#Gastbeitrag
Warum die Insolvenz nicht das Ende sein muss
Als ich vor etwas mehr als einem Monat zum vorläufigen Insolvenzverwalter der Efficient Energy GmbH bei München bestellt wurde, fand ich ein Unternehmen vor, das für viele auf den ersten Blick so gar nicht an eine Insolvenz denken lässt: Volle Auftragsbücher, starkes Wachstum, ein extrem innovatives Produkt, rund 200 Patente und ein hochmotiviertes Team. Das Unternehmen hatte es als erstes weltweit geschafft, Kältemaschinen in Serie herzustellen, die statt klimaschädlicher F-Gase als Kältemittel mit nichts als herkömmlichem Leitungswasser auskommen. Trotzdem musste Geschäftsführer Georg Dietrich mit dem Unternehmen den Weg in die Insolvenz gehen. Seitdem arbeiten wir gemeinsam daran, dem Cleantech-Startup einen zweiten Frühling zu ermöglichen.
Efficient Energy ist ein gutes Beispiel dafür, woran wir ein Unternehmen erkennen, für das die Insolvenz nicht das Ende sein muss. Denn: Schon ab der ersten Minute, ab der ein Insolvenzverwalter bei einem Unternehmen einsteigt, befindet er sich in einem Wettlauf mit der Zeit. Er muss die Frage beantworten: Kann mit dem vorhandenen Setup und den vorhandenen Mitteln die drei Monate weiter gearbeitet werden, die bis zur Eröffnung des eigentlichen Insolvenzverfahrens maximal verbleiben? Ist das der Fall, kann die Insolvenz eine einmalige Chance sein – um Angebot, Kundenbeziehungen, Kostenstruktur und nicht zuletzt die Gesellschafter- und Finanzierungsstruktur zu durchleuchten und ohne Altlasten völlig neu aufzustellen.
Wer früh anmeldet, hat deutlich bessere Chancen
Der wichtigste Hinweis darauf, dass das funktionieren kann, ist wie im Fall Efficient Energy: Die Insolvenz muss so früh angemeldet werden, dass das Unternehmen noch bewegungsfähig ist, am besten dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten ist und zudem noch ausreichende Mittel für die kommenden Wochen und Monate vorhanden sind. In der Phase der vorläufigen Insolvenzverwaltung werden die Gehälter über eine Insolvenzgeldvorfinanzierung gestemmt, bei der letztlich die Agentur für Arbeit die Gehälter für drei Monate übernimmt. In den meisten Unternehmen fällt damit der größte Kostenblock zunächst einmal weg. Doch davon kann nur profitieren, wer darüber hinaus noch genügend Liquidität hat, um den Betrieb weiter laufen zu lassen. Dies war auch im Fall Efficient Energy der Fall.
Ist diese Hürde genommen, geht es an die Arbeit. Nach innen bedeutet das eine offene und ehrliche Kommunikation: Trotz oder eher gerade wegen des Krisenfalls müssen Management und Insolvenzverwalter erklären, welche Pläne sie haben und wie der Betrieb weiterlaufen soll. Das funktioniert nur, wenn es schon vorher eine gute Arbeitskultur und Vertrauen zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitenden gab. Eine gute Metrik dafür ist, wie viele Angestellte während der vorläufigen Insolvenz kündigen. Im Fall Efficient Energy war das zum Beispiel während der ersten Wochen nicht eine einzige Person.
Eine Chance, Altlasten loszuwerden
Sind diese Voraussetzungen gegeben, hat man als Insolvenzverwalter eine Chance, das Unternehmen neu aufzustellen und von Altlasten zu befreien. Gelingt es, eine Lösung für die zukünftige Finanzierung des Unternehmens zu finden, so wird das Unternehmen am Ende der vorläufigen Insolvenzverwaltung auf jeden Fall einen wesentlichen Teil seiner Schulden los sein. Der Grund dafür: Die wichtigsten Assets des bisherigen Unternehmens gehen entweder auf ein neu dafür gegründetes Unternehmen über (Unternehmensverkauf) oder werden innerhalb des bisherigen Rechtsträgers neu strukturiert, wobei sich bisherige Gläubiger, Lieferanten, Kunden und Gesellschafter darauf einigen, auf einen Teil ihrer Forderungen und in aller Regel erst Recht auf ihre Rechte aus Gesellschaftsbeteiligungen zu verzichten (Insolvenzplan).
Der Unternehmensverkauf ist dabei gerade bei Startups wie Efficient Energy der deutlich häufigere der beiden Fälle. Er bedeutet, dass ein Investor oder eine neue Investorengruppe eine neue Gesellschaft gründen, die die wichtigsten Assets und die Struktur vom alten Unternehmen übernimmt – von Mitarbeitenden über Patente bis hin zu Kundenbeziehungen und Lagerbeständen – und dafür einen mit dem Insolvenzverwalter verhandelten Übernahmepreis bezahlt.
