#Interview

“Von 2016 bis 2021 hatten wir keine Umsätze”

Das Team von Mitte möchte seit Jahren ein modernes Wassersystem etablieren. Ein serienreifes Produkt ließ jedoch lang auf sich warten. Inzwischen ist der Wasseraufbereiter verfügbar - samt Abo-Modell. Für Gründer Moritz Waldstein der passende Moment für den Ausstieg.
“Von 2016 bis 2021 hatten wir keine Umsätze”
Dienstag, 19. September 2023VonTeam

Das Berliner Grownup Mitte, 2016 von Moritz Waldstein und Faebian Bastiman gegründet, möchte seit Jahren eine Art modernes Wassersystem etablieren. In den vergangenen Jahren flossen rund 23 Millionen Euro in das Unternehmen – unter anderem von Bitburger Ventures, Kärcher, Danone und FoodLabs. Ein serienreifes Produkt konnte das Unternehmen dabei sehr sehr lange nicht präsentieren. Erst 2021 kam der Wasseraufbereiter von Mitte auf den Markt – mit rund drei Jahren Verspätung.

“Ich denke, wir waren erfolgreich darin, die nötigen Finanzmittel aufzubringen, die für die kostenintensive und langwierige Entwicklung eines B2C-Hardware-Produkts im Lebensmittelbereich nötig sind. Von 2016 bis 2021 hatten wir keine Umsätze und konnten die Kosten nur durch externe Mittel decken”, blickt Gründer Waldstein zurück. Anfangs wollte das Team sein Wassersystem schlicht und einfach verkaufen, inzwischen setzen die Hauptstädter, die rund 30 Mitarbeitende beschäftigen, auf ein Abo-Modell.

“Der Kunde kann mit dem Abo Mitte schon ab 29,99 Euro pro Monat ausprobieren und für sich entscheiden, ob es das passende Angebot ist. Das war beim traditionellen Modell, bei dem wir das Gerät für 589 Euro verkauft haben, für viele Kunden schwieriger”, sagt Waldstein. Nun muss das Konzept nur zügig Nutzerinnen und Nutzer finden. 2021 erwirtschaftete das Unternehmen einen Verlust in Höhe von 9,3 Millionen Euro (Vorjahr: 4,9 Millionen). Insgesamt kostete der Aufbau von Mitte bereits rund 18,6 Millionen.

Nun sieben Jahre nach der Gründung tritt Mitte-Macher Waldstein als Geschäftsführer des Grownups ab und übergibt an Stefan Neuber der bereits seit einem Jahr als CTO und COO Teil der Geschäftsführung der Jungfirma ist. Im Interview mit deutsche-startups.de blickt Jungunternehmer Waldstein auf die vergangenen Jahre zurück und spricht außerdem über Plastikmüll, Mineralisierung und Profitabilität.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Mitte erklären?
Unser Ziel ist es, Einwegwasserflaschen durch eine Lösung für zuhause zu ersetzen. Dafür haben wir einen Prozess entwickelt, den wir der Natur abgeschaut haben. Für herkömmlich in Flaschen abgepacktes Mineralwasser läuft Wasser für eine lange Zeit durch Gesteinsschichten, wird gereinigt und nimmt Mineralien auf, bevor es an die Erdoberfläche tritt und dort in Glas- oder Plastikflaschen abgefüllt wird. Die Produktion und der Vertrieb von Flaschen ist aber leider sehr CO2- und ressourcenintensiv. Als Menschheit produzieren wir im Jahr 500 Milliarden Flaschen. Monatlich ergibt das einen Berg an Plastikmüll, der höher ist als der Eiffelturm. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, ein Angebot zu entwickeln, das 60-mal weniger Plastik und 10-mal weniger CO2 verwendet. Anstatt Flaschen abzufüllen, zu transportieren und zu verkaufen, haben wir einen 3-in-1-Wasseraufbereiter für zuhause entwickelt. Hier fließt das Leitungswasser durch eine Kartusche, die das Wasser erst reinigt – mit Aktivkohle und einer hochwertigen Hohlfasermembran – und dann auch mit Mineralien wie Kalzium oder Magnesium und Bicarbonaten anreichert. So können wir nicht nur gereinigtes Wasser, sondern auch mineralisiertes Wasser anbieten. Anschließend wird das Wasser nach Belieben mit Kohlensäure versetzt. Wir haben unterschiedliche Kartuschen mit unterschiedlichen Mineralien. So wie es im Supermarkt unterschiedliche Mineralwassersorten gibt, bieten wir also verschiedene Wässer, die sich auch geschmacklich unterscheiden.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Wir haben lange überlegt, ob wir ein B2C- oder ein B2B-Angebot schaffen und uns dann zunächst für den B2C-Markt entschieden. Die Idee, Wasser in Einwegflaschen zu ersetzen, war immer unser Ziel. Uns war klar, dass wir hierfür Wasser reinigen und im zweiten Schritt Mineralien zugeben müssen, um verschiedene Wasserarten herstellen zu können. Technisch gab es ein paar Änderungen im Verlauf der Entwicklung. Anfangs dachten wir, dass Destillation der beste Weg sei, das Wasser zu reinigen und für die Mineralisierung vorzubereiten. Im Verlauf haben wir festgestellt, dass eine Reinigung mit Aktivkohle und Hohlfasermembran für den B2C-Markt – aus Gründen der Kosten und der Nachhaltigkeit – besser geeignet ist.

