#Gastbeitrag

Wie Startup-CEOs ihr Schiff durch raues Wetter steuern

Wenn euer Unternehmen scheitert, heißt es nicht, dass ihr gescheitert seid. Einer der Trends der letzten Jahre war, dass Misserfolge bei unternehmerischen Tech-Unternehmen fehlten. Ein Gastbeitrag von Suranga Chandratillake.
Wie Startup-CEOs ihr Schiff durch raues Wetter steuern
Montag, 29. August 2022VonTeam

In den Jahren 2008/2009 durchliefen die Märkte eine ähnlich starke Korrektur wie derzeit. Damals wurde die Welt mit einer globalen Finanzkrise konfrontiert, heute sorgen mehrere Faktoren im Zusammenspiel für einen weltweiten Abschwung der Wirtschaft, dazu gehören maßgeblich der Ukrainekrieg, die Inflation, zerbrochene Lieferketten sowie steigende Gas- und Strompreise. Dadurch stehen CEOs aktuell verstärkt unter Druck, immerhin tragen sie in ihren Unternehmen die größte Verantwortung. In der Rolle des Gründers und CEOs habe ich die Finanzkrise miterlebt und kenne die entsprechenden Emotionen, die in solchen Sondersituationen hochkochen. Basierend auf meinen Erfahrungen teile ich hier fünf Ratschläge, die ich auch unseren Porfolio-CEOs mitgebe.

Macht euch bewusst: Es ist nicht eure Schuld

Die aktuelle Situation ist nicht eure Schuld – sagt euch das wieder und wieder. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Märkte steigen und fallen. Ebenso wie das Vertrauen der Anleger:innen. Die Herausforderung besteht darin, dass es in guten Zeiten leicht ist, die Lorbeeren für den Aufschwung zu ernten. Wenn es dann wieder bergab geht, kann man oftmals nicht anders, als sich zu fragen, ob es nicht auch an einem selbst liegt. Zwar haben Mikroentscheidungen von euch und euren Investor:innen zu den Schwankungen, sowohl nach oben als auch nach unten, beigetragen. Doch in der Realität haben selbst die Führungskräfte der größten Unternehmen nur wenig individuelle Kontrolle darüber. Also setzt euch nicht unnötig unter Druck, denn es hilft nicht. Nehmt euch die Zeit, um dies wirklich zu verinnerlichen, denn ohne diese Einsicht ist es schwer rational zu handeln.

Man kann nicht alle retten

Als CEO will man für alle einstehen und jede:n retten. Aus meiner Erfahrung, funktioniert das leider häufig in ungewissen Marktlagen, wie der aktuellen nicht. Auch hieran sind zum Teil Boomzeiten schuld. Herrschen Boomzeiten in der Tech-Branche, verlagert sich die Macht hin zu den CEOs und die Welt wird “gründerfreundlich”. Die einzelnen Führungskräfte werden fast schon verehrt und kräftig am Mythos ihrer vermeintlichen Allmacht gearbeitet. In Wirklichkeit sind sie aber auch nur Menschen, und es gibt reale Grenzen für das, was sie kontrollieren können. Die Auswirkungen werden von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein: Investor:innen werden vielleicht unter einer niedrigeren Bewertung leiden, einige Mitarbeiter:innen werden entlassen, einige Kund:innen werden vielleicht keine Produkte mehr erhalten. Wenn dies unvermeidlich ist, konzentriert eure Emotionen und Energie darauf, vernünftige Reformen umzusetzen, sie transparent gegenüber anderen zu kommunizieren und die davon Betroffenen mit allem möglichen Respekt zu behandeln.

Die Regeln sind anders – aber nicht falsch 

Wenn die Marktstimmung über einen längeren Zeitraum hinweg beständig ist, werden alle möglichen Weisheiten in “Gesetze” der Unternehmensphysik verwandelt. Zu aktuellen zählen zum Beispiel “gute Unternehmen raisen alle 18 Monate”, “1 US-Dollar auf 1 US-Dollar Umsatz zu verbrennen ist ein gesundes Wachstum” und so weiter. Wenn sich diese axiomatischen Grundlagen der Weltanschauung ändern, ist es leicht, wütend und verärgert zu werden, sich zu beschweren und gegen das Universum im Allgemeinen zu wettern. Doch es nützt nichts. Findet euch stattdessen lieber mit der neuen Realität ab. Es mag sein, dass ihr eure Unternehmen nach den oben genannten Regeln aufgebaut habt. Aber die Regeln haben sich geändert, folglich müsste sich die Art und Weise, wie ihr euer Unternehmen führt, anpassen. Niemand wird euch einen Vorwurf machen. Aber es interessiert leider auch wenige, dass es ungerecht ist.

Manche Unternehmen scheitern

Haltet euch vor Augen, dass ihr nicht euer Unternehmen seid. Wenn es scheitert, heißt das nicht, dass ihr gescheitert seid. Nochmal: Wenn euer Unternehmen scheitert, heißt es nicht, dass ihr gescheitert seid. Einer der Trends der letzten Jahre war, dass Misserfolge bei unternehmerischen Tech-Unternehmen fehlten. Viele Unternehmen haben in turbulenten Zeiten dann doch irgendwoher Geld bekommen und weitergemacht. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die Gründung eines Start-ups und der Aufbau eines wachstumsstarken Geschäfts von Natur aus risikoreich sind – und viele von ihnen deshalb scheitern werden. Das ist in Ordnung, niemand trägt daran Schuld. Alle Beteiligten sind erwachsen und waren sich der Risiken bewusst. Und selbst beim Scheitern profitiert man, etwa, dass sobald der anfängliche Schmerz nachlässt, alle Beteiligten viel lernen und daran wachsen werden. Wenn also das, woran ihr arbeitet, wirklich nicht mehr funktioniert, lasst nicht zu, dass die Angst vor dem Scheitern dem rationalen Denken im Wege steht.

Während pragmatisches Handeln in solchen Zeiten entscheidend ist, hat meine persönliche Erfahrung gezeigt: Es beginnt als Gedankenspiel und vieles ist Kopfsache. Bevor ihr also die notwendigen Schritte einleiten könnt, ist es wichtig, dass ihr euren Verstand und eure Emotionen in die richtigen Bahnen lenkt.

Über den Autor
Suranga Chandratillake ist General Partner beim VC Balderton. Zuvor war er als Unternehmer und Ingenieur tätig. 2004 gründete er in Cambridge blinkx, die intelligente Suchmaschine für Video- und Audioinhalte. Anschließend leitete er das Unternehmen acht Jahre lang als CEO, zog nach San Francisco, baute ein profitables Geschäft auf und ging in London an die Börse, wo blinkx eine Marktkapitalisierung von über 1 Mrd. US-Dollar erreichte.

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Foto (oben): Shutterstock