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Über Gründer, die scheiterten, bevor sie gestartet sind

Es gibt tausend Gründe, ein Start-up nicht zu gründen. Und abertausende Schnapsideen, an denen Tag für Tag gearbeitet wird, die aber nie ganz den Weg zum Notar schaffen. Eine davon ist Crowdfitter. Ein ganz besonderer Gastbeitrag von Martin Wiens, der mit Crowdfitter scheiterte.
Über Gründer, die scheiterten, bevor sie gestartet sind
Mittwoch, 24. September 2014VonTeam

“Wie viel wollt ihr raisen?“, fragt Robin Haak von Axel Springer Plug and Play. „Öhm, halbe Mille?“ – Malik El Bay vom Startup Yeppt grinst. Wir auch, aber eher verdutzt. Da sitzen zwanzig Medienmanagement-Studenten in der Paletten-Sitzecke vom Villa-Kunterbunt-Space und lauschen den Pitch-Präsentationen des aktuellen Plug-and-Play-Jahrgangs. Innerhalb unseres Uni-Kurses Media Entrepreneurship sind wir zu dem Zeitpunkt gerade selbst dabei, einen möglichst wasserdichten Finanzplan für unsere Start-up-Projekte zu ertüfteln. Malik scheint an solch unwichtigen Krams noch nie auch nur einen Gedanken verschwendet zu haben. Sowieso waren das komische Tage in Berlin. Morgens hatten wir schon die Factory, den Berliner Startup-Campus, besucht. Dort bezogen Soundcloud an dem Tag gerade ihre neuen Büroräume. Die sahen durchs Fenster eher aus wie ‘ne Disko. Und draußen konnte man schaukeln.

Scheitern gehört zum Startup-Leben dazu. Das wissen die in den Staaten schon etwas länger, aber auch hierzulande versucht manch ein Entrepreneur mittlerweile, künftigen Gründern die Hosenscheißer-Mentalität auszureden. Kein Wunder, dass in Business- und Techmagazinen fast genauso häufig Scheitergeschichten zu lesen sind wie Erfolgsstorys. Die zwischengelandeten Gründer erzählen dann von „großartigen Erlebnissen und viel Spaß“, „aufgebauten Kontakten und vielen neuen Ideen“ und darüber, „wieder aufzustehen und weiterzumachen“. Außerdem planen sie mit ihrem neuen Projekt ja sowieso schon wieder das nächste große Ding. Schwamm drüber also. Dabei gibt es tausend Gründe, ein Startup nicht zu gründen. Und abertausende Schnapsideen, an denen Tag für Tag gearbeitet wird, die aber nie ganz den Weg zum Notar schaffen. Eine davon ist Crowdfitter.

Irgendwie hatten wir es mit der Crowd

In unserem ersten Business Model Canvas gründeten wir Anfang Mai auf dem Papier eine Friseurplattform, die nicht nur als Terminbuchungs-Plattform fungiert, sondern auch individuelle Nutzerbewertungen und -kommentare zu den einzelnen Haarschneidern einer Stadt sammelt. Soll es nun die freche Ponyfrisur, ein zackiger Kurzhaarschnitt oder die sanfte Lockenmähne sein (alle aus dem Friseur-Floskelbuch) – mit unserer App weißt du, wo du am besten aufgehoben bist. Das war so ein grober Einfall, der zwar zumindest als Anfang und erster Leistungsnachweis für das Uniseminar taugte, bei dem aber spätestens nach dem Drüber-Schlafen klar war: Eher so semi, außerdem gibt’s so etwas Ähnliches ja schon.

Eine weitere Idee sollte die Live-Musikkultur endlich authentisch ins Wohnzimmer bringen. „Die Leute filmen sowieso alle mit ihren Smartphones mit“, dachten wir. „Wäre doch nett, wenn wir all diese Einzelvideos zusammenschmeißen, den Sound-Mitschnitt vom Künstler besorgen und daraus von einem professionellen Cutter einen authentischen Konzertmitschnitt machen.“ Wenn die Crowd springt, springt das Handy mit – klingt eigentlich ganz gut, aber da ist ja auch noch die GEMA.

