#Interview
“Die Buchhaltung zu automatisieren, war eine Vision, an der wir fast gescheitert wären”
Das Berliner FinTech Candis, das 2015 von Christian Ritosek gegründet wurde, automatisiert das Rechnungsmanagement. Zukünftig möchte das Unternehmen “das Portfolio durch digitale und physische Kreditkarten für Unternehmen erweitern, die Software ausbauen und mehr Mitarbeiter:innen einstellen”. Viola Fintech, Lightspeed und Viola Ventures investierten kürzlich rund 16 Millionen US-Dollar in die Jungfirma. Bis Ende 2020 flossen zuvor bereits rund 18 Millionen Euro in Candis.
“Ursprünglich sind wir gestartet, um die gesamte Buchhaltung von kleineren Unternehmen zu automatisieren. Die Kunden wurden über die Zeit jedoch immer größer und der Prozess, den wir digitalisiert haben, immer spezifischer. Wir haben festgestellt, dass der größte Pain bei Unternehmen im Rechnungsmanagement liegt und uns dann 2019 dazu entschlossen, uns komplett auf diese Kunden zu fokussieren”, blickt Gründer Ritosek auf die vergangenen Jahre zurück.
Wie würdest Du Deiner Großmutter Candis erklären?
Stell dir vor, du arbeitest in einem Unternehmen mit mehreren Standorten und du bist für die korrekte Erfassung, Freigabe, Verbuchung und Bezahlung der Eingangsrechnungen verantwortlich. Angenommen du erhältst 1.000 Rechnungen im Monat. Du musst nun jede Rechnung händisch kategorisieren, auf Korrektheit prüfen, sie intern von Abteilungsleitern freigeben lassen und Zahlungsläufe erstellen. Das ist so schon ein Riesenaufwand, aber wenn die Freigeber noch Rückfragen oder Korrekturwünsche haben, wird es schnell unübersichtlich. Du siehst, dass ein sehr großer Arbeitsaufwand damit verbunden ist, Rechnungen ordentlich zu verbuchen und zu bezahlen. Wie du dir vorstellen kannst, stehen die Daten der Geschäftsleitung auch erst zur Verfügung, wenn der Prozess abgeschlossen ist. Diese macht dir aber permanent Druck, weil sie Zahlen haben will: Aktuelle Übersichten über Verbindlichkeiten, Kostenentwicklungen mit Lieferanten und so weiter. Diese zur Verfügung zu stellen, dauert entsprechend lange. Unsere Software digitalisiert den Prozess und erleichtert dir deinen Arbeitsalltag ungemein. Candis erkennt, sobald eine Rechnung bei dir eingeht, erfasst die relevanten Rechnungsdaten, kategorisiert die Rechnungen und leitet die Rechnungen automatisch an die Personen weiter, die diese Rechnungen freigeben müssen. Du siehst in einer Übersicht auf deinem Computer oder deinem Handy, wo sich die Rechnungen gerade im Umlauf befinden. Und das Tollste: Nachfragen zu einer Rechnung kann sich die Geschäftsleitung selbst in Sekundenschnelle beantworten.
War dies von Anfang an euer Konzept?
Ursprünglich sind wir gestartet, um die gesamte Buchhaltung von kleineren Unternehmen zu automatisieren. Die Kunden wurden über die Zeit jedoch immer größer und der Prozess, den wir digitalisiert haben, immer spezifischer. Wir haben festgestellt, dass der größte Pain bei Unternehmen im Rechnungsmanagement liegt und uns dann 2019 dazu entschlossen, uns komplett auf diese Kunden zu fokussieren.
Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Kunden bezahlen eine Gebühr für die Nutzung unserer Software. Also ein klassisches SaaS-Modell. Die Gebühr richtet sich nach unterschiedlichen Faktoren wie Dokumentenvolumen, Anzahl der Nutzer und Anzahl der Tochterunternehmen.
Wie ist überhaupt die Idee zu deinem Startup entstanden?
