Gastbeitrag von Min-Sung Sean Kim und Nicole Cienskowski
Große Ehrfurcht vor den großen Versicherungen!?
Grundsätzlich liegen die Interessen von Digital Health Start-ups und Krankenversicherungen gar nicht so weit auseinander und der Wille zur Kooperation ist von beiden Seiten groß. Schließlich können beide voneinander profitieren. Allerdings gibt es häufig ein Problem: Vor allem Start-ups haben zuweilen zu große Ehrfurcht vor den großen Versicherungen. Dabei sind diese in Zukunft auf eine Zusammenarbeit angewiesen – die Start-ups aus dem Digital Health Umfeld haben oft ein besseres Verständnis von Kundennutzen und erreichen darüber eine junge, digitale Zielgruppe.
Er herrscht ein Wettbewerb um die junge, gesunde Zielgruppe
Der zunehmende Kostendruck im Gesundheitssystem führt dazu, dass die Anzahl der gesetzlichen Krankenversicherungen in den letzten zehn Jahren auf 118 auch durch Fusionen halbiert wurde. Untereinander herrscht dabei ein Wettbewerb um junge und möglichst lang gesunde Versicherte. Diese internet-affinen Versicherten spricht man am besten mit erstattungsfähigen Leistungen an, aber auch mit einer zeitgemäßen Positionierung der Krankenversicherung im Markt mit Hilfe von digitalen Versorgungsinstrumenten wie Applikationen, Online-Coaches und neuen Online-Services.
Große Akteure, darunter beispielsweise die Allianz, Techniker Krankenkasse und ERGO, beschäftigen sich im Rahmen von Kooperationen, Pilotprojekten, Investitionen und Accelerator-Programmen (wie zum Beispiel StartupBootcamp) daher bereits ausführlicher mit dem Thema Digital Health. Vereinzelt treten die ersten Versicherungen aus diesem Grund dem Bundesverband Internetmedizin bei. Ihr Ziel dabei ist es, sich stärker mit der Szene zu vernetzen, die Start-ups und deren Motive für eine mögliche Kooperation zunächst besser kennenzulernen.
Digital Health Start-ups haben Zugang zur begehrten Zielgruppe
Für Krankenversicherungen sind Kooperationen mit Digital-Health-Startups grundsätzlich spannend, da die Digitalunternehmen einen Zugang zu einer begehrten Zielgruppe haben: Junge Nutzer, die sich mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen. Betrachtet man die Nutzerstatistiken vieler Apps, stammt die Mehrheit der Nutzer bereits aus der Generation, die vor allem über innovative und digitale Multichannel-Ansätze erreichbar sind. Hinzu kommt: Digital Health Start-ups haben ein besseres Verständnis für den Endnutzer, da sie den Kundennutzen und die Gebrauchstauglichkeit ihrer Lösung kontinuierlich mit dem Kunden iterieren.
Hiervon wollen die Kassen profitieren. Studien, wie der EPatient Survey 2016 zeigen, dass sich etwa ein Drittel der befragten Versicherten wünscht, von ihrer Krankenversicherung Empfehlungen für Apps oder Online-Dienste zu erhalten. Für Digital Health Start-ups macht es demnach Sinn, mit Krankenversicherungen zu kooperieren, um ihre Relevanz im Markt zu erhöhen und ihre Produkte zu platzieren.
Durch das gemeinsame Angebot der digitalen Versorgungsinstrumente sichern sich die Digital Health Anbieter die Akzeptanz der Versicherten, welche die Gesundheits-Applikationen womöglich vorab als umstritten gesehen haben. Die Empfehlungen durch Krankenversicherungen können so in einer digitalen Versorgung münden, die Patienten erwarten ihren Rat und die Digital Health Gründer erleichtern Versicherten ihren Alltag mit der Krankheit oder in der Ausübung von präventiven Maßnahahmen.
Eine gründliche Prüfung vor Eingang einer Kooperation ist für beide Seiten notwendig
Start-ups im digitalen Gesundheitsbereich haben aber oft großen Respekt vor Krankenversicherungen. Zu groß ist die Angst vor einem Versagen bei der ersten und vielleicht einzigen Präsentation ihres Produktes oder Services. Neben der Sorge, den richtigen Einstieg zu finden, fehlt den Start-ups oft Wissen über den streng reglementierten Rahmen, in dem sich Krankenversicherungen bewegen. Dadurch fühlen sich manche Gründer auf externe Berater angewiesen, die auf Honorarbasis die Platzierung als Kooperationspartner bei Krankenversicherungen unterstützen.
Die Digital-Health-Startups riskieren mit einer Kooperation weitere Anpassungsaufwände und eine zeitliche Einschränkung, da aufgrund ausführlicher Abstimmungen und Prüfungen Zeit für die Etablierung ihres Produktes am Markt verloren geht. Darüber hinaus sind die zu erbringenden Qualitätsmerkmale für Gesundheits-Apps mit hohen finanziellen Aufwänden verbunden.
