#Interview

“Wir haben es geschafft ein Startup im schwierigen Lebensmittelumfeld ohne Investoren zu skalieren”

Beim Online-Shop fairment dreht sich alles um Fermentation und somit um Kombucha, Sauerkraut und Miso. Derzeit arbeiten rund 20 Mitarbeiter:innen für das Berliner Food-Unternehmen, das bereits einen Jahresumsatz von rund 5 Millionen erwirtschaftet.
“Wir haben es geschafft ein Startup im schwierigen Lebensmittelumfeld ohne Investoren zu skalieren”
Montag, 13. Dezember 2021VonAlexander

Das Berliner Startup fairment, das 2015 von Paul Seelhorst und Leon Benedens gegründet wurde, setzt auf Fermentation. “Wir sind als Getränke-Startup gestartet, das ausschließlich Kombucha in Flaschen verkauft hat. Mittlerweile sehen wir uns als Gesundheits-Startup, das über Fermentation und ihren gesundheitlichen Nutzen aufklärt. Uns treibt an, gesunden Genuss für alle zu schaffen”, sagt Gründer Seelhorst zum Stand der Dinge bei fairment.

Derzeit arbeiten rund 20 Mitarbeiter:innen für das Unternehmen, das bereits einen Jahresumsatz von rund 5 Millionen erwirtschaftet. “Wir haben es geschafft ein Startup im schwierigen Lebensmittelumfeld ohne Investoren zu skalieren, da müssen wir einfach mehr richtig als falsch gemacht haben.”, sagt Seelhorst. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der fairment-Macher außerdem über Sauerkraut, Darmgesundheit und die “Höhle der Löwen”.

Wie würdest Du Deiner Großmutter fairment erklären?
Meiner Oma müsste ich Fermentation gar nicht erklären – die hat ja selbst noch jedes Jahr Sauerkraut gemacht um ihren Kohl über das ganze Jahr essen zu können und auch im Winter genügend Vitamin C zu sich zu nehmen zu können. Sie wusste zwar nicht genau weshalb, aber spürte, dass ihr fermentierte Lebensmittel guttun. Dieses alte Wissen wollen wir mit fairment wieder zurückbringen und mittlerweile gibt es viele spannende Studien, die die gesundheitlichen Vorteile klar belegen. Ich würde ihr aber sagen, dass ich Menschen mit fairment jetzt das Fermentieren mit modernen Ansätzen beibringe, sodass sie sich selbst zu Hause die leckersten, gesunden Lebensmittel ganz einfach, kostengünstig und nachhaltig zu Hause herstellen können. Von Kombucha über Kefir und Joghurt, bis zu echtem Sauerteig und mehr. Dafür versorge ich sie mit frisch gezüchteten Kulturen und modernem Equipment, damit auch nichts schiefgehen kann. Und um Menschen Appetit auf Fermentiertes zu machen gibt es Kombucha, Krauts und Miso bei uns auch schon als fertige Produkte für den gesunden Genuss.

Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, in den vergangenen Jahren irgendwie verändert?
Wir sind als Getränke-Startup gestartet, das ausschließlich Kombucha in Flaschen verkauft hat. Mittlerweile sehen wir uns als Gesundheits-Startup, das über Fermentation und ihren gesundheitlichen Nutzen aufklärt. Uns treibt an, gesunden Genuss für alle zu schaffen.

Wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Wir bringen Leuten kostenlos das Thema Fermentieren bei und nutzen dafür alle konventionellen, als auch digitale Lösungen, die wir mit den heutigen Möglichkeiten so haben. Wir bekommen Reichweite über Blogartikel, Youtube, Instagram, Pinterest, Facebook, als auch Influencer-Marketing. Über diese Reichweite bieten wir den Leuten an, sich für unsere kostenlosen Kurse oder Events einzutragen – wir veranstalten die größten Online Events der Welt zum Thema Fermentation – und etwas über das Thema zu lernen und wie es mit dem Thema Darmgesundheit zusammenhängt. So können wir Menschen dafür begeistern, sich unsere Produkte zu kaufen.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Anfangs haben wir davon profitiert, dass die Leute plötzlich mehr online geshoppt haben, Zeit hatten zu Hause zu sein und Dinge auszuprobieren – wie etwa Fermente anzusetzen. Im ersten Lockdown hatte ja zum Beispiel jeder Hobby-Bäcker plötzlich einen eigenen Sauerteigansatz zu Hause, um selbst Brot zu backen. Da ist unser Sauerteig Starter Kit natürlich voll eingeschlagen. Ein anderer sehr großer Faktor war auch, dass durch Covid das Thema Immunsystem plötzlich in aller Munde war. Der Darm als Mittelpunkt, in dem sich 70 % des Immunsystems befinden und auch die Rolle der Bakterien, die uns potenziell vor unerwünschten Eindringlingen schützen können. Fermentierte Lebensmittel sind außerdem reich an organischen Säuren, wie Essigsäuren und Milchsäuren und Vitaminen, was nochmal ein weiteres gutes Argument für sie ist. Als dann aber der Lockdown vorbei war und der Sommer kam, gab es ein ganz schönes Loch, weil genau das Gegenteil der Fall war. Daraus haben wir viel gelernt und nehmen deswegen aktuell neue Produkte in Angriff, die noch leichter in den Alltag integrierbar sind

