#Gastbeitrag
Quick Commerce und Co. – die Milliarden-Wette im E-Food-Game
„Der Quick-Commerce-Anbieter Gorillas will weitere 600 Millionen Euro einsammeln“. Diese Nachricht lief kürzlich über die Ticker. Selten haben Startups es geschafft, schneller einen Unicorn-Status zu erlangen als der 2020 in Berlin gegründete Lieferdienst.
Folgerichtig vergeht keine Woche in der deutschen E-Food-Landschaft ohne neue atemberaubende Kapitalrunden und den Markteintritt weiterer, bisher unbekannter Anbieter und Investoren. Es mag deshalb nicht überraschen, dass kaum ein anderes Thema im Investorenumfeld derzeit so eine hohe Aufmerksamkeit auf sich zieht. Insgesamt 14 Milliarden US-Dollar Wagniskapital flossen weltweit seit Beginn der Pandemie in Quick-Commerce-Startups.
So fragen sich die deutsche Wagnis-Kapitallandschaft genauso wie etablierte Akteure des hiesigen Lebensmitteleinzelhandels: Sind wir hier Zeugen einer neuen Blase? Wie lange können sich die Akteure die absurden Marketing- und Logistikausgaben noch leisten? Und wann werden etwa ALDI und Lidl in das Spiel eintreten? Doch die wichtigste Frage, die über allem schwebt, lautet: Welche Geschäftsmodelle werden sich dauerhaft durchsetzen?
Schnelligkeit vs. Sortimentsbreite
Zur besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit der Quick-Commerce-Startups beigetragen haben vor allem die extrem kurzen Liefergeschwindigkeiten von maximal zehn Minuten von Gorillas und Flink. Beide Startups, noch keine vollen zwei Jahre alt, haben mit massiver Marketingunterstützung und enormen Venture Capital ausgestattet, schier unglaubliche Zeitfenster von höchsten zehn Minuten ausgelobt.
So beliebt solche kurze Auslieferungsfenster primär bei jüngeren Zielgruppen sein mögen, so groß sind auf der anderen Seite die einhergehenden Einschränkungen. Denn derartig geringe Lieferzeiten sind nur umsetzbar, wenn das zugrunde liegende Sortiment möglichst schmal ist. Das hat wiederum verhältnismäßig niedrige Warenkörbe pro Einkauf zur Folge, im Falle von Gorillas und Flink spricht man allgemein von circa 20 Euro. Da gerade die letzte Meile sehr kostspielig ist, setzen diese Unternehmen auf Ballungsräume in Großstädten. Die „Ultraschnellen“ sind deshalb nur in den 30 größten deutschen Städten vertreten.
Ganz anders stellt sich die Situation beispielweise bei Bringmeister, Knuspr oder der Dr. Oetker-Tochter Flaschenpost dar, die jeweils zwei- bis dreistündige Zeitfenster anbieten. Hier werden durchschnittliche Warenkörbe von bis zu 50 Euro und mehr erzielt. Daher finden wir diese Player auch in vielen kleineren Städten, im Falle von Flaschenpost sogar bereits in 150.
Eigene Logistik-Hubs vs. Pick-Up-Dienste
Abgesehen von den Erfolgsmerkmalen Liefergeschwindigkeit und Sortimentsbreite scheinen sich drei unterschiedliche Operating-Modell-Formate am Markt zu etablieren: E-Food-Lieferdienste mit eigener Logistik à la Gorillas, Flink, Knuspr & Co, Pick-Up- und Delivery-Dienste ohne eigene Logistik-Hubs (Bringoo und Bringman) und schließlich „Click & Collect“-Formate, also Online-Bestellungen und Abholmöglichkeiten vor Ort. Letzteres wird hierzulande unter anderem von Edeka und REWE angeboten. In Frankreich ist dieses Modell bereits gängige Praxis und auch in den USA wird es sehr erfolgreich von Kroger betrieben, mit rund 120 Milliarden Euro immerhin das fünftgrößte Einzelhandelsunternehmen weltweit.
Kritiker der Pick-Up-Dienste verweisen darauf, dass sich die Laufkundschaft und die Kunden im Laden gegenseitig stören, wenn Ware aus dem Lager ausgeliefert wird. Diese Kritik ist aber angesichts des beispielsweise großen Erfolges von Instacart in den USA mit einem Umsatz von 1,5 Milliarden US-Dollar wenig überzeugend. So können sich diese Pick-Up-Dienste nicht nur die extrem hohen Kosten für den Erwerb/Anmietung, Automatisierung und Unterhaltung von Logistik-Hubs sparen, sondern haben im Vergleich auch deutlich geringere Werbeausgaben. Denn es sind die Lebensmittelhändler, die auf ihre Dienste aufmerksam machen, wie etwa aktuell in Deutschland der Discounter Penny, der für das Pick-Up-Startup Bringoo wirbt.
Zukünftige Erfolgshebel: Automatisierung der Intralogistik und der Einsatz Künstlicher Intelligenz bei Optimierung der Routenplanung
Gerade weil alle Quick-Commerce-Anbieter – ebenso wie die übrigen E-Food-Player – unprofitabel agieren, wird es entscheidend sein, die Kosten zu minimieren. Bisher sind die von den Quick-Commerce-Unternehmen betriebenen Micro-Depots wenig bis gar nicht automatisiert. Hier besteht ein hoher Effizienzhebel, sobald man hier intelligente Fördertechnik einsetzt. Auch der Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Optimierung der Routenplanung wird schnell zum strategischen Erfolgsfaktor. An dieser Stelle geht es darum, im Sinne einer „vorausschauenden Routenplanung“ zu antizipieren, in welchem Quadrat einer Stadt, an welchem Tag, welche Artikel zu welcher Tageszeit bestellt werden. Hier haben die großen Gastro-Lieferdienste wie Delivery Hero, Uber Eat, Just Eat/Takeaway und DoorDash einen Vorsprung.
