren Impact haben wird. Alle Kollegen wurden gebeten, sich Zeit zu nehmen, um zu entscheiden, ob sie sich mit der neuen Ausrichtung identifizieren können. Wir boten ein freiwilliges Programm für Kollegen an, die nicht mehr auf der Reise dabei sein wollten, mussten aber leider auch einigen kündigen. Heute, ein Jahr später, hat sich die emotionale Lage extrem verbessert und die Motivation ist höher denn je. Ende Juni konnten wir gemeinsam den Kick-Off des Beta-Programms durchführen. Dieser Moment hat alle auf einer neuen Ebene mit dem Unternehmen, unserem Produkt und ihrer täglichen Arbeit verbunden. In Dresden trafen die Teams die Kunden live, sahen, wie sie das Produkt nutzen und erhielten direktes Feedback. Dieser direkte Kontakt war besonders wertvoll und hat gezeigt, dass die Veränderung den Nerv der Zeit getroffen hat und der Markt den Mehrwert unserer Produktvision nutzen möchte. Diese Reise hat uns alle stärker gemacht und unsere Fähigkeit, als Team zusammenzuhalten, gefestigt. In einem tief technischen Umfeld solch positive Entwicklungen in nur einem Jahr zu sehen, ist wirklich beeindruckend.

Wie haben denn Eure Investoren reagiert, als die Entscheidung zum Pivot gefallen ist?
Wir haben aktiv das Gespräch mit unseren Investoren gesucht und Experten aus deren Center of Excellence Bereichen einbezogen. Obwohl wir uns darauf vorbereitet hatten, dass ein Gesellschafter sein Geld zurückfordern könnte, konnten wir letztendlich alle Investoren bei der strategischen Neuausrichtung an Bord holen. Unsere Investoren, darunter Insight, 83North, Microsoft und EQT, sind mit der Entwicklung seit dem Pivot sehr zufrieden. Diese Erfahrung hat uns gezeigt, wie wichtig offene Kommunikation und Transparenz in herausfordernden Zeiten sind und hat unser Beziehung gefestigt.

Und was haben Eure Kundinnen und Kunden gesagt?
Wir haben mit jedem Kunden gesprochen, um die bestehenden Verträge im gegenseitigen Einverständnis aufzuheben. Obwohl es weder für die Unternehmen noch für uns erfreulich war, konnten wir alternative Lösungen finden. Wir haben Kontakte zu Systemintegratoren hergestellt und Übergangskonzepte besprochen, bis die Kunden Zugriff auf die Software-only-Lösung hatten. Letztendlich fanden wir für alle eine zufriedenstellende Lösung. 

Welchen Tipp gibst Du anderen Gründerinnen und Gründern, die vor einem Pivot stehen?
In dieser Zeit gibt es viele Menschen mit Meinungen – und doch tragen die wenigsten die Verantwortung der Gründer oder des Leadership-Teams, das den Pivot vorbereitet, umsetzt und zum Erfolg führt. Warte nicht zu lange, wenn du das Gefühl hast, dass du in die falsche Richtung gehst, denn wahrscheinlich ist das tatsächlich der Fall. Auch wenn es das Ego schmerzt, zieh die Analyse und strategische Planung konsequent durch: vom Marktverständnis und Experteninterviews, zur Vision der Firma, zu den Fähigkeiten der Firma, den Erfolgschancen bei Markteintritt, hin zur Produktvision, Zielorganisationsstruktur, Budgetplanung und schließlich dem Umsetzungsplan. Diese Aufgabe darf nicht delegiert werden – ihr als Gründer oder Leadership-Team müsst den Puls selber spüren und die Realität mit eurer Vision in Einklang bringen. Sobald der Plan steht, denkt an die Kommunikation in die eigene Firma und bereitet euch auf die externe Kommunikation vor. Es wird emotional, verliert eure guten Manieren nicht. Jede Veränderung bringt Ängste mit sich, nehmt euch die Zeit, die Teams mit auf die Reise zu nehmen und erlaubt Emotionen. Achtet auf euch selbst, in dieser Zeit gibt es keine Ruhephasen. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, einen Organisations- und Leadership-Coach einzubeziehen, der uns ohne Filter sehr deutlich die Alarmzeichen aufgezeigt hat, um uns in der Veränderung nicht zu verlieren. Wenn du als Leader nicht auf dich achtest, kannst du auch kein Unternehmen erfolgreich in der Veränderung leiten. Last but not least, feiert die ersten Erfolge und teilt auch Misserfolge, bleibt authentisch, ehrlich, inspirierend und verliert euren Glauben an eure Vision nicht. Nur weil es mal hart ist, heißt das nicht, dass es nicht funktionieren wird.

Wo steht Wandelbots in einem Jahr?
Als Team haben wir unser Produkt nach der Beta-Phase erfolgreich am Markt veröffentlicht und weltweit Kunden und Entwickler für uns gewinnen können. Unternehmen nutzen aktiv unsere Software und Entwicklungsplattform als Teil ihrer Automatisierungsstrategien. Universitäten lehren Wandelbots-Software in ihren Studiengängen, um Softwareentwickler und Automationsingenieure für die Zukunft mit neuen Fähigkeiten auszustatten. Die Wandelbots-Robotics-Community regt viele Menschen zum Austausch an und unterstützt sich gegenseitig bei Automatisierungsprojekten. Vielleicht gibt es eine erste Wandelbots-Developer-Konferenz, bei der Firmen jeder Art ihre Entwickler schicken, um gemeinsam die neuesten Möglichkeiten unserer Software kennenzulernen und ihre eigenen Erfolgsgeschichten zu teilen. Die Konferenz könnte ein Ort werden, an dem Innovationen vorgestellt, Netzwerke geknüpft und die Zukunft der Automatisierung gemeinsam gestaltet wird. Diese Erfolge zeigen, dass unsere Vision Realität geworden ist und dass Wandelbots einen bedeutenden Einfluss auf die Demokratisierung der Robotik und die Art und Weise, wie Automatisierung in der Industrie umgesetzt wird, hat.

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Foto (oben): Wandelbots

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.