#Interview

“Bei uns gab es nie eine Schock-Welle”

Das halbe Unicorn Moss tritt vorerst nicht auf die Bremse! "Wir akquirieren immer noch mit hohen Wachstumszahlen jeden Monat neue Kund:innen und haben neue Ausgaben-Volumina – das wird auch so bleiben. Die Firma soll konstant weiter ausgebaut werden", sagt Gründer Ante Spittler.
“Bei uns gab es nie eine Schock-Welle”
Dienstag, 6. September 2022VonAlexander

Das Berliner FinTech Moss, das 2019 von Ante Spittler, Anton Rummel, Ferdinand Meyer und Stephan Haslebacher gegründet wurde, setzt auf Firmenkreditkarten. Insgesamt konnte das junge Unternehmen bisher rund 130 Millionen Euro einsammeln – unter anderem von Tiger Global, A-Star, Valar Ventures, Cherry Ventures und Global Founders Capital (GFC). Im Zuge der letzten Investmentrunde wurde das FinTech mit rund 500 Millionen Euro bewertet.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Moss erklären?
Tatsächlich habe ich gerade erst vor Kurzem meinen Eltern erklärt, was genau wir machen. Das Produkt verändert sich und wächst so schnell. Moss ist ein Softwareprodukt, das Unternehmen dabei hilft, ihre gesamten Ausgaben zu managen. Alle Transaktionen, von Dienstreisen über Warenausgaben bis zum Marketing, werden durch Moss digitalisiert und optimiert. Dabei integrieren wir Finanzprodukte wie Kreditkarten, um auch einzelne Berührungspunkte in dieser Kette so reibungslos wie möglich zu gestalten. Wir helfen also dabei, dass der Prozess der Geldausgabe, der über verschiedene Stellen laufen muss, effizient und transparent digital abgebildet werden kann. Unternehmen behalten so jederzeit die Kontrolle über ihre Finanzprozesse.

Zuletzt konntet ihr 75 Millionen Euro einsammeln – unter anderem von Tiger Global. Ist Tiger Global tatsächlich so schnell und überzeugend, wie immer gesagt wird?
Wir haben in Tiger Global einen starken Partner gesehen und uns aus mehreren Optionen aktiv für sie entschieden. Tatsächlich war Tiger in der Tat insbesondere im Assessment-Teil und den ersten Besprechungen sehr dynamisch und schnell. Die Entscheidung fiel also, weil wir sie für einen starken Capital-Partner halten, der uns auf der Seite von Access und eben Capital gut unterstützen kann.

Seit eurer letzten Investmentrunde hat sich die Stimmung im Markt massiv geändert. Seid ihr darauf vorbereitet, dass es schwieriger werden wird, weiteres Geld einzusammeln?
Ja, das sind wir. Wir haben die Firma immer mit einer zukunftsgerichteten Strategie aufgebaut und unsere Perspektiven langfristig definiert. Bei uns gab es daher auch nie eine Schock-Welle. Nichtsdestotrotz müssen auch wir aufgrund der Veränderungen an ein paar Baustellen arbeiten. Unter anderem geht’s dabei um Dinge wie eine stärkere Optimierung von unseren Unit Economics im ständigen Abgleich mit unseren Wachstumsambitionen und einer Verbesserung der insgesamten Effizienz innerhalb der Firma.

Wie genau hat sich Moss seit der Gründung entwickelt?
Wir sind mittlerweile über 400 Kolleg:innen in einem hybriden Modell, verteilt über mehrere Offices. Im letzten Jahr sind wir konsistent umsatzseitig zwischen 10 und 25 % pro Monat gewachsen. Unser Kundenstamm liegt in den Tausendern und ist geprägt durch traditionelle Mittelständler, also nicht nur Tech-Unternehmen und Startups. Zuletzt haben wir ein jährliches Ausgabenvolumen von über einer Milliarde realisiert, die über die Plattform abgewickelt wurde. Entsprechend relevant und signifikant ist Moss auch im Marktfeld geworden.

Ihr seid inzwischen auch in die Niederlande und nach Großbritannien expandiert. Warum habt ihr euch zum Start gerade diese beiden Länder ausgesucht?
Hier gab es einige entscheidende Faktoren. Zum einen fanden wir das makroökonomische Umfeld sehr attraktiv. Dazu gehören unter anderem die hohe Nutzung von Online-Zahlungsmitteln im geschäftlichen Umfeld und ein Interesse an Kreditprodukten allgemein, aber eben auch die Anzahl von schon etablierten Unternehmen in diesem Bereich. Das heißt, es gab einen klaren Pain Point, den wir bedienen können. Ein weiterer Grund war, dass wir unserer Einschätzung nach in beiden Ländern die Möglichkeit haben, Branchenleader zu werden – in den Niederlanden sind wir unserer Ansicht nach jetzt schon Marktführer bei den Next-Gen-Anbieter:innen.