Vier Tage vor unserem ersten Pitch erinnerten wir uns dann daran, dass Laurenz bei unserem ersten Zusammensein etwas von „Irgend’ne App mit Mode“ und „mega kaufkräftiger Markt“ sagte. Der Gedanke wurde vor zwei Wochen recht flott abgeschmettert, schon allein bei dem Bild vor Augen, dass wir fünf Modesünder gemeinsam ein Fashion-Startup gründen würden. Ein Umstand hatte sich jetzt aber geändert: Es waren nur noch vier Tage bis zum ersten Pitch. Ausgehend von einem Produktnutzen, den WhatsApp schon tausendmal besser erfüllt (Selfie-Foto aus der Umkleidekabine an die besten FreundInnen, die eine Push-Mitteilung bekommen), kamen wir dann irgendwann wieder bei der Crowd an. Irgendwie hatten wir es mit der Crowd. Die sollte in diesem Fall nach tinder’schem Hot-or-Not-Prinzip User-Outfits bewerten. Und damit ein scheinbar tatsächlich vorhandenes Problem lösen:

Die Crowdfitter-Idee ist relativ einfach erklärt. Man steht vor dem Spiegel und weiß nicht so richtig, was man anziehen soll. Das rot-weiß gestreifte T-Shirt oder das Hawaiihemd? Den bourdeauxroten Rundkragen-Strickpulli oder doch die klassische Jeansjacke? Und sind es dazu eher die sportlichen Tennistreter oder elegante Schnürstiefeletten? Ob abends vor der WG-Party oder morgens vor der Uni, ob eher festlich zur Silberhochzeit der Eltern oder locker zum Getanze auf dem Open Air – Crowdfitter bietet dir Instant Fashion Feedback auf deine hochgeladenen Outfits. Nicht von Mama oder der besten Freundin, denen du sowieso gefällst, sondern von einer globalen, modeinteressierten Community. Die wischt nach links oder rechts, je nachdem, ob ihnen dein Outfit gefällt. Und zwei Minuten später – du stehst noch in der Umkleidekabine und fragst dich, ob du die Bluse jetzt kaufen sollst – hast du 74 % positive Rückmeldungen.

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Instant Fashion Feedback klingt ja total nach Marktforschung

Die ICE-Fahrt von schon erwähnter Berlin-Startup-Tingelei zurück nach Hannover Mitte Juni war wahrscheinlich der Zeitpunkt, der aus Crowdfitter mehr machte als bloß ein Uni-Pflichtseminar. Auf der Rückfahrt besiedelten wir gemeinsam einen Vierer. Das waren die produktivsten Momente unseres Gründerteams. In denen man ganz unverkrampft ins Quatschen kam, zunächst als Kumpels, bis das Gespräch irgendwie in die Crowdfitter-Richtung abschlitterte. „Instant Fashion Feedback“, unser Slogan, „klingt ja total nach Marktforschung“, fällt auf einmal einem von uns auf. Ich glaube, es war Nico. Jedenfalls hatten wir anderthalb Stunden später nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern endlich eine scheinbar gute Ausrede für die Homogenität unseres Teams – denn in unserem Studien-Zuhause, dem Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung in Hannover, liegt der Fokus auf Marktforschung.

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Für den anstehenden Abschlusspitch vor Coaches und Investoren entwarf Niels in Excel tagelang einen 3-Jahres-Finanzplan, der sich zwar auf gut begründeten Annahmen stütze, in Wahrheit aber doch irgendwie eine Verwebung vager Vermutungen war. Das müssen Finanzierungspläne aber wohl sein. Wir fanden ihn trotzdem ziemlich beeindruckend und klickten stundenlang fasziniert die unterschiedlichen Rechenszenarien durch. Nico und ich hingegen waren doof genug uns bereit zu erklären, die Präsentation zu basteln. Doof genug vor allem deshalb, weil wir uns dafür erst am Vortag vom Pitch trafen, um 10 Uhr morgens. Die Tage zuvor waren wir damit beschäftigt gewesen, immer und immer wieder das Konzept durchzusprechen und über jeden einzelnen Button in der App stundenlang zu diskutieren. 18 Stunden später – um 4 Uhr nachts – verließ ich das Zimmer wieder und weitere vier Stunden später saßen wir in der Linie 6 Richtung Messe/Ost. Eine angepisste Stille konnten wir uns in der Bahn natürlich nicht verkneifen. Zwei von den Jungs hatten den Vorabend auf dem Bolzplatz mit anschließender Feierei verbracht und einer schlief schon, als wir ihn um 23.30 Uhr versuchten anzurufen. Die obligatorischen Sprüche aus dem Entrepreneur-Witzebuch („Echte Entrepreneure haben Augenringe“, „Echte Entrepreneure duschen nicht“, „Echte Entrepreneure machen ihre Präsentation erst auf der Bahnfahrt zum Pitch fertig“) konnten die Müdigkeit verständlicherweise kaum vertreiben. Dass beim Pitch alles perfekt lief, war dann mal wieder typisch.

Dann begann die Auf-und-Ab-Phase

Nachdem uns an diesem Tag alle Mut machten, das Ding durchzuziehen, begann die Auf-und-Ab-Phase. Gegenseitig gaben wir uns eine Woche, in der sich jeder überlegen konnte, ob er weiter dabei bleibt. Um nachvollziehen zu können, warum diese Entscheidung bei manchen von uns nur von recht kurzer Dauer war, muss man