Hinter der neuen Gesellschaft können bekannte strategische Investoren stehen, zum Beispiel große Wettbewerber, aber auch Finanzinvestoren, die sich auf die Übernahme von Unternehmen aus Krisensituationen oder aus bestimmten Branchen spezialisiert haben. Auch eine Übernahme durch einen Teil der bisherigen Investoren oder durch das Management – als Management-Buy-Out – ist in der Insolvenz ohne Weiteres denkbar. Der große Vorteil: Die künftigen Investoren können sich dabei die Rosinen herauspicken und alte Verträge, unnötige Patente oder auch überflüssige Bestände in der dann weiterhin insolventen Firma belassen.
Altschulden bleiben ebenfalls beim insolventen Unternehmen, da beim Kauf eines Unternehmens vom Insolvenzverwalter keinerlei Haftungsrisiko für alte Schulden besteht. Alle Ansprüche gegen die insolvente Gesellschaft wird der Insolvenzverwalter dann, soweit dies möglich ist, im Rahmen des Insolvenzverfahrens aus dem verbliebenen Geld und dem erzielten Kaufpreis bedienen, wobei die Insolvenzmasse am Ende des Verfahrens gleichmäßig an die Gläubiger verteilt wird.
Drei Bereiche in drei Monaten umbauen
Die größte Einschränkung dabei: Den neuen Investoren bleibt zum Rosinenpicken nicht viel Zeit. Der Insolvenzverwalter und die künftigen Investoren haben während einer vorläufigen Insolvenzverwaltung in der Regel maximal drei Monate, um drei Bereiche des Unternehmens zu durchleuchten und bei Bedarf umzubauen: interne Organisation, Kostenstruktur und nicht zuletzt auch die Gesellschafterstruktur.
Bei der internen Organisation wird vor allem auf die vorhandenen Kapazitäten geschaut: Haben die verschiedenen Teams oder Abteilungen die richtige Größe? Können wir auf einige Aufgaben verzichten oder sie besser an Dienstleister abgeben? Sollte das Unternehmen eigentlich die Produktpalette verschlanken, tut dies aber wegen älteren Kundenverträgen nicht? Alles, was hier nicht mehr benötigt wird, verbleibt in der alten Firma und muss von einem künftigen Investor nicht mit übernommen werden. Gleiches gilt für die Kostenstruktur. Leasingverträge, lang laufende Verpflichtungen, unnötige Dienstleistungen: All das kann aussortiert und in der alten Firma belassen werden.
Auch die Altgesellschafter müssen sich hinten anstellen
Auch die Gesellschafterstruktur kann dank Insolvenz völlig neu aufgestellt werden. Wird für den Unternehmensverkauf eine neue Firma gegründet, sind deren Besitzverhältnisse unabhängig von den Gesellschafterverträgen des alten Unternehmens. Es gab zu viele kleine Investoren, was Entscheidungen verzögert hat? Ein großer Investor hat häufig blockiert oder stand zuletzt nicht mehr uneingeschränkt hinter der Unternehmensstrategie? Ihnen muss von neuen Investoren kein Angebot gemacht werden, sich an der neuen Firma zu beteiligen. Ihre Rechte werden aus der Insolvenzmasse des alten Unternehmens bedient, sofern nach Begleichung aller Schulden Werte verbleiben sollten.
Natürlich sind all diese Möglichkeiten immer noch keine Garantie, dass ein insolventes Unternehmen überleben wird. Das gelingt nur, wenn der Insolvenzverwalter einerseits das Unternehmen stabilisieren, andererseits geeignete Investoren finden kann. Für beides bleibt oftmals nur der enge Zeitrahmen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Aber mit dem richtigen Fokus kann eine rechtzeitig angemeldete Insolvenz gerade auch für ein Startup statt des Endes einen zweiten Frühling einläuten. Für Efficient Energy haben sich schon nach wenigen Wochen mehr als ein Dutzend potenzielle Investoren gemeldet. Diese Übernahmeinteressenten und auch weitere, die aktuell noch dazukommen können, werden derzeit mit einer Vielzahl an Informationen versorgt, um zeitnah die Entscheidung für ein Investment treffen zu können. Ob die Insolvenz dann tatsächlich nur eine kurze Delle in einer ansonsten erfolgreichen Unternehmensgeschichte war, werden wir aber erst in knapp zwei Monaten wissen. Bis dahin müssen die Gespräche mit einem künftigen Investor einen Abschluss gefunden haben.
Über den Autor
Matthias Hofmann ist Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Partner der Kanzlei POHLMANN HOFMANN. Er wird regelmäßig als Insolvenzverwalter oder Sachwalter in Eigenverwaltungsfällen bestellt und hat zudem Praxiserfahrung als Restrukturierungsbeauftragter in Fällen nach dem StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz). Zudem ist er Fachbuchautor und Dozent im Bereich des Insolvenz- und Sanierungsrechts und ehrenamtliches Mitglied des erweiterten Vorstands der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. Er ist ebenfalls Prüfer in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung.
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