Klar ist aber auch, dass die vorgenannten Effizienzhebel erneut großer Kapitalinvestitionen bedürfen, will sagen: Nur wer es schafft, diese Investitionssummen zu stemmen, hat Aussicht, in dem harten Verdrängungswettbewerb zu überleben.
Ausblick
Wie auch in anderen Märkten werden nicht alle Anbieter das Rennen im E-Food-Game überstehen. Erste Konsolidierungsbewegungen in der deutschen Quick-Commerce-Landschaft sind bereits festzustellen, wie letztes Jahr die „Beerdigung“ von Foodpanda durch Delivery Hero, aber auch die Aufgabe von Wuplo Berlin oder auch Jokr in Wien.
Für eine „Flurbereinigung“ spricht der hohe Kapitalisierungsbedarf, der für den Aufbau und die Automatisierung von bestehenden wie zukünftigen Logistik-Hubs erforderlich ist. Zudem geht es auch um die Bedienung der riesigen Marketing-Budgets, die es bedarf, um sich in diesem Verdrängungswettbewerb durchzusetzen. Es bestehen berechtigte Zweifel, dass die kleineren (osteuropäischen) Player, die bis dato über keinen leistungsstarken Gesellschafter oder Kooperationspartner verfügen, dauerhaft überleben werden. Dies betrifft gerade Grovy, Bringmeister und Knuspr.
Zu beantworten bleibt die Frage, wann die deutschen Discount-Marktführer ALDI und Lidl in das Spiel ein. Eines ist klar, die Entwicklungsgeschwindigkeit ist so hoch, dass ein organischer Einstieg keinerlei Erfolgschancen hätte. Walmart, der immer noch größte Einzelhändler der Welt, ist 2016 zu der gleichen Einsicht gekommen, als er sich an dem E-Commerce-Konzern JET.com beteiligte.
Sowohl REWE als auch EDEKA haben sich bereits an unterschiedlichen Startup-Business-Modellen beteiligt respektive unterhalten Kooperationsmodelle zu diesen, verfolgen also eine Hybrid-Strategie. Sie sind sowohl an Lieferdiensten mit eigener Logistikinfrastruktur (Flink oder Picnic), aber auch an Bringdiensten ohne Lager beteiligt (Bringoo beziehungsweise Bringman). Schließlich bieten sie ihren Kunden Online-Bestellung und wahlweise Lieferung nach Hause, aber auch Abholung am nächstgelegenen Supermarkt an. Das Gebot der Stunde heißt also: „Nicht alle Eier in einen Korb legen“.
Am Ende spricht viel dafür, dass wir in den nächste zwei bis fünf Jahren eine heterogene Landschaft mit mindestens zwei unterschiedlichen Operating-Modellen vorfinden werden. Erstens: Klassische Liefermodelle mit eigenen Lagern und zweitens Bringdienste ohne Lagerkapazitäten nach dem US-Vorbild Instacart.
Wer als großer Gewinner aus diesem Wettlauf hervorgehen wird, wird vor allem davon abhängen, wer es schafft, seine Kostenstruktur bestmöglich zu optimieren beziehungsweise zu digitalisieren. Auf jeden Fall wird es ein Player mit hoher Kapitalausstattung sein. Vorsprung haben die großen Gastro-Lieferketten wie DoorDash, Uber Eats, Lieferando und Delivery Hero. Sie haben bereits Datenpunkte und auch die technischen Tools entwickelt, um die Auslieferungsrouten zu optimieren. Darüber hinaus sprechen sie die Sprache der Quick-Commerce-Startups, sodass sie das hohe Tempo mitgehen können. An dieser Stelle sind die etablierten deutschen Lebensmitteleinzelhandel-Oligopolisten im Nachteil – mit der Ausnahme von REWE. Denn der Konzern mischt mit seinem REWE-To-Go-Format seit vielen Jahren bereits erfolgreich im E-Food-Segment mit. Was die Liefergeschwindigkeiten anbetrifft, so werden sich entsprechenden Zeitfenster wohl bei circa 30 bis 45 Minuten einpendeln. Eine Lieferzeit von zehn Minuten wird hingegen nur gegen sehr hohe Aufpreise angeboten werden können.
Bleibt zum Schluss noch die Frage nach Amazon Fresh: Bislang spielt Amazon in Deutschland eine noch untergeordnete Rolle im E-Food-Bereich. Das Sortiment ist sehr eingeschränkt und das Lieferfenster mit einer versprochenen Auslieferung am gleichen Tag verhältnismäßig lang. Aber wie immer gilt es, Amazon nicht zu unterschätzen. Mit seinen schier unbegrenzten Cash-Reserven, vor allem aber mit seiner Logistikkompetenz und nicht zuletzt mit seinem Prime-Modell, ist der Konzern in der Lage, die Spielregeln im E-Food-Milliarden-Game über Nacht zu verändern.
Über den Autor
York von Massenbach ist Direktor und Mitglied der Praxisgruppe Konsumgüter und Handel bei der Managementberatung Atreus.
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