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Ja, es ist Krise!

Die Krise ist da - und sie wird auch so schnell nicht wieder verschwinden. Die Zeiten von Wachstum um jeden Preis, Investmentrunden im Schnellverfahren und schlecht laufenden Startups, die immer neue Geldgeber aus dem Hut zaubern, sind zu Ende. Es gibt aber keinen Grund für Verzweiflung.
Ja, es ist Krise!
Donnerstag, 15. September 2022VonAlexander

Das goldene Zeitalter der deutschen Startup-Szene mit Millioneninvestments am Fließband und einem hierzulande nie zuvor erlebten Unicorn-Boom ist zu Ende. Es ist Krise! Ukraine-Krieg, Inflation, Energiepreiskrise – derzeit kommt viel zusammen. Und die Corona-Pandemie mit all ihren wirtschaftlichen Herausforderungen haben auch alle längst noch nicht alle verkraftet. Kurzum: So schlecht war der Blick in die Zukunft schon sehr lange nicht mehr. Für viele Gründer:innen und Investor:innen ist es sogar die erste Krise überhaupt, die sie erleben.

Zahl der großen Investments gehen zurück

Eine sichtbare Auswirkung dieser größten Krise seit mehr als einem Jahrzehnt ist der massive Rückgang von ganz großen Investmentrunden. Zum ersten Mal seit etlichen Jahren gab es in den vergangenen Monaten mal wieder ein klassisches Sommerloch. Im August verzeichneten wir in Deutschland gerade einmal 11 große Investments (ab 10 Millionen). Im Juli waren es 15. Im Juni immerhin noch 24. Macht zusammen 50 große Investmentrunden. Im Vorjahr zählten wir im Vergleichszeitraum immerhin 79 millionenschwere Finanzierungen.

Insolvenzen nehmen zu

Eine weitere sichtbare Auswirkung der derzeitigen Krise ist eine spürbare Insolvenzwelle. In den vergangenen Wochen und Monaten schlitterten große und kleine Startups wie Agrando, Nuri, Saiga, Vantik, GetFaster, Berlin Organics, Flimmer, 4scotty, SpiceNerds, CO2free, Biorena und realbest in die Insolvenz. Dabei sind vor allem millionenschwere Pleiten wie die von Agrando, Nuri und Vantik einen Blick wert. Immerhin konnten diese Jungfirmen in der Vergangenheit rund 65 Millionen Venture Capital einsammeln.

Alles in allem sind in diesem Jahr zwar schon mehr Startups als in den Vorjahren gescheitert, der finanzielle Schaden ist aber gering. Vor allem, wenn man bedenkt, dass alleine im Januar dieses Jahres bei rund 30 Investments rund 2 Milliarden in hiesige Unternehmen geflossen sind. Zudem waren wir in Deutschland in den vergangenen Jahren extrem verwöhnt, was Startup-Pleiten anbelangte. Zu den größten und wichtigsten Startup-Pleiten (bis 2019) gehören etwa Unternehmen wie abracar, Homebell, Monoqi, Monedo, tausendkind und Zeitgold.

Startups entlassen Mitarbeiter:innen

Eine weitere sichtbare Auswirkung der derzeitigen Krise sind Entlassungen. Immer mehr Startups bauen Arbeitsplätze ab. Das Ziel dabei ist es oftmals gut durch die derzeitige Krise zu kommen, mal besten ohne weitere Investmentrunde. Das Berliner Grownup Pitch trennte sich gerade von 30 % seiner Mitarbeiter:innen. “It’s increasingly clear that we’re heading into an extended recession. For that reason, we’ve made the painful decision to reduce the size of our team”, schrieb Gründer Christian Reber zu den Entlassungen.

Das Berliner Farming-Unicorn Infarm trennte sich zeitgleich von 50 Mitarbeiter:innen. Das Wiener EdTech-Unicorn GoStudent baute unterdessen direkt 200 Arbeitsplätze ab. Zudem stellte das Unternehmen seine Aktivitäten in den USA ein. Das Berliner Unternehmen Urban Sports Club trennte sich zuvor von rund 55 Mitarbeiter:innen. Der Berliner Kreditvergleichsdienst Smava trennte sich zudem von rund 100 Mitarbeiter:innen. Und auch ArtNight, Tier Mobility, Chronext, SoundCloud, SellerX, McMakler, Cosuno, Gorillas mussten zuletzt Arbeitsplätze abbauen.

Kein Grund zur Panik

Trotz dieser vielen schlechten Nachrichten, besteht aber kein Grund zur Panik. Die deutsche Startup-Szene war in den vergangenen Jahren einfach extrem auf Koks. Eine Korrektur war längst überfällig. Die Zeiten von Wachstum um jeden Preis, Investmentrunden im Schnellverfahren und schlecht laufenden Startups, die immer neue Geldgeber aus dem Hut zaubern, sind zu Ende. Gute Teams, Boom-Themen und funktionierende Geschäftsmodell bekommen auch derzeit weiter Geld.

Investor:innen setzen auf ClimateTech

Ein gutes Beispiel sind die vielen ClimateTech-Investments, die es zuletzt zu berichten gab. PropTech1, Speedinvest und Antler investierten gerade 1,25 Millionen in NeoCarbon. Green Generation Fund und Co. investierten gerade 6,5 Millionen Euro in Klim. Galvanize Climate Solutions, Aenu und Co. investierten zuletzt 10 Millionen Euro in alcemy. Atlantic Labs, Verve Ventures und Co. investierten zudem 3,5 Millionen Euro in tozero. Carbon Removal Partners, Norrsken VC und Altinvestor Picus Capital investierten zuletzt 4,2 Millionen Euro in Ceezer.

“Eine positive Revolution”

Für eine Götterdämmerung, einen Abgesang auf die deutsche Startup-Szene oder gar pure Verzweiflung gibt es somit keinen Grund. “Die kommenden Quartale werden hart. Sehr hart sogar, vermutlich”, schrieb Investor Christan Miele zuletzt auf Linkedin zur aktuellen Lage. Er sieht aber auch keinen Grund zur Verzweiflung: “Ich sehe hier auch eine Chance für die Gründerszene: Wenn wir so viele Arbeitsplätze wie möglich beschützen, unsere Geschäftsmodelle der Krise anpassen, unsere Firmen für die Zukunft wappnen und vor allem aus eigener Kraft, ohne die Hilfe des Staates, die Herausforderungen der Krise navigieren, dann könnte das Image der Startups in Deutschland eine positive Revolution erleben.”

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Foto (oben): Shutterstock

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.