Wie ist überhaupt die Idee zu Mitte entstanden?
Ich habe einen Forscher kennengelernt, der sich damit auseinandergesetzt hat, wie man Wasser herstellen kann, ohne dafür Flaschen zu benötigen. Ich fand es extrem naheliegend, dass wir in Zukunft nicht Wasser aus Flaschen trinken werden. Wer kann sich einen Science-Fiction-Film vorstellen, in dem Wasser aus Flaschen getrunken wird? Wenn dann vielleicht in einem Doomsday-Umwelt-Drama.Zudem hat es mich immer fasziniert, Innovation nicht nur zum Geld verdienen einzusetzen, sondern auch für positiven nachhaltigen Impact. Das war 2010 bei meiner ersten Gründung mit Coffee Circle ähnlich.

Zuletzt habt ihr Euer Geschäftsmodell auf ein Abomodell umgestellt. Wie kam es zu diesem Schritt?
Unser Abonnement umfasst verschiedene Stufen – S, M, L, Business -, bei denen Kunden ein Mitte Home-Gerät erhalten, das nach einem etwaigen Ablauf des Abonnements zurückgegeben wird. Wir haben das Abo basierend auf drei Überlegungen eingeführt. Mehr Nachhaltigkeit: Unser Kreislaufwirtschaftsmodell – Zirkularität – erlaubt es uns, zurückgegebene Geräte von Kunden, die ihr Abo beenden, zu reparieren und wieder in den Kreislauf zu bringen. Damit sparen wir Ressourcen ein und sind zugleich auch Vorreiter einer Circularity-Bewegung, die in den nächsten Jahren die Welt positiv verändern wird. Niedrigere Barrieren für den Kunden: Wir haben mit Mitte Home ein komplett neues Konzept der Wasseraufbereitung für zuhause eingeführt, praktisch eine neue Kategorie erfunden. Der Kunde kann mit dem Abo Mitte schon ab 29,99 Euro pro Monat ausprobieren und für sich entscheiden, ob es das passende Angebot ist. Das war beim traditionellen Modell, bei dem wir das Gerät für 589 Euro verkauft haben, für viele Kunden schwieriger. Bessere User Experience: Mit dem Abo können wir reibungslos und regelmäßig Kartuschen liefern. Praktisch wie eine “Hydration Guarantee”. Der Kunde muss nicht ans Nachbestellen denken.

Es herrscht derzeit Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Was ist Deine Sicht auf die aktuelle Eiszeit?
Eiszeit ist wohl eine ganz gute Beschreibung und leider nicht nur für die deutsche Startup-Szene, sondern international. Ich denke aber, dass, wie bei einer Eiszeit auch, wieder eine andere rosigere Epoche anbrechen wird, bei der aus Kapitalübersicht wieder mehr Risiko eingegangen wird. Wenn man der Situation heute etwas Positives abgewinnen will – und das fällt mir nicht leicht – , dann ist die Zeit jetzt auch eine Katharsis. Die Krise ist ein Impetus, noch kreativer zu sein und härter zu kämpfen. Bewertungen und Volumen sind wieder mehr in Boden- und Realitätsnähe.

Wie hat sich Mitte seit der Gründung entwickelt?
Wir sind Ende 2021 in Deutschland auf den Markt gekommen und nähern uns vierstelligen Nutzerzahlen. Wir haben ein Kernteam von rund 30 Mitarbeitern und einige Spezialisten und Freelancern, mit denen wir zusammenarbeiten.

