#Interview

“Das Thema alternative Finanzierung gewinnt im Zuge des ‘VC-Winters’ an Interesse”

Das Finanzierungs-Startup re:cap möchte zum "führenden Tech-Anbieter für alternative Startup-Finanzierungen" aufsteigen. Derzeit ist das FinTech gut unterwegs. "Wir sind seit unserer Gründung Mitte 2021 auf inzwischen 40 Mitarbeitende gewachsen", sagt Gründer Paul Becker.
“Das Thema alternative Finanzierung gewinnt im Zuge des ‘VC-Winters’ an Interesse”
Dienstag, 25. April 2023VonAlexander

Das Berliner Startup re:cap, von Paul Becker und Jonas Tebbe gegründet, die zuvor den Vermögensverwalter Liqid aufgebaut haben, positioniert sich ähnlich wie das Vorbild Pipe als “digitale Marktplatzlösung zur Finanzierung von Unternehmen mit regelmäßigen, wiederkehrenden Einnahmeströmen”. “Wir bieten Startups, die bereits zahlende Kunden haben und Abonnement-Modelle anbieten, die also über regelmäßige, planbare Einnahmen verfügen, eine neuartige Form der Finanzierung”, erklärt Gründer Becker das Konzept.

In den vergangenen Monaten konnte das Team bereits “knapp 15 Millionen Euro an Eigenkapital und 90 Millionen Euro an Liquidität” einsammeln – unter anderem von Mubadala Capital, Felix Capital, Project A Ventures und Entrée Capital. “Vor allem auf Kundenseite sehen wir aktuell eine spannende Dynamik, mit der sich unsere Kundenanzahl in der zweiten Jahreshälfte 2022 im Vergleich zur ersten mehr als verdoppelt hat”, sagt Becker.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der re:cap-Macher außerdem über Hochphasen, Dynamiken und Expansion.

Wie würdest Du Deiner Großmutter re:cap erklären?
Wenn traditionelle Unternehmen schneller wachsen oder zum Beispiel eine Unternehmsübernahme stemmen wollen, dann gehen sie in der Regel zu ihrer Hausbank und beantragen einen Kredit. Das können junge Startups nicht, da sie oftmals noch keine Gewinne erwirtschaften und keine teuren Maschinen oder sonstige Wertgegenstände haben, die Banken als Sicherheiten dienen könnten. Bislang haben sich diese Unternehmen somit oftmals nur bei Risikokapitalgebern finanzielle Mittel besorgen können. Das ändern wir mit re:cap. Wir bieten Startups, die bereits zahlende Kunden haben und Abonnement-Modelle anbieten, die also über regelmäßige, planbare Einnahmen verfügen, eine neuartige Form der Finanzierung.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Mit re:cap erhalten Tech-Unternehmen eine Finanzierungslinie, die wie eine Kreditlinie für tradierte Unternehmen funktioniert. Das heißt, sie können im Rahmen eines individuellen Finanzierungslimits flexibel Funding in Anspruch nehmen. Bei uns erhalten vor allem Software-Startups mit wiederkehrenden Umsätzen eine Finanzierung. Startups können mit re:cap Teile ihrer zukünftigen Umsätze gegen sofort ausgezahltes Kapital eintauschen – und das nicht nur einmal, sondern wie bei einer Kreditlinie eben mehrmals. Das Finanzierungslimit beträgt dabei maximal 60 % ihres Jahresumsatzes. Diese Art der Finanzierung ist schneller, flexibler und unkomplizierter als Venture Capital oder Venture Debt. Zudem verwässern re:cap-Finanzierungen die Anteile der Gründer und Gründerinnen am Unternehmen nicht und bringen keine weiteren Restriktionen oder Mitspracherechte mit sich. Unsere Kunden nutzen re:cap dabei für verschiedene Use Cases: einerseits eignet sich unsere Finanzierung dazu in Wachstumsinitiativen zu investieren, indem beispielsweise die Kosten für Marketing-Kampagnen oder Vertriebspersonal abgedeckt werden. Startups können mit re:cap aber auch in den unsicheren Zeiten ihre finanzielle Position stärken und sich einen Weg zur Profitabilität aufbauen. In jedem Fall hilft eine nicht-verwässernde Finanzierung dabei, nicht zu viel vom eigenen Kuchen abzugeben – insbesondere bei dem aktuellen Bewertungsniveau.

Wie ist überhaupt die Idee zu re:cap entstanden?
Nach unser letzten Gründung, Liqid, einem Robo Advisor beziehungsweise digitalen Vermögensverwalter, haben wir unter anderem als Berater bei Due Diligence-Projekten für Private Equity-Investoren unterstützt und uns die Frage gestellt, ob dieser Prozess nicht automatisiert werden kann. Hierbei haben wir uns insbesondere mit der Dateninfrastruktur von Unternehmen beschäftigt. Dabei ist uns aufgefallen, dass sich mit der Bewertung von Unternehmen auch sehr gut eine Finanzierung dieser verbinden lässt. So kamen wir auf re:cap. Zudem sind wir ja nun schon einige Jahre in der Startup- und Fintech-Szene unterwegs und haben wiederholt gesehen, dass es beim Funding-Angebot für europäische Startups noch viel Luft nach oben gibt. Das sogenannte Recurring Revenue Financing gibt es in den USA schon etwas länger, und es ist dort sehr erfolgreich. Diese Finanzierungsmöglichkeit wollten wir auch europäischen Startups zur Verfügung stellen.

