#Gastbeitrag
5 Hands-on-Tipps für angehende LegalTech-Gründer:innen
Recht wird zunehmend digital – nun zusätzlich verstärkt durch den Digitalisierungs-Schub infolge von Corona. Millionenschwere Deals Ende letzten Jahres haben die hohe Relevanz von LegalTech aufgezeigt. 2021 und darüber hinaus ist mit starkem Wachstum zu rechnen. Künstliche Intelligenz könnte die Entwicklung noch weiter beschleunigen. LegalTech bietet Potenzial, angestaubte Rechtsthemen durch neue Geschäftsmodelle zu innovieren und vom aktuellen Boom zu profitieren. Hier fünf Learnings und konkrete Tipps für angehende Gründer:
1. Potenzial der Daten nutzen
Jura ist sehr strukturiert und Daten, um die künstliche Intelligenz zu füttern, sind bereits digital vorhanden, z.B. in online verfügbaren Urteilssammlungen. Es liegt nahe, Arbeitsschritte eines Juristen, die bisher manuell getätigt werden, zu automatisieren.
Bevor man den Schalter von manuell auf automatisiert umlegt, sollte man zunächst bestehende Prozesse durchleuchten. Die Grundlage für eine Entscheidung, ob der Einsatz von künstlicher Intelligenz Sinn macht, sollten immer Zahlen sein. Daher lohnt es sich möglichst früh zu tracken, welche Prozesse wie viel Zeit in Anspruch nehmen. Es hilft sich dabei zu fragen: Wo liegt der Schwerpunkt und welche Dinge möchte man unbedingt verbessern (Sales/Marketing/Operations)? Wo sind die Zeitersparnis und der Effizienzgewinn am größten, wenn man auf intelligente Automatisierung setzt?
Auch ein LegalTech muss seine Daten im Griff haben: Damit der Einsatz von KI überhaupt möglich ist, muss diese mit gesammelten Daten gefüttert werden. Am Markt gibt es dafür bereits zahlreiche Tools, bei der Auswahl sollte man sich für einen datenschutzkonformen Anbieter aus Europa entscheiden. Das erspart eine spätere Migration, wenn man zunächst einen Service aus einem Nicht-EU-Land gewählt hat.
2. Compliance-Hürden nicht unterschätzen
Wer im Legal-Umfeld unterwegs ist und seine Services direkt anbietet, muss genau in den Blick nehmen, ob Zugangsschranken zum jeweiligen Markt existieren.
Um späteren Ärger zu vermeiden, sollte man sich frühzeitig informieren, ob man sein LegalTech als Gesellschaft anbieten darf oder ob das Angebot Rechtsanwälten vorbehalten ist. Das ist von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet unterschiedlich. Der Datenschutzbereich ist ein Sonderfall – die Beratung als Datenschutzbeauftragter steht auch Nicht-Juristen offen -, im Arbeitsrecht ist der Marktzugang hingegen regulierter. Weniger Sorgen bestehen bei sogenannten B2L Start-ups, also solchen Gründungen, die ihre Services Kanzleien anbieten und nicht dem Endkunden.
Mein Tipp: Sich ausreichend Zeit nehmen und bei mehreren Anwälten eine Auskunft einholen, um herauszufinden, wo Verbote bestehen und Grauzonen liegen. Der einmalige Aufwand lohnt sich, da das gesamte Geschäftsmodell rechtlich undurchführbar sein kann, wenn es Juristen vorbehalten ist.
So oder so sollte man erwägen, einen Juristen ins Team zu holen. Im Rahmen des Hirings ist darauf zu achten, dass man sich einen Kenner des jeweiligen Fachbereichs an Bord holt. Ein Jurist ohne Praxiserfahrung im Datenschutzbereich hilft einem Datenschutz-Start-up wesentlich weniger als ein Fachanwalt im Datenschutzrecht.
3. InsureTech bei Planung einbeziehen
Es gibt eine Annäherung von LegalTech zu anderen Branchen wie Insure Tech. Hier steckt jede Menge Potenzial drin, zwei Märkte auf einmal zu innovieren.
Je weiter die Automatisierung voranschreitet und mit echten Datensätze gefüttert wird, desto zutreffender werden ihre Ergebnisse. Das LegalTech bietet so nicht nur Rechtsservices, sondern eignet sich mehr und mehr als Versicherungsersatz.
Der Versicherungsbereich kann zudem ein toller Hebel für Zusatzgeschäfte sein. Dabei muss es nicht zwangsläufig der Aufbau einer eigenen Versicherung sein. Vielmehr lohnt es sich, nach möglichen Kooperationspartnern Ausschau zu halten. Ein mögliches Modell einer strategischen Partnerschaft: Versicherte zahlen eine geringere Prämie, wenn sie die LegalTech-Lösung einsetzen. Dadurch lassen sich attraktive Kombiangebote schnüren. Gerade für den Vertrieb ist es äußerst hilfreich, derartige Kooperationen zu schließen. Es lohnt sich also Potenziale mit bestehenden Playern auf dem Markt auszuloten und diesen den Mehrwert einer Zusammenarbeit aufzuzeigen.
4. Nicht zu viel auf Buzzwords geben
Am Anfang nicht zu viel auf Hype-Technologie geben – es muss nicht immer direkt Blockchain oder KI sein. Vielmehr die Kundenwünsche im Auge behalten, den time to market verkürzen und sich trust bei den Kunden erarbeiten.