Und wie kommt es, dass Du nun zurücktrittst und an Stefan Neuber übernimmt?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen wünsche ich mir eine persönliche Auszeit und freue mich darauf, im Beirat eine beratende Rolle zu übernehmen. Zum anderen schlägt Mitte künftig strategisch eine neue Richtung ein, für die Stefan, der sich im letzten Jahr bereits als CTO und COO unter Beweis stellen konnte, bestens gewappnet ist. Wir leben bei Mitte das Motto “better than before” und reflektieren somit immer, wie wir uns stetig optimieren können. Mit unserem neuen Fokus auf dem Abomodell, der Ausreifung unserer Hardware und der möglichen Integration unseres Systems in die Geräte anderer Hardware-Hersteller- zum Beispiel Kühlschränke – , ist Stefan als Experte für operative und technologische Prozesse mit mehr als 10-jähriger Erfahrung in der Hausgeräteindustrie der richtige Mann für den Job.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 waren wir kurz vor dem Unterzeichnen eines Vertrags mit einem großen amerikanischen Investor. Wir hatten über mehrere Monate mit einer Vielzahl von Anwälten verhandelt und eine riesige Due Diligence hinter uns. Am Dienstag sollte es zum Notar und am Sonntagabend erhielt ich vom zuständigen Partner den Anruf, dass das Investment abgeblasen sei. Das war noch bevor irgendjemand wusste, wie sich Corona auf die Wirtschaft auswirken würde. Das kam als riesiger Schock und wir mussten unter hohem Zeitdruck umstrukturieren und einen anderen Weg finden. Während 2022, dem ersten vollen Jahr am Markt, kam es zu sehr großen Lieferschwierigkeiten bei vielen Komponenten, vor allem bei der Elektronik. Dies war bedingt durch die Nachwehen von Corona und dem holprigen Start der Lieferketten. Man erinnert sich vielleicht auch an die Ever Given, das steckengebliebene Schiff im Suezkanal, von dieser Störung waren wir auch betroffen. Wir hatten riesige Probleme, den Bedarf zu decken und mussten sogar für bestimmte Perioden den Verkauf stoppen und auf ein Batch-Sale-Modell wechseln.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Der Wechsel auf das Abo-System hat für uns extrem viel Sinn ergeben. Wie zuvor beschrieben, erlaubt uns das mehr Nachhaltigkeit, einen höheren Kundennutzen und niedrige Eintrittsbarrieren. So stellen wir uns zukunftssicher auf. Ich denke, wir waren erfolgreich darin, die nötigen Finanzmittel aufzubringen, die für die kostenintensive und langwierige Entwicklung eines B2C-Hardware-Produkts im Lebensmittelbereich nötig sind. Von 2016 bis 2021 hatten wir keine Umsätze und konnten die Kosten nur durch externe Mittel decken. Ich glaube, wir haben ein Arbeitsumfeld geschaffen, das eine Reihe von Mitarbeitern positiv inspiriert hat, in Folge selbst nachhaltige und erfolgreiche Unternehmen zu gründen. Beispielsweise Moritz König von Facturee, Benjamin Pardowitz mit RooWalk, Sana Al-Badri mit SageWealth oder Kirils Jegorovs mit Circolution.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer;innen mit auf den Weg?
Testen, testen, testen: Besprich und teste deine Idee so viel du kannst. Wichtig dabei: Mach das nicht mit Freunden, sondern mit potentiellen Kunden. Habe eine starke Überzeugung und Resilienz: Gib deiner Idee, deiner Hypothese eine faire Chance. Die Idee wird nicht perfekt sein und manchmal erkennt man den Weg zum Ziel nicht, aber dieses sollte man nicht aus den Augen verlieren. Verbrenn dich aber gleichzeitig nicht auf dem Weg. Manchmal muss man auch auf sich selbst hören, aufgeben und einen neuen Zugang finden. Gründe nicht für das Geld, dafür gibt es bessere Wege: Gründe für die Freiheit, etwas zu schaffen und kreativ zu gestalten. Starte etwas, gerade weil es schwierig wird und du deine Grenzen herausforderst und verschiebst.

Wo steht Mitte in einem Jahr?
Nicht mehr zu weit von der Profitabilität und langsam auf die Internationalisierung vorbereitend.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): Shutterstock