Noch im Januar wirkten 200 Mitarbeiter:innen bei Moss. Inzwischen sind es über 400. Wie habt ihr dieses enorme Wachstum rein organisatorisch gestemmt?
Wir mussten natürlich in unsere People-Abteilung und dortige Prozesse investieren. Ehrlich gesagt war das auch nicht ganz einfach und wir waren nicht hundertprozentig darauf vorbereitet. Glücklicherweise hat es aber an den wichtigsten Punkten funktioniert. Somit konnten wir stets unsere Standards auf Mitarbeiterbasis aufrechterhalten. Dabei war eins besonders wichtig: Ein effizientes und inspirierendes Onboarding als Kernkomponente, damit neue Talente direkt durchstarten können. In Zeiten, in denen Märkte sehr kompetitiv sind, ist die Herausforderung wahnsinnig groß, zu überzeugen. Unser Onboarding hebt sich vor allem durch die „Onboarding Academy“ ab. Diese besteht aus mehreren Sitzungen, die einzelne Blickpunkte abdecken. Jeder Co-Gründer hält eine Sitzung pro Monat vor allen Starter:innen. Ich mache beispielsweise eine allgemeine Einführung in unsere Vision, Mission und Werte. Es gibt aber auch Sitzungen zu Produkt, Risiko oder Compliance. Die Sales-Abteilung allein hat 25 Trainings.

Seid ihr in Ansicht der derzeitigen Krisenstimmung nun weiter auf Expansionskurs?
Absolut ja, mit dem Fokus auf die bestehenden Märkte. Wir akquirieren immer noch mit hohen Wachstumszahlen jeden Monat neue Kund:innen und haben neue Ausgaben-Volumina – das wird auch so bleiben. Die Firma soll konstant weiter ausgebaut werden. Noch haben wir aber beispielsweise kein nächstes Land auf der Agenda. Das Produkt erfordert einfach einen gewissen Grad an Lokalisierung und soll auch unseren eigenen Ansprüchen an die UX, Reliability und Stabilität gerecht werden. Das steht bei uns absolut im Fokus, braucht jedoch aber Zeit und Arbeit.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
So richtig schief gegangen ist glücklicherweise nichts, aber es gab ganz klar Herausforderungen. Eine große Challenge lag beispielsweise im Back Office. Den Shift hin zu unserem jetzigen hybriden Modell bestehend aus Office-Bezug, Remote und Dezentralisierung noch einmal richtig zu managen war aufwändig. Das fängt allein schon dabei an, den vielen neuen Mitarbeitenden aus zahlreichen Ländern Computer zur Verfügung zu stellen, die zentral aufbereitet sind, aber einen lokalen Netzanschluss haben, und geht bis hin zur Vergabe der eigenen Moss Kreditkarte in Ländern, in denen diese vielleicht noch gar nicht aktiv ist. Das kostet alles wahnsinnig viel Zeit.

Und wo habt ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir haben ein sehr starkes Produkt geschaffen. Das wird uns auch so von Investor:innen gefeedbackt, die Marktstudien durchführen lassen. Uns wird auch immer wieder gesagt, dass unser Produkt stabiler und verlässlicher ist als das der Konkurrenz und auch eine bessere UX aufweist. Zwar haben wir nicht die meisten Features, aber das, was da ist, funktioniert besser und unsere Geschwindigkeit, neue Sachen zu bauen, ist unvergleichbar hoch. Daran knüpfen wir an und glauben, dass das auch unser langfristiges Differenzierungsmerkmal bleiben wird.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Es ist wichtig, ein hartes Businessmodell-Sensing zu haben, also das neue Modell auf Herz und Nieren zu prüfen. Wie funktioniert es und wie realistisch ist die Umsetzung? Inklusive relevanter Kosten wie der Kundenakquise. Aber man sollte auch eine wahnsinnig hohe Agilität beibehalten, um auf neue Erkenntnisse reagieren und jederzeit selbstkritisch handeln zu können. Immer mit der Hypothese, dass man noch gar nicht so viel weiß und neue Informationen erst verarbeitet werden müssen. Wichtig ist es zudem, die eigenen Ziele langfristig und nicht quartalsweise festzulegen. Sonst wird die Arbeit zu einem Hamsterrad, wo man nur von einem zum nächsten Ziel rennt.

Wo steht Moss in einem Jahr?
Tausende von KMUs in unseren drei Fokusmärkten sind aktive Nutzer:innen von Moss und haben ihr Ausgabenmanagement so umgebaut und an die moderne Arbeitsweise angepasst, dass sie
signifikant mehr Zeit für andere Themen gewinnen und damit den Fokus im Finanzbereich von der reinen Administration hin zur aktiven Steuerung verlegen können. Finanzteams haben somit mehr Zeit für das Management und ihre Business-Partner:innen. Zudem wollen wir mit Moss eine Firma aufbauen, die von unseren Mitarbeitenden als ein Arbeitsplatz verstanden wird, an dem sie persönlich und beruflich überproportional schnell wachsen und der Talente wie Magnete anzieht, aber vor allem auch hält. Mit diesem Team wollen wir dann natürlich wachsen. Und damit zu guter Letzt noch einen großen Schritt näher an unsere Vision kommen: Dass unsere Kund:innen ihr ganzes Ausgabenvolumen über Moss steuern. Von Karten, Überweisungen, Cash-Transaktionen oder Wallets wie Paypal – Moss wird zu der zentralen Plattform, die diese Wertschöpfungskette von Ende zu Ende abbildet.

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Foto (oben): Moss

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.