Wie ist überhaupt die Idee zu fairment entstanden?
Aus einer persönlichen Gesundheitskrise. Mit Ende Zwanzig war ich an einem Punkt, an dem ich nichts mehr essen, geschweige denn richtig verdauen konnte und ständig aufgebläht war. Von Histaminproblemen über Übelkeit, Migräne, Energielosigkeit, Panikattacken, Schlafprobleme, Hautprobleme über Rheuma war alles dabei. Als ich mich auf die Suche nach der Ursache machte, stieß ich auf diverse gesunde Ernährungsformen, die ich alle ausprobierte – zum Beispiel Rohkost, Vegan, Low Carb, Ketogen, Paleo, etc. So streng diese Ernährungsformen auch waren, eine Sache hatten sie alle gemeinsam. Und zwar, dass fermentierte Lebensmittel in Rohkostqualität überall als absolute Superfoods gelten. Als ich diese konsumieren wollte, fiel mir auf, dass das entweder super schwer war, weil ich sie jedes Mal aufs neue aufwändig in kleinen Mengen herstellen musste, oder sie in dieser Form – unpasteurisiert und authentisch fermentiert – kaum oder gar nicht im Handel erhältlich waren. Also fing ich am Anfang an Kombucha und Wasserkefir zu brauen und Gemüse zu fermentieren und das auf Events und an Bekannte zu verkaufen. Und so war die Idee geboren.

Wie viele andere Startups habt ihr bereits an der Vox-Show “Die Höhle der Löwen” teilgenommen. Hat sich die Teilnahme an der Show für euch gelohnt?
Auf jeden Fall. Wir wussten bis einige Wochen davor nicht mal, ob wir ausgestrahlt werden, da wir den Deal nicht angenommen hatten. Wir hatten auf Risiko unsere Lager aufgestockt und neue Server inklusive neuem, leistungsstarken Onlineshop eingerichtet. Gott sei Dank ging das auf. An dem Abend haben wir eine viertel Million Umsatz gemacht.

Welchen Einfluss genau hatte die Vox-Show auf eure Entwicklung?
Es war auf jeden Fall ein guter Push und hat uns sehr geholfen. Wir wurden auch von Kunden als etablierter wahrgenommen. Wir hatten auf einmal eine breitere Kundschaft: Nicht nur die Gesundheits-Enthusiasten, sondern auch Leute, die einfach an dem leckeren Getränk Kombucha interessiert waren.

Was rätst Du anderen Gründern, die bei der Gründershow mitmachen wollen?
Den Pitch runterbeten können. Alle Zahlen genau kennen. Viele Sendungen vorher schauen. Den Kaufpreis lieber höher ansetzen als zu niedrig und verhandeln üben. Genau überlegen, was das letzte Angebot wäre, was okay ist, weil ihr euch nur sicher sein könnt, dass ihr ausgestrahlt werdet, wenn ihr den Deal auch annehmt.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Ein Jahresgespräch mit unserem größten Kunden, als mein Co-Founder Leon gerrade sein drittes Kind bekam, ich unterwegs war und wir jemand externen dafür beauftragen mussten, da es anders nicht ging. Danach wurden wir direkt entlistet. Das war sehr bedrohlich für uns. Der Einzelhandel ist hart. Auch ist eine geplante Internationalisierung des Online-Shops nicht so gezündet wie erwartet und dass wir zu viele Waren auf einmal eingekauft hatten genau zu einem Zeitpunkt, als die Verkäufe kurz danach saisonbedingt wieder stark runter gingen. Das hat uns fast die Liquidität gekillt. In sieben Jahren hat man viel Zeit viele Fehler zu machen – und daraus zu lernen.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Bei der Kundenzufriedenheit und dabei echte, authentische Produkte ohne Abstriche zu produzieren – fast alle anderen Kombuchas, Krauts und Misos sind pasteurisiert und damit nicht mehr lebendig. Nachhaltige Produkte mit echtem Mehrwert für die Kunden zu schaffen, die ihnen ein Leben lang die leckersten Fermente zaubern können. Wir haben es geschafft in sieben Jahren ein Startup im schwierigen Lebensmittelumfeld ohne Investoren zu skalieren, da müssen wir einfach mehr richtig als falsch gemacht haben.

Wo steht fairment in einem Jahr?
Wir möchten in einem Jahr in allen Bio-Läden in Deutschland mit mindestens einem Produkt wie Kombucha, Miso, Krauts oder unseren Kulturen stehen und so Fermentation in alle Küchen bringen. Egal ob zum Trinken, Essen oder Selber machen.

TippFairment: Auch Gründer haben einen Wert 

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Foto (oben): fairment

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.