Sebastian Deutsch im Interview

“Die Menschen im Ruhrgebiet sind bodenständig”

"Als wir angefangen haben Start-ups zu gründen, gab es so gut wie keine Szene. Die Community, die im Laufe der letzen Jahre entstanden ist, ist daher eher klein und familiär - aber genau das macht auch den Reiz aus", sagt Sebastian Deutsch von 9elements.
“Die Menschen im Ruhrgebiet sind bodenständig”
Montag, 29. Februar 2016VonAlexander

Das Ruhrgebiet ist mehr als ein Lebensraum, für die Menschen zwischen Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen ist das Ruhrgebiet auch ein Lebensgefühl. Auch Start-ups erblühen im Pott, das bald komplett ohne Zechen auskommen muss, inzwischen vermehrt.

In unserem Themenschwerpunkt Ruhrgebiet beschäftigen wir uns ausgiebig mit Start-ups im schönen Revier – siehe auch “Ist das Ruhrgebiet die nächste Start-up-Hochburg?” und “10 % aller deutschen Start-ups sind in Rhein-Ruhr Zuhause“.

“Mieten in attraktiven Lagen sind günstig”

Im Interview mit deutsche-start-ups spricht Sebastian Deutsch, Mitgründer der Digitalagentur 9elements, über Mieten, das Bermudadreieck und Familienunternehmen.

Wenn es um Start-ups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Start-up-Standort?
Das Ruhrgebiet ist eine ziemlich dicht besiedelte Region und es gibt viele Universitäten mit jungen Leuten, die Lust haben etwas zu unternehmen. Weiterhin brechen dem Ruhrgebiet viele Old-Economy Wirtschaftszweige weg, d.h. es gibt einen hohen Leerstand bei gewerblichen Immobilien. Wer heute ein Start-up im Ruhrgebiet gründen will, braucht nur eine gute Idee. Mieten in attraktiven Lagen sind günstig und man kann gut fitte Leute von den Universitäten rekrutieren. Auch haben die ortsansässigen Konzerne und Familienunternehmen verstanden, dass sie etwas im Bereich Innovation tun müssen, d.h. Finanzierungen und Mentorshiprogramme sind ebenfalls machbar. Letztlich halte ich die Städte im Ruhrgebiet für sehr „livable“, das Bermudadreieck in Bochum oder Rüttenscheid in Essen sind schöne Viertel, wo man sich nach getaner Arbeit auch mal gut entspannen kann.

Was macht speziell den besonderen Reiz der Startup-Szene in Bochum aus?
Als wir angefangen haben Start-ups zu gründen, gab es so gut wie keine Szene. Die Community, die im Laufe der letzen Jahre entstanden ist, ist daher eher klein und familiär – aber genau das macht auch den Reiz aus. Man ist hier unter Freunden und nicht einer von vielen. Weiterhin sind die Menschen hier im Ruhrgebiet ziemlich bodenständig, d.h. man träumt auch nicht allzu viel und baut sich Luftschlösser, sondern entweder macht man Business oder keins.

Was ist im Ruhrgebiet einfacher als in Berlin – und umgekehrt?
Wie erwähnt, sind Recruiting und Miete kaum ein Problem im Ruhrgebiet. Wer allerdings netzwerken möchte muss schon genau wissen, nach wem er sucht. In Berlin hingegen ist die Startup Community ziemlich gut organisiert und sehr professionell. Es gibt dort viele Meetups zu allen möglichen Themen – Business, Tech, Design – und das Niveau ist ziemlich hoch.

Was fehlt im Ruhrgebiet noch?
Die großen Universitäten müssen bald umdenken. Sie bilden nicht mehr für Opel aus, denn Opel gibt es nicht mehr. Sie müssen praxisnaher werden und Studenten die Möglichkeit geben, Unternehmertum zu lernen und zu leben. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass ein abgeschlossener BWL-Student noch nie Online-Marketing gemacht hat und ein Informatiker mit Master noch nie von Technologien wie Node.JS oder Ruby on Rails gehört hat. Weiterhin müsste man die Anlaufstellen für Gründungsinteressierte besser schulen – das geht beim Vokabular – Seedfinanzierung, A/B/C-Runde, Termsheet – los und hört mit dem Wissen auf, dass es noch andere Finanzierungsmöglichkeiten als einen Kredit bei einer Bank gibt. Es gibt zwar Bestrebungen, das zu ändern, aber leider kocht da jede Stadt ihr eigenes Süppchen – smarter wäre es, das auf NRW-Ebene zu koordinieren.

Das Ruhrgebiet ist halt keine Einheit. Funktioniert denn der Austausch zwischen Gründern in Essen, Bochum und Dortmund?
Unserer Erfahrung nach klappt das eigentlich ganz gut. Wenn wir Startup-Nachwuchs betreuen, dann gibt es schon manchmal etwas Kirchturmdenken. Zum Beispiel ist Leuten aus Dortmund ein gutes Meetup in Essen manchmal einfach zu weit weg – aber den Zahn muss man den Leuten halt ziehen.

Passend zum Thema: “Start-ups aus dem Ruhrgebiet, die jeder kennen sollte” und “Ruhrgebiet = ‘persönlicher und nicht so oberflächlich’

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.