Ich bin schon seit über einem Jahrzehnt unternehmerisch tätig und habe mich in dieser Zeit auch immer darüber geärgert, dass Finanzprozesse in Unternehmen sehr häufig noch sehr manuell ablaufen, während viele Prozesse auf der “Umsatzseite” schon digital und teilweise automatisiert sind. Intern bei CANDIS nennen wir es “Disaster-Dreieck”: Unternehmen nutzen häufig noch immer das Dreiecksverhältnis aus “Excel, E-Mail und Unterschriftenmappe”, um ihre Papierflut zu bewältigen. Aus dieser Motivation heraus ist Candis entstanden.
Wie hat sich Candis seit der Gründung entwickelt?
Mittlerweile sind wir knapp über 100 Mitarbeiter. Eine wichtige Kennzahl für uns ist das prozessierte Rechnungsvolumen. Das lag 2019 noch bei circa 200 Millionen Euro im Quartal, 2020 bei 1 Milliarde Euro, 2021 bei 3 Milliarden und 2022 bei 8 Milliarden.
Zuletzt konntet ihr 16 Millionen US-Dollar einsammeln. Wofür braucht ihr so viel Geld?
Wir wollen uns als die Go-To-Lösung für digitale und automatisierte Purchase-To-Payment Prozesse in Europa etablieren. Dazu investieren wir stark in die Weiterentwicklung des Produkts sowie in Marketing- und Vertriebsaktivitäten. Damit einhergehend natürlich in den Auf- und Ausbau von Teams.
In der FinTech-Branche gibt es derzeit viel Bewegung – etwa große Investments, aber auch Entlassungen, Insolvenzen und Übernahmen. Wie ist Deine Sicht auf den Markt?
Das Marktumfeld ist schwierig, keine Frage. Im Allgemeinen geht der Trend von VC-Investitionen weg von rein growthgetriebenen Modellen, bei denen Effizienz kaum eine Rolle gespielt hat, hin zu effizienten Unternehmen und Geschäftsmodellen, die ordentlich wachsen. Das Schöne bei unserem Modell ist, dass wir Unternehmen gerade im letzten Bereich helfen, nämlich effizienter zu werden, in dem sie ihre Finanzprozesse besser managen. FinTechs, die in diesem Bereich unterwegs sind, haben es meiner Meinung nach einfacher, durch die Krise zu navigieren.
Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Am Anfang wollten wir viel zu viel auf einmal. Die komplette Buchhaltung für kleine Unternehmen zu automatisieren, war eine Vision, an der wir fast gescheitert wären. Wir hatten noch keine Klarheit über Kundenprofile und wirkliche Needs. So kam es, dass wir am Anfang teilweise Features gebaut haben, die einigen Kunden gefallen haben, aber an der Mehrheit der Kunden vorbei entwickelt wurden.
Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Ironischerweise sind wir im Product-Bereich, vielleicht, weil es anfangs so hakelig war, richtig gut geworden. Wir verfügen mittlerweile über großes Expertenwissen sowohl über den Markt als auch über unsere Kunden. So können wir unsere Kunden sowohl im Salesprozess sehr gezielt beraten und durch smarte Features einen echten Mehrwert in ihrem Arbeitsalltag schaffen. Zudem haben wir einen starken Fokus auf Benutzerfreundlichkeit. Unsere Software ist für eine B2B-Finanzsoftware sehr einfach zu bedienen und wird auch von Leuten außerhalb des Finanzbereichs sehr gut verstanden.
Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Ich glaube das Wichtigste ist es, fokussiert zu bleiben. Gerade wenn man ein Unternehmen baut, hat man hunderte Ideen und sieht überall neue Opportunities. Man sollte sich auf die Lösung eines Problems in einer Nische beschränken, diese bedienen und dann daraus wachsen.
Wo steht Candis in einem Jahr?
Wir bedienen noch größere Kunden mit diversen Integrationen und sind auf dem Sprung Candis von Deutschland nach Europa zu expandieren.
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