Gastbeitrag von Dennis Just

Versicherungen – Quo vadis, Digitalisierung?

Immer mehr Menschen nutzen das Smartphone, um ihren Alltag zu organisieren. Es gibt nur sehr wenige Wirtschaftsbereiche, die sich diesem Trend noch widersetzen. Die Versicherungsbranche ist einer davon. Aber auch diese wird sich in den kommenden Jahren verändern müssen.
Versicherungen – Quo vadis, Digitalisierung?
Montag, 13. Juni 2016VonChristina Cassala

Was bedeutet die Digitalisierung für traditionelle Dienstleistungsunternehmen wie Versicherungsgesellschaften? Gastautor Dennis Just ist Gründer der Knip AG und wagt den Blick in die Zukunft.

Immer mehr Menschen nutzen das Smartphone, um ihren Alltag zu organisieren. Sie buchen Flüge und Hotels oder vereinbaren ein Date. Es gibt nur sehr wenige Wirtschaftsbereiche, die sich diesem Trend noch widersetzen. Die Versicherungsbranche ist einer davon. Manchmal habe ich das Gefühl, sie wartet nur darauf, dass Menschen merken, dass soziale Medien und Smartphones nichts taugen.

Die klassische Versicherung arbeitet auch im Jahr 2016 noch sehr traditionell. Der herkömmliche Versicherungsmakler ist Verkäufer, nicht Berater. Er ruft den Kunden einmal im Jahr an, weil er sonst womöglich den Vertrag verliert. Ansonsten setzt er auf Neuabschlüsse, um die Abschlussprovisionen zu bekommen. Je schlechter die Kunden informiert und je undurchsichtiger die Verträge sind, desto mehr Macht hat der Makler. Für die beteiligten Versicherungsunternehmen und unzähligen Agenten wäre es das Beste, an diesem Status quo festzuhalten.

Kooperation und Konfrontation

Jetzt geht allerdings ein Raunen durch die Branche: Der Kunde hat gesprochen. Und wie sich herausstellt, will der lieber digitale Lösungen. Nachdem vom Blumengruß bis zum Traumurlaub schon alles mobil bestellt oder organisiert wird ist nun die Versicherungsbranche dran. Technologisch hinkt sie etwa drei bis fünf Jahre hinter dem Bankenwesen her. Und das muss man erstmal schaffen.

Junge Unternehmen bieten aber nicht nur digitale Lösungen für Versicherungen an. Sie stellen das gesamte Geschäftsmodell als solches auf den Prüfstand. Denn durch die Verbindung aus moderner Technologie und persönlicher Beratung werden Versicherungen einfacher und transparenter und die Kunden plötzlich mündig! Genau diesen Mehrwert aus technologischer Lösung plus persönlichem Know-how kann die traditionelle Versicherungsgesellschaft mit ihren Vertriebsstrukturen eben nicht bieten.

Wie reagiert die Old Economy? Mit Kooperation oder Konfrontation. Ein Teil der Versicherungen lehnt die Digitalisierung ab. Jedoch: Der weitaus größere Teil will mit jungen Start-ups zusammenarbeiten, um bei der Zielgruppe „Generation Smartphone“ Boden zurück zu gewinnen, zumindest aber nicht weiter zu verlieren.

Die Digitalisierung stellt bekannte Geschäftsmodelle auf den Kopf

Die Versicherungsbranche ist bei Weitem nicht die Erste, die vor solch einem Umbruch steht. Banken, Taxis, Hotels und Tourismus: Viele wurden durch neue Technologien und junge Unternehmen auf den Kopf gestellt. Versicherungsmanagement wie wir es heute kennen wird ähnlich wie der Überweisungsträger bald ein Relikt analoger Zeiten sein.

Die Digitalisierung bringt wie jede Entwicklung gleichsam Vor- und Nachteile mit sich. Im Endeffekt geht es jedoch an der Realität vorbei, darüber zu diskutieren, ob Digitalisierung per se gut oder schlecht ist; sie ist schlicht nicht zu stoppen. Versicherer und Makler-Pools mögen digitale Geschäftsmodelle noch so argwöhnisch beäugen. Die digitale Zielgruppe hat dennoch längst höchste Priorität in vielen Unternehmen und bietet die einzige Chance, das „Geschäft von Morgen“ zu besetzen.

Der klassische Knip-Kunde ist um die 35 Jahre jung und hat das ganze Leben noch vor sich. Ja, er hat Beratungsbedarf, ja, er braucht Versicherungen, die zu ihm passen, ja, er will gut beraten werden und keinen Stress haben. Aber nein, diese Kunden brauchen keinen Versicherungsverkäufer, der nach Hause zum Kaffeekränzchen kommt.

Wie sollen die etablierten Versicherungshäuser mit diesem Phänomen umgehen? Make or Buy ist die Frage: Eine App selbst programmieren oder in die Zusammenarbeit mit Innovatoren investieren? Als Start-up stellen wir fest: Für viele bestehende Versicherer und Makler sind mobile Kanäle und das dahinter stehende Kundenverständnis neu. Ihnen fehlt fast immer das Know-how, oft die Flexibilität und manchmal auch das Kapital. Natürlich sorgt das für Unsicherheit. Gleichzeitig bietet die Entwicklung großes Potential: Versicherungen können durch digitale Systeme lernen, was der Verbraucher sucht, was für ihn wichtig ist, wie er navigiert und sich incentivieren lässt.

