#Interview
“Uns hat maximale Transparenz bisher sehr geholfen”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet Oliver Lichtenstein von beagle. Das Startup aus Hamburg bietet Luftdaten auf Knopfdruck für Infrastruktur, die Land- und Energiewirtschaft.
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Morgens vor der Arbeit schraube ich gerne an meinem Solarboot: Seit unser Team größer geworden ist, überlasse ich das Schrauben unserer Drohnen fast vollständig anderen – Pilot bin ich nur noch im Ausnahmefall. Mit den Händen zu arbeiten ist für mich nicht nur eine willkommene Abwechslung zur Büroarbeit und den Excel Tabellen, sondern auch eine Form der Meditation.
Wie schaltest Du nach der Arbeit ab?
Ich versuche, immer zum gemeinsamen Abendbrot mit meinen Kindern und meiner Frau zuhause zu sein. Auch wenn ich danach oft nochmal an den Rechner muss, ist es eine angenehme Ablenkung, sich mit den kleinen Problemen auseinanderzusetzen – wie etwa, wenn das Puzzleteil nicht passt oder die Batterie vom Spielzeugauto leer ist.
Was über das Gründer:innen-Dasein hättest Du gerne vor der Gründung gewusst?
Wenn das Geld knapp wird, sorgen wir uns nicht, dass unsere Vision scheitert oder unsere Arbeit keine Früchte trägt. Meine Mitgründer und ich haben unglaublich viel gelernt und würden schnell andere Jobs oder Funding fürs nächste Projekt finden. Was uns nachts wach hält, ist die Angst, Teammitglieder:innen vor die Tür setzen zu müssen – besonders, wenn sie vom anderen Ende der Welt hergezogen sind. Bisher mussten wir noch nie betriebsbedingt kündigen und das planen wir auch so beizubehalten.
Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstest?
Als Deep-Tech-Startup benötigten wir von Anfang an mehr Platz und Kapital als die meisten Startups. Dafür brauchten wir Geld und das, bevor wir überhaupt anfangen konnten. Das EXIST-Gründerstipendium hat uns hierbei geholfen – obwohl unser erster Antrag abgelehnt wurde. Zusätzlich mussten wir unseren Mitgründer Jerry aus China nach Deutschland holen, ohne eine Gesellschaft oder einen Arbeitsvertrag zu haben.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Das Erste, was mir in den Sinn kommt: Talente einzustellen, trotz eines gemischten Bauchgefühls. Auch beeindruckende Lebensläufe können trügen und garantieren nicht, dass der oder die Bewerber:in gut in das Team passt. Aus diesen Fehlern haben wir mittlerweile gelernt und können besser erkennen, ob eine Person richtig für eine entsprechende Position ist. Ansonsten ist es ein elementares Learning für mich gewesen, sich auf wenige wichtige Themen zu fokussieren, anstatt zu viele Baustellen auf einmal angehen zu wollen. Bei der ersten Gründung überrumpelt es einen, wie viele Ideen, Projekte und spannende Innovationen an einen herangetragen werden. Aussortieren ist super schwierig, weil man immer die Angst hat, Chancen zu verpassen. Hier hat mir meine bisherige Erfahrung einen wichtigen Perspektivwechsel gegeben.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
Bisher haben zwei Dinge geholfen: Zum einen suchen wir je nach Position an vielen verschiedenen Orten: von Konferenzen über LinkedIn, GitHub, Reddit oder unser Netzwerk. Zum anderen suchen wir für jede Position auf der ganzen Welt – wir sind stolz, bei 20 Teammitgliedern neun verschiedene Nationen zu vertreten; auch wenn das Aufwand für Visa und Logistik mit sich zieht, lohnt es sich meistens.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Uns hat maximale Transparenz bisher sehr geholfen. Unsere Strategie teilen wir mit allen, die sie hören möchten. Jede:r Mitarbeiter:in hat Einsicht in unsere Finanzen. Wir teilen viel mehr mit den Luftfahrtbehörden als gesetzlich vorgeschrieben. So bekommt man früh Feedback von allen Seiten, baut Vertrauen auf und vermeidet Ineffizienzen.
Ohne welches externe Tool würde Dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Der Open Source PX4-Code, der in eigentlich jeder kommerziellen Drohne der Welt steckt, ist auch bei uns die Basis für unsere Softwareentwicklung. Ohne hätten wir erheblich mehr Entwicklungsressourcen gebraucht. Die typischen externen Tools, die wir nutzen, sind alle ersetzbar (Slack, Personio, Google Workspace, Spendesk etc.). Teure Tools sollte man sehr kritisch hinterfragen, denn gerade zu Beginn können sie wertvolle finanzielle Ressourcen verschlingen.
Wie sorgt Ihr bei Eurem Team für gute Stimmung?
Jeden Mittag kocht jemand aus dem Team für alle – das schweißt zusammen, besonders über die Fachbereiche hinweg. Bis vor kurzem haben wir Gründer das noch aus der eigenen Tasche bezahlt. Mittlerweile läuft das über Beagle Systems. Typische Teamevents dürfen bei uns natürlich auch nicht fehlen. Außerdem herrscht in unserem Team ein guter Mix an Alter, Herkunft und Fachbereich. Die Hardware an Ort und Stelle entstehen und dann zeitnah fliegen zu sehen ist eine tolle zusätzliche Motivation – so sieht man direkt das Ergebnis seiner Arbeit.
Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Beim wahrscheinlich ersten kommerziellen Langstrecken-Drohnenflug in Deutschland (60 km in 2020) hatten wir die wilde Auflage der Luftfahrtbehörde, dass die Drohne nie weiter als 25 Meter von der Hochspannungsleitung entfernt sein durfte – in sehr bergigem Gelände und bei ca. 100 km/h im Vorwärtsflug. Mit dem kompletten Gründerteam saßen wir vor dem Flug nachts bis 2:30 Uhr bei meiner Oma am Esstisch, um die Flugplanung immer wieder zu
überprüfen und alles zu simulieren. Das Aufatmen nach erfolgreicher Landung werde ich nie vergessen. Heutzutage wäre es für uns undenkbar, eine Schaumstoff-Drohne mit angeklebten GoPros auf so eine schwierige Mission zu schicken.
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.