Bei aller Euphorie über neue Technologie, sollte man nicht zu viel Zeit bei der Gründung dafür aufbringen. Denn obwohl Tech in LegalTech steckt, sollte man Legal und daran anknüpfende Kundenwünsche nicht unter den Scheffel stellen. Ohne langfristigen Revenue nützt einem schließlich auch ein vielversprechender Einsatz von Blockchain-Technologie kaum etwas.
Besser: Die knappen Ressourcen sinnvoll einsetzen. Erstmal mit einem händischen MVP starten und dann später den Prozess zunehmend automatisieren. Sich immer wieder von der Produkt-Verliebtheit abkoppeln und den echten need für den Kunden herausarbeiten.
Als Gradmesser für den need von Hype-Technologien in seinem Rechtsbereich taugt das Suchvolumen. So kann man einen wichtigen Hinweis für den potenziellen Markt erhalten – ob sich der Invest für eine Deeptech-Lösung überhaupt langfristig auszahlen kann oder die gewählte Nische dafür schlicht zu klein ist. Bei solchen Konzepten sollte auch das internationale Umfeld betrachtet werden, vom Hiring über Angebot, darf es nicht nur für einen Markt zugeschnitten sein, da die Initialkosten schlicht und ergreifend zu hoch wären. Der regelmäßige Austausch mit anderen Gründern hilft, Tech Trends nicht zu übersehen, die für den eigenen Bereich spannend sein könnten.
5. Chancen von B2B erkennen & nutzen
Den B2B-Markt nicht unterschätzen: Viele LegalTechs sind im B2C unterwegs. B2B bietet allerdings große Wachstumschancen (ca. 6 Milliarden Dollar Umsatz in Europa 2025). Aktuell virulent: Anwälte werden auch hier durch die Digitalisierung der Kanzlei ersetzt.
B2B bringt zudem viele weitere Vorteile mit sich. Typischerweise werden langfristige Verträge abgeschlossen – nicht wie bei vielen B2C-Modellen: nur Einmalkäufe oder Abos mit kurzer Laufzeit. Zudem ist ein viraler Effekt vorhanden. Wenn ein Entscheider im B2B die Lösung nutzt, springen meist auch die anderen auf. Der Domino-Effekt: Kauft einer, kaufen alle. Auch wenn B2B-Lösungen meist erklärungsbedürftiger sind, lohnt sich der Mehraufwand. Schließlich ist auch die basket size im Vergleich zum Endkundengeschäft wesentlich größer.
Letztendlich sollte man sich bei der Entscheidung für ein Geschäftsmodell nicht allein von den monetären Werten treiben lassen. Es ist vor allem auch eine Typfrage: Hat der Gründer eher das Profil komplexe B2B-Themen zu erklären oder bei B2C schnelle “Hau drauf”-Lösungen zu vermarkten? Um herauszufinden, wie man tickt, sollte man sich auch die Einschätzung Anderer einholen.
Fazit
Die Voraussetzungen für den Start als Gründer im LegalTech sind gut: Die Kanzleien sind auf der Suche nach neuen Technologien, KI bringt zusätzliche Automatisierung und es werden hohe Summen in LegalTechs investiert.
Wichtig dabei: Sich nicht von Hype-Technologien blenden zu lassen, stattdessen Zeit ins Trendwatching zu investieren, den B2B-Markt in Erwägung ziehen und viel mit potenziellen Kunden zu sprechen. Später kann man dann den “sweetspot” abpassen, um vom “Agenturgeschäft” zur Skalierung überzugehen und sich Richtung SaaS oder auch Plattform zu entwickeln.
Kann man auch ohne Jura-Abschluss ein Legal Tech gründen? Machbar ist vieles, die Frage ist nur, ob es sinnvoll ist, bei jedem Thema inne halten zu müssen, da einem die Expertise fehlt und in der ersten Aufbauphase ist Momentum alles. Es schadet in keinem Fall, wenn man bereits Start-up-Erfahrung gesammelt hat. Dadurch lässt sich hands-on im Berufsalltag herausfinden, ob man das richtige Gründer-Mindset mitbringt.
Dabei ist es besonders wertvoll, wenn man nicht nur in hyperscale Start-ups geht, sondern bewusst den Weg zu ruhigeren, vielleicht sogar zu aktuell strauchelnden Unternehmen einschlägt. Das warum ist schnell erklärt: Bei rasant wachsenden Unternehmen kann die tatsächliche Situation durch finanzielle Möglichkeiten und ein breit aufgestelltes Team kaschiert werden. Diese Option gibt es für stagnierende oder sogar sich verkleinernde Unternehmen nicht. Dadurch kann man einen echten Eindruck der Belegschaft solcher Unternehmen erhalten und deren Gedanken und Gefühle mitzubekommen – das ist für jeden angehenden Gründer Gold wert.
Über den Autor
Milos Djurdjevic ist Gründer des LegalTechs heyData, das Unternehmen dabei hilft schnell und einfach über digitale Prozesse DSGVO-konform zu werden. Zuvor hat Djurdjevic – nach Stationen bei Rocket Internet und Earlybird Venture Capital – Erfahrungen mit den zahlreichen Datenschutz-Restriktionen im Versicherungs- und Digital Health-Bereich gesammelt. Im Zuge der DSGVO ist zusammen mit Co-Founder Daniel Deutsch die Idee zu heyData entstanden. Mittlerweile beschäftigt das Start-up über zehn Mitarbeiter an mehreren Standorten und hat zuletzt eine Finanzierung im mittleren sechsstelligen Bereich erhalten.
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