#Gastbeitrag
Wie funktioniert der Weg vom Berater zum Gründer?
Die großen Unternehmensberatungen haben sich in den letzten Jahren immer mehr als Keimzellen der deutschen Startup-Szene etabliert. Sie formen junge Talente, die sie direkt von der Uni weg mit immer neuen Aufgaben und Anforderungen konfrontieren und so zu echten Problemlösungsmaschinen machen. Bei den meisten Beratern wächst allerdings bereits nach wenigen Jahren die große Lust, es auch mal selber versuchen zu wollen, etwas Eigenes zu starten und groß zu machen. So war es auch bei mir: Ich wollte die Konzeptphasen hinter mir lassen und ein Unternehmen auch operativ aufbauen.
Sobald man als ehemaliger Berater den Mut fasst und ein Unternehmen gründet, sieht man sich mit einigen, oft überhaupt nicht vorhergesehenen, Herausforderungen konfrontiert. Zuerst einmal gilt es, gegen das oft zitierte Klischee des oberflächlichen Beraters, der „gründet, um zu gründen“, zu bestehen. So wie sich in der Welt des Fußballs hartnäckig der Mythos hält, dass Torhüter und Linksaußen verrückte Typen und Einzelkämpfer sind, muss man sich als Gründer mit Beratervergangenheit so manchen lustigen Spruch anhören. Das legt sich erst wirklich, wenn man beweisen konnte, dass man die Power und Ausdauer hat, Gedanken und Modelle vom Papier auch auf der Straße zum Laufen zu bringen. Wichtig ist: Um erfolgreich zu sein, genügt es nicht, auf ausgetreten Wegen zu laufen und zu hoffen, dass ein vermeintlicher Trend einen schon nach oben tragen wird. Man muss lernen, Verantwortung zu übernehmen und mit einem Thema zu wachsen.
Beim Aufspüren und analysieren potentieller Geschäftsmodelle war für uns der Aspekt des Founder-Market-Fits besonders wichtig: Wer im Kernteam bringt wichtige Vorerfahrungen, Know-How und Netzwerke für ein bestimmtes Thema mit? Wie wohl fühlt und bewegt man sich in einem Markt? Für welches Thema bringt man die Kraft auf, auch in schlechten Zeiten vor dem Team und mit 100 % Überzeugung hinter der Firma zu stehen? Hier gilt: Euer Gründerteam sollte sich ergänzen, und nicht spiegeln. Unterschiedliche Skills und Charaktere sind gefragt – gerade wenn Ihr ein technisch anspruchsvolles Produkt entwickeln wollt. Auf keinen Fall ist es eine gute Idee, Führungsteams mit zu vielen gleichen Charakteren zu besetzen.
Der Weg einer Geschäftsidee von der euphorischen Skizze auf dem Papier zur Realität birgt Tücken. Zu allererst verändert sich die jahrelang eingespielte Arbeitsweise und neue Priorisierungen im Arbeitsalltag müssen schnell verinnerlicht werden. Zwar sind ab sofort eine solide Struktur und Situationsanalysen immer noch relevant, allerdings muss jetzt auch immer gesichert sein, dass die geplanten Dinge schnell umgesetzt werden: Execution steht im Mittelpunkt.
Ein ideales Startup verquickt für mich die analytische Intelligenz der Beratung mit dem blitzschnellen Pragmatismus der Startup-Welt. Eine wichtige Erkenntnis auf unserem Weg dorthin war die Einsicht, dass „good enough“ im Startup tatsächlich oft gut genug ist um den nächsten Schritt zu wagen. Wer in dieser Startphase weiterhin den 100 %-Lösungen der Projektwelten nacheifert, wird – so unsere Erfahrung – bei vielen Themen zu langsam vorankommen.
Für mich war es in den ersten Monaten eine Herausforderung, Entscheidungen zu treffen, obwohl nicht alle Variablen offen auf dem Tisch lagen. Als wir z.B. unser initiales Kundenprofil entwickelt haben, mussten wir viele Grundsatzentscheidungen anhand weniger und meist qualitativer Datenpunkte wie beispielsweise Kundengesprächen treffen. In der Beratung gab es den geflügelten Satz „ZDF, nicht ARD“ – Zahlen, Daten und Fakten und nicht Ahnen, Raten und Deuten. Als Gründer habe ich schnell gelernt, welch großen Wert die nicht wirklich messbare Größe des guten Bauchgefühls als zusätzliche Variable hat.
Ein weiterer wichtiger Aspekt für einen erfolgreichen Start in die Startup-Welt: Überlegt Euch, was wirklich wichtig ist für das Erreichen der ersten Meilensteine. Denn hiervon hängt ab, wie früh Ihr mit Investoren (und mit welchen) reden solltet. Wer sich früh institutionelle Investoren ins Boot holt, gewinnt damit idealerweise starke Sparringspartner – gibt damit aber auch ein Stück weit Autonomie und gestalterische Unabhängigkeit ab. In unserem Fall war das erste Jahr „bootstrapping“ extrem wertvoll, um sehr unabhängig den vollen Fokus auf das Produkt und die Problemlösung mit unseren ersten Kunden zu setzen. Da wir im Gründerteam alle wichtigen Skills seit Tag 1 abgebildet hatten, hat dies auch sehr gut funktioniert.
Wer den anfänglichen 180 Grad Switch der Arbeitsweise und den Mindsetwandel gut übersteht, kann einen großen Nutzen aus seiner Zeit in der Beratung ziehen. Gerade wer große Mittelständler und Konzerne als Kunden für sein Startup gewinnen will, tut gut daran, schon einige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Gremien, Vorständen und Konzern-Prozessen gesammelt zu haben und über die nötigen Kontakte zu verfügen. Das gewachsene Netzwerk aus der Beratungszeit fungiert zudem als Versicherung in die Zukunft des eigenen Startups: Oft finden sich die Talente, die es für den nächsten Schritt braucht, genau dort.
Über den Autor
Henning Hatje ist Co-Founder von Lhotse.
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