Wichtige Voraussetzungen müssen erfüllt sein
Damit die Krankenversicherungen ihr lang erarbeitetes Vertrauen durch Kooperationen nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, müssen Voraussetzungen auf Seiten der Start-ups erfüllt sein. Strenge datenschutzrechtliche und qualitätsgebundene Kriterien – wie klinisch geprüfte Wirksamkeit, Nutzen-Risiko-Abwägung und barrierefreie Gebrauchstauglichkeit – müssen durch die Digital Health Start-ups sichergestellt werden.
Krankenversicherungen gehen bei der Empfehlung oder dem Angebot einer Gesundheits-App ein erhöhtes Risiko ein, da sie selbst nicht die originären Anbieter sind, aber als Partner für die geforderte Datensicherheit einstehen und sich an dieser messen lassen müssen.
Hinsichtlich des Datenschutz sollten Digital-Health-Anwendungen deshalb nur auf diejenigen Daten zugreifen dürfen, die für den Gebrauch der App unbedingt notwendig sind. Darüber hinaus muss die Sicherheit der Daten vor Missbrauch oder Hacker-Angriffen sichergestellt werden. Die Nutzer sollten weiterhin über ihre Daten bestimmten dürfen und müssen über den Zweck der Verwendung ihrer Daten informiert werden und Zugriffsberechtigungen ablehnen oder deaktivieren können.
Fazit:
Die jüngst publizierte Studie „Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps – CHARISMHA“ die im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung, um ein Fundament für Kooperationen zwischen Versicherungen und Digital-Health-Startups zu gewährleisten.
Die Studie umfasst eine Bestandsaufnahme des aktuellen Marktes der Gesundheits-Apps und befasst sich mit ihrer Bedeutung für die Gesundheitsversorgung. Die Ergebnisse der Studie sollen laut Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in einem Fachdialog mit Verantwortlichen im Gesundheitswesen, Datenschützern, App-Herstellern und Experten diskutiert werden, um daraus konkrete Maßnahmen und Selbstverpflichtungen abzuleiten.
Wenn Versicherungen die Nutzung von Apps ihren Versicherten erstatten, können Haftungsansprüche seitens der Patienten gegenüber der Versicherung entstehen. In allen Bereichen der Patientenversorgung und Prävention muss deshalb eine fachgerechte medizinische Behandlung sichergestellt werden. Anhand des CHARISMHA-Kriterienkatalogs können sich Digital-Health-Entrepreneure als auch die Versicherung in punkto Datenschutz, klinische Evidenz, Risiko, Funktionsumfang und Kosten-Nutzen orientieren.
Daraus resultierend werden Digital Health Startups stärker dazu angehalten sein, sich möglichst früh Gedanken über die Wirksamkeit und Sicherheit ihres Medizinproduktes zu machen, wenn Kooperationen mit einer Versicherung oder anderen Stakeholdern des Gesundheitssystems angestrebt werden.
Aufbauend auf CHARISMHA könnte ein einheitlicher Anforderungskatalog seitens der Krankenversicherungen helfen, einen Qualitätsstandard für Erstattungen zu definieren, um so eine Kooperationen zwischen Start-ups und Krankenversicherungen zu erleichtern. So könnten Start-ups und Krankenkassen schneller in den Dialog einsteigen und sich ihrem gemeinsamen Ziel widmen: Die Bedürfnisse des Patienten zu erkennen und eine weitreichende Versorgung sicherzustellen.
Über die Autoren:
Nicole Cienskowski:
Nicole Cienskowski verfügt über insgesamt vier Jahre Berufserfahrung in der Beratung, schwerpunktmäßig im Gesundheitswesen und öffentlichen Sektor. Vor ihrer Tätigkeit bei Capgemini studierte sie an der Freien Universität Berlin VWL und an der TU den Master Industrial and Network Economics mit Schwerpunkt Management im Gesundheitswesen. Seit Juli 2016 ist Nicole Cienskowski Junior Business Analyst Account Managerin des Clusters Healthcare von Capgemini und trägt somit einen Anteil zur Geschäftsbereichsentwicklung bei.
Min-Sung Sean Kim:
Min-Sung Kim ist ehemaliger Partner bei XLHealth, einem Berliner Venture Capital Fond, der sich auf Digital Health Series A Investitionen spezialisiert. Als ehemaliger Leiter des Analystenteams bei XLHealth hat Min-Sung mehr als 2500 Digital Health Startups in Europa gesehen. Darüber hinaus hat er in Startups wie mySugr, Meedoc, Neuronation und Mimi investiert. Vor seinem Einstieg bei der XLHealth gründete er und verkaufte sein erstes Unternehmen. Zuvor führte Min-Sung Seed-Investments mit Lakeside Ventures durch.
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