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natch: Wann kann man die Bewertung auf eine Prognose stützen?
Zähne putzen ist etwas, worüber sich die meisten Menschen wohl nicht allzu viele Gedanken machen. Da wundert es auch nicht, dass sich seit der Markteinführung der Zahnpasta in 1907 nicht mehr viel geändert hat.
Nicht nur Norbert und Heber vom Startup natch sind allerdings der Meinung, dass dies dringend an der Zeit wäre, werden doch pro Jahr ca. 20 Milliarden Tuben weggeworfen, und viele Pasten sind alles andere als hochwertig.
Das wollen sie mit ihren Zahnputz-Tabletten nun ändern, die einfach zerkaut werden, nur hochwertige Inhaltsstoffe enthalten sollen und im Glas statt in der Plastik-Tube daher kommen. Die Löwen probieren es aus und sind durchaus angetan. Doch dann wollen sie natürlich wissen, warum die Gründer mit 375.000 Euro für 10% schon eine recht ordentliche Firmenbewertung aufrufen und es geht an das Zahlenwerk.
Unabhängig von der Bewertung ruft der Preis jedoch schon starke Reaktionen hervor, denn die Löwen halten ihn mit 11.90 bis 14,90 Euro pro Glas – je nach Sorte – für recht hoch. Vergleicht man das mit herkömmlichen Zahnpastatuben, ist die Entrüstung verständlich: In einem natch-Glas befinden sich 85 Tabletten, man kann sich damit also 85 mal die Zähne putzen. Bei angenommenen zweimal Putzen am Tag bräuchte man pro Jahr also knapp 13 Gläser, wodurch Kosten zwischen 150 bis 200 Euro entstehen würden. Die durchschnittliche Zahnpastatube, von der wir Deutschen etwas 5 pro Jahr verbrauchen, schlägt also mit nicht einmal 10% der Kosten zu buche.
Nils Glagaus These, dass es in der Preisklasse praktisch keine Kunden geben kann, ist also durchaus nachvollziehbar. Doch die Gründer halten mit einer wachsenden Zahl wiederkehrender Kunden dagegen, auch wenn wir hier leider keine Details erfahren.
Die zu dieser Zeit schwangere Janna Ensthaler betont dann auch das große Thema Fluorid besonders unter Eltern, für das natch wohl eine Lösung hat: in den Tabletten wird ein anderer Mikrostoff benutzt, der ebenfalls den Zahnschmelz stärkt, aber unbedenklicher sein soll. Die Investorin und werdende Mutter betont, dass dies eine große Sache wäre, steigt aber letztlich aus, weil die Verkaufszahlen die hohe Bewertung für sie nicht rechtfertigen.
In der Folge geht es dann auch genau um dieses Verhältnis, denn die Gründer verlangen mit ihrer Bewertung von 3,75 Millionen das mehr als 27-fache ihres aktuellen Jahresumsatzes. Doch ihre Begründung ist durchaus eine Diskussion wert, denn sie wollen gar nicht über das Verhältnis zum jetzigen Jahresumsatz diskutieren, sondern den für das laufende Jahr prognostizierten Jahresumsatz als Basis anlegen, der über 800.000 Euro betragen soll. Dies würde dann „nur noch“ einem Multiple von knapp 4,8 entsprechen, was Ralf Dümmel immer noch nicht wenig findet.
Aber kann man das überhaupt machen, oder stößt man mit dieser Vorgehensweise bei Investoren sofort auf Ablehnung?
Wie so oft ist die Antwort: es kommt darauf an. Denn alles steht und fällt mit der Nachvollziehbarkeit der Prognose. Je sicherer Investoren diese als realistisch empfinden, umso eher sind sie gewillt, auf das Argument einzugehen.
Das bedeutet, dass man zu allererst einmal eine Finanzplanung braucht, die gut strukturiert und vor allem nachvollziehbar ist. Hierfür darf man seine Umsätze auf keinen Fall von irgendwelchen Marktvolumina ableiten oder vielleicht sogar ganz vom Himmel fallen lassen, wie es in vielen Vorlagen vorgesehen ist, die online so herumschwirren. Diese werden von Banken vielleicht noch akzeptiert, aber nicht von professionellen Startup-Investoren.
Der Schlüssel hierbei ist eine sogenannte Bottom-Up-Planung, also eine genaue Verknüpfung des Marketing- oder Vertriebsbudgets mit den entsprechenden Maßnahmen und der Kunden, die daraus hervorgehen. Wenn man dies dann doch mit aktuellen Kennzahlen wie zum Beispiel Kundenakquisekosten aus dem laufenden Geschäft unterlegen kann, hat man durchaus Chancen, das Ganze glaubhaft zu machen. Trotzdem muss man immer das gesamte Verhältnis im Blick halten, denn je größer das angenommene Wachstum – wie hier eine Umsatzsteigerung von 135.000 auf über 800.000 Euro – desto skeptischer werden Investoren sein.
Gründer Norbert schien jedoch seine Hausaufgaben gemacht zu haben, und betonte, dass sie genau wissen, was sie im Marketing zu tun haben, um die angepeilten 800.000 Euro auch wirklich zu erreichen.
Normalerweise sollte eine solche Behauptung dann allerlei Detailfragen der Investoren nach sich ziehen. Ein passender Investor würde sich dann z.B. nach Marketing-Maßnahmen, deren Kosten, den bisherigen Skalierungsversuchen und sämtlichen Details erkundigen, was hier auch gut passiert sein könnte, aber es nicht in den fertigen Schnitt geschafft hat.
Da letztendlich doch alle Investoren abgesagt haben und alle die zu hohe Bewertung bemängelt haben, könnte man vermuten, dass auch die speziellen Kennzahlen den Löwen letztendlich nicht gut genug waren, um überhaupt in die Verhandlung einzusteigen. Da die Gründer allerdings mit einem Startgebot von 10% in die Höhle gegangen waren und sich so die Bewertung mit einem Gegenangebot von 20% leicht halbieren ließe, ist zu vermuten, dass es noch andere Gründe gab. Der hohe Preis des Produkts wurde oft genannt, aber auch hier lassen die eher geringen Herstellungskosten vermuten, dass vor allem bei größeren Mengen noch etwas möglich sein könnte.
Eher weniger besprochen wurde einer der Haupt-USPs des neuen Mikro-Inhaltsstoffes, der sich ja sehr revolutionär anhörte. Vielleicht gab hier auch der Umstand für den ein oder anderen eigentlich interessierten Investor den Ausschlag, dass so etwas normalerweise gründlich nachgeprüft werden müsste, was in der Höhle aber nunmal überhaupt nicht möglich ist. Vielleicht gaben aber auch die 8 bisherigen Angel-Investoren dem ein oder anderen Löwen den Rest.
Insgesamt blieb also wahrscheinlich eine einfach zu ungünstige Konstellation für ein Investment mit doch einigen Risiko-Punkten.
Was hoffentlich aber niemanden davon abhält, seine Zahnputz-Routine zu überdenken.
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