Konkret: Wenn jemand seinen Versicherungsordner in die Hand nimmt, um etwas nachzuschauen, dann merkt der herkömmliche Versicherungsmakler davon nichts. Schaut der Kunde jedoch in der App etwas nach, dann sehen wir das. Vielleicht hat der Kunde einen Schadensfall? Oder er will die Versicherung wechseln? Dann kann ein technologisches System aktiv werden.
Diese veränderten Realitäten mögen sich erst langsam zeigen, aber wir können sie in fünf kleine Revolutionen unterteilen an deren Ende mehr Kundenfreundlichkeit steht und die Chance, Kundenbegeisterung zu schaffen.

Revolution 1: Transparenz dank Informationen

Die Versicherungsbranche hat ihre Produkte künstlich intransparent gemacht. Das war gut, weil es ihr die Hoheit über Vertrieb und Beratung gesichert hat. Das Phänomen des mündigen und dementsprechend anspruchsvollen Kunden war dadurch lange kein Thema für Banken und Versicherungen. Das Problem: Vergleichsrechner, Foren und Fach-Portale machen detaillierte Versicherungsinformationen mittlerweile viel leichter verfügbar. Dadurch können Kunden selbst komplexe Produkte verstehen und bewerten. Dienstleister tun gut daran, dies zu akzeptieren und mit verständlichen Produkte die Kunden zu überzeugen.

Revolution 2: Kontrolle dank Transparenz

Der Kunde hat mehr Einfluss auf den Beratungsprozess. Aussagen des Beraters vor Ort sind im Internet schnell prüfbar, Recherche funktioniert noch während des Gesprächs, mit dem Smartphone in der Hand unter dem Wohnzimmertisch. Das kann man nicht ignorieren. Dadurch können Verbraucher Informationen hinterfragen und erhalten die Kontrolle über das Gespräch zurück. Sie sortieren aus, was dem Verbrauchertest nicht standhält. Die Herausforderung der Versicherungsbranche ist, diesen Wandel zu akzeptieren und das Gespräch auf Augenhöhe zu forcieren.

Revolution 3: Mitbestimmung dank Kontrolle

Ein mündiger Kunde stellt Ansprüche, auf die etablierte Versicherer und Makler eingehen müssen, um ihn nicht zu verlieren. Sie reagieren allerdings noch immer lieber als zu agieren. Innovative Unternehmen verfolgen hingegen längst einen kundenorientierten Ansatz und setzen die etablierten Player dadurch unter Handlungsdruck. Sie müssen schnell herausfinden, was ihre Kunden sich von Versicherungen erhoffen – und dies umsetzen. Verbraucher erhalten dadurch Einfluss auf die Produkte, die ihnen angeboten werden. So wird der Kunde endlich auch in der Versicherungsbranche König.

Revolution 4: Individualität dank Mitbestimmung

Die Erwartungen von Kunden an Produkte haben sich drastisch verändert. Vom Müsli bis zum Urlaub sind Produkte und Dienstleistungen maximal personalisierbar. Natürlich wollen dementsprechend immer weniger Verbraucher starre one-size-fits-all-Verträge abschließen. Der Vertrag muss genau zum eigenen Leben passen. Wer sich nicht die Mühe macht, die individuellen Bedürfnisse von Kunden zu erfragen und zu berücksichtigen, bleibt auf der Strecke.

Revolution 5: Flexibilität dank Individualität

Neben flexiblen und individuellen Produkten spielt flexibler Service eine immer wichtigere Rolle: Aus anderen Lebensbereichen haben sich Kunden längst daran gewöhnt, dass Dienstleistungen unkompliziert verfügbar sind. Wer will also seinen Versicherungsmakler noch bei Kaffee und Kuchen auf der heimischen Couch empfangen oder ihn in seinem Büro aufsuchen?
Durch Messenger-Features und Skype-Gespräche ist der Berater nur einen Knopfdruck entfernt. Das ermöglicht dem Kunden einen zeit- und ortsunabhängigen Zugriff auf Know-how und Beratungsleistung. 24/7-Services müssen nicht sein, aber mehr Tempo als der Postweg es hergibt, ist Pflicht.

Fazit:

Die Digitalisierung hat die Versicherungsbranche längst erreicht und ist nicht aufzuhalten. Wer jetzt die Augen vor diesem Trend verschließt, wird später ein Problem haben: In wenigen Jahren wird es völlig selbstverständlich sein, dass Versicherungen online und mobil verwaltet werden.

Richtig ist auch: So wie es im Tourismus immer noch eine Zielgruppe gibt, die Reisen lieber offline im Reisebüro um die Ecke bucht, so wird es natürlich auch weiterhin Kunden geben, die ihren Versicherungsmakler gern zuhause empfangen. Aber: Diese Zielgruppe wird mit der Zeit kleiner und spezieller werden. Achtung: Mobile Services sind nicht nur etwas für Berlin-Mitte-Hipster. Der älteste Knip-Kunde ist über 80.
Von den traditionellen Maklern werden sich nur die besten mit besonderen Spezialisierungen durchsetzen. Der Wettbewerb unter ihnen wird sich massiv verschärfen. Dem sollte sich jeder bewusst sein, der in der Branche tätig ist und die Zukunft der Digitalisierung mitgestalten will.

Über den Autor:
Dennis Just ist Gründer von Knip, einem europäischen digitalen Versicherungsmakler. Die Knip-App ist als iOS- und Android-Version verfügbar. Verbraucher können mit der kostenlosen Lösung ihre Versicherungen bündeln, optimieren und wechseln. Die App zeigt aktuelle Verträge, Policen und Beiträge. Technologiegestützt identifizieren die Versicherungsexperten Optimierungsmöglichkeiten für die Verbraucher und beraten im Chat und telefonisch zu Schutz und Tarifen.

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Foto: insurance concept: girl using a digital generated phone with home insurance on the screen. from Shutterstock

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.