Es herrscht derzeit Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Was ist Deine Sicht auf diese Eiszeit?
Die Lage gerade ist nicht einfach, das stimmt. Investoren schauen deutlich mehr als früher darauf, dass Startups kapitaleffizient arbeiten. Das ist vielleicht weniger bequem als in der Hochphase zuvor, aber aus meiner Sicht absolut sinnvoll. Zudem sehe ich es auch als Chance für Startups, um sich nachhaltig gut aufzustellen. Abgesehen von einer angemessenen Organisationsgröße ist eine sinnvolle Kapitalstruktur, die es den Unternehmen ermöglicht, zu einem fairen Preis zu wachsen und zielgerichtet in Maßnahmen zu investieren, wichtiger denn je.

Die ersten Monate des Jahres 2023 ziehen bereits ins Land. Was war bisher das Highlight bei Euch?
Wir sind Mitte letzten Jahres in unserem zweiten Markt, den Niederlanden, gestartet. Natürlich braucht es immer eine gewisse Anlaufzeit in neuen Märkten, um das Potenzial dort wirklich einschätzen zu können. Jetzt sehen wir aber, dass sich der Aufbau unseres Netzwerkes dort bezahlt macht und der Anteil unserer niederländischen Kunden stark wächst. Auch war der Anfang des Jahres in der Hinsicht super, um zu sehen, wie Bestandskunden unser Produkt, also ihre Finanzierungslinie, immer wieder und nicht nur einmal nutzen. Wir haben ein an sich wenig greifbares Produkt. Wenn unsere Kunden ihre Finanzierung von re:cap beibehalten oder sogar aufstocken und wir dann sehen können, für welche Maßnahmen sie die Liquidität verwenden, bekommt unser Produkt und damit unsere Bedeutung für unsere Kunden eine ganz andere Wertigkeit und wird damit auch greifbarer.

Wie hat sich re:cap seit der Gründung entwickelt?
Wir sind seit unserer Gründung Mitte 2021 auf inzwischen 40 Mitarbeitende gewachsen, in zwei Märkten aktiv und konnten von renommierten Investoren knapp 15 Millionen Euro an Eigenkapital und 90 Millionen Euro an Liquidität für unsere Plattform einsammeln. Vor allem auf Kundenseite sehen wir aktuell eine spannende Dynamik, mit der sich unsere Kundenanzahl in der zweiten Jahreshälfte 2022 im Vergleich zur ersten mehr als verdoppelt hat.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist seit der Gründung so richtig schief gegangen?
Es gab zum Glück keine allzu negativen Überraschungen, aber natürlich haben wir – wie jedes Startup – mit teils großen Herausforderungen zu kämpfen. Anfang 2022 waren wir der Auffassung, dass wir schnell in weitere europäische Märkte expandieren würden. Da jede Markterschließung aber mit teils großen Investments verbunden ist, hat uns die ökonomische Situation im letzten Jahr dazu gebracht, die Expansion vorsichtiger und kostensensibler angehen zu lassen, sodass wir uns vorerst nur auf die Niederlande als weiteren Markt fokussiert haben. Dadurch sind wir international noch nicht so breit aufgestellt, wie wir uns das initial gewünscht hätten. Gleichzeitig haben wir noch mehr und intensiver über unsere zwei Stammmärkte und die dortigen Kundenbedürfnisse gelernt.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir wussten von Anfang an sehr genau, was unsere Stärken als Gründer-Team sind und wie wir unser  Unternehmen aufbauen – vom Produkt und Tech, bis zum Aufbau des Teams und erfolgreichem Funding. Dabei hat es natürlich sehr geholfen, dass Jonas und meine Wertevorstellungen und Arbeitsmoral sehr ähnlich sind und wir somit einen klaren Kompass für die Unternehmenskultur vorgeben konnten. Heute würde ich sagen, dass ich auf unser Team und unsere Kultur sehr stolz bin und wir im Hiring viel richtig gemacht haben.

Welches Projekt steht bei Euch in den kommenden Monaten ganz oben auf der Agenda?
Wir haben zwar ein gutes Wachstum im letzten Jahr hingelegt, stehen aber insgesamt von der Bekanntheit und Nutzung unseres Produktes immer noch am Anfang. Wir sehen, dass das Thema alternative Finanzierung für Startups im Zuge des “VC-Winters” an Interesse gewinnt, aber es trotzdem noch mit vielen, oftmals unbegründeten Vorurteilen aufzuräumen gilt. Das verstehen  wir auch als Teil unserer Aufgabe, da wir eine bessere Kapitalstruktur von Startups als Wettbewerbsvorteil sehen und hier die europäische Startup-Industrie unterstützen wollen.

Und wo steht re:cap in einem Jahr?
Bislang haben wir uns vor allem  auf SaaS-Unternehmen fokussiert, die wiederkehrende Einnahmen generieren. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir unsere Marktsegmente erweitern und im Laufe des Jahres auch neue Produkte launchen. Das ist aber erst der Anfang. Langfristig ist es unsere Ambition, der führende Tech-Anbieter für alternative Startup-Finanzierungen zu werden.

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Foto (oben): re:cap

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.