#Interview

“Die größten Fehler sind zu spät getroffene Entscheidungen”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Ich frühstücke vor dem Rechner und atme durch, nachdem ich zuvor auf den letzten Drücker meinen Erstklässler zur Schule gebracht habe", sagt Jörg Kortmann, Gründer von PlugVan.
“Die größten Fehler sind zu spät getroffene Entscheidungen”
Freitag, 9. Juli 2021VonTeam

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antwortet Jörg Kortmann von PlugVan. Das Unternehmen, das 2018 gegründet wurde, entwickelt “Lösungen für einen flexiblen und nachhaltigen Einsatz von Nutzfahrzeugen”. Mit den Modulen der Jungfirmen “wird jeder Kastenwagen zum Camper, zur mobilen Werkstatt, zum Warentransporter oder zum mobilen Büro”.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Mit einem Sesamring und einem ungesunden zuckerhaltigen Getränk als Kaffeeersatz vom Bäcker um die Ecke, der immer gut gelaunt ist. Ich frühstücke vor dem Rechner und atme durch, nachdem ich zuvor auf den letzten Drücker meinen Erstklässler zur Schule gebracht habe.

Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Verlässlich erst durch Schlafen.

Was über das Gründer:innen-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Wie schwierig es ist, verlässliche und professionell agierende Lieferanten zu finden. Als produzierendes und noch dazu kleines Unternehmen bewirbt man sich vielfach eher als Kunde, als dass man als Neukunde mit offenen Armen empfangen wird. Ich habe mehrfach Erfahrungen gemacht, wo ich das Gefühl hatte, dass nicht der Kunde König ist, sondern eher der Lieferant. Ich habe teilweise extrem seltsames Geschäftsgebahren kennengelernt, das mir aus den 20 Jahren beruflicher Tätigkeit als Supply Chain Management Berater davor so nicht bekannt war. Reine Lehre ist, dass partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen für beide Seiten am sinnvollsten sind und das lebe ich aus voller Überzeugung, aber das sieht in der Praxis längst nicht jeder so.

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Ich war parallel zur Gründung noch Geschäftsführer und seit 13 Jahren Gesellschafter einer Beratungsfirma und musste da einen sauberen Ausstieg organisieren.

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Die größten Fehler sind zu spät getroffene Entscheidungen, bei denen das Bauchgefühl schon länger gesagt hat “Reißleine ziehen!” und wo ich noch zu lange gehofft habe, das sich etwas zum Besseren wendet. Der Lernprozess dauert auch noch an, aber in dem Punkt glaube ich, dass mit der Lebenserfahrung auch das Urteilsvermögen steigt, weil man einfach schon mehr Erfahrungswerte hat, aus denen man tatsächlich lernen kann.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Durch einen “holistischen Ansatz”: Zum Beispiel Jobportale, Networking, Aushänge im Fenster – einen Mitgründer so gefunden!, Glück und durch Empfehlungen aus dem eigenen Team.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Nutzt die zahllosen Förderprogramme – es mag in Deutschland nicht so viele VCs geben wie im Silicon Valley, aber es gibt sehr sehr gute öffentliche Förderprogramme.

Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Wir haben so viele externe Tools die wir täglich nutzen, dass ich da kurz drüber nachdenken musste. Wir produzieren ein handfestes und durchaus komplexes Serienprodukt, bei dem es sehr auf das perfekte Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile ankommt. Deshalb entscheide ich mich für unser CAD-System Fusion360, in dem unsere ganze Konstruktion stattfindet.

Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Ich würde sagen aktuell vor allem durch spannende Themen, viel Gestaltungsspielraum und sehr freie Zeiteinteilung sowie offene Kommunikation im Team, also durch gute Arbeitsbedingungen. Leider sind aber seit einem Jahr abgesehen von Arbeit in der Werkstatt sämtliche gemeinsamen Events gestrichen, von Messen über Team-Events bis hin zu Startup-Veranstaltungen und so hoffen wir da wohl alle, dass wir bald mal wieder etwas mehr “Offline-Interaktion” leben dürfen. Dann gibt es auch wieder viel mehr Möglichkeiten, die Stimmung zu heben! Die aktuelle Ausnahmesituation zerrt natürlich auch bei uns an den Nerven.

Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Unser Markteintritt am 11. Januar 2019. An dem Tag war Aufbautag auf der Messe CMT in Stuttgart. Es gab bis dahin noch kein einziges Foto unseres Produkts online, weil am Vortag noch Schutzrechtsanmeldungen auf den Weg gebracht werden mussten. Wir waren die einzigen neuen Marktteilnehmer in der gesamten Halle und uns Rookies hatte auch niemand gesagt, dass der Aufbautag auch gleichzeitig Pressetag war. Am frühen Nachmittag kam dann ein Fernsehteam des SWR an unseren Stand. Kurz vorher hatte ein Kollege noch mit Lötkolben die letzten Fehler an der Elektrik behoben und während Toningenieur und Kameramann Probeaufnahmen machten, zogen die Kollegen die Schutzfolie vom Teppich und dann ging’s los. So waren wir bereits im Fernsehen, als die Messe noch gar nicht begonnen hatte. Es ging dann neun Tage weiter mit irre positivem Feedback und erst danach habe ich entschieden, dass ich alles auf diese Karte setzen würde und habe mich mit 46 Jahren in dieses neue Abenteuer gestürzt. Es gab seitdem auch definitiv keinen langweiligen Tag! Auch meine beiden Mitgründer Florian und Max haben übrigens erst nach der Messe aufgrund dieser Erfahrungen entschieden, dass sie ihre bisherigen Jobs für PlugVan an den Nagel hängen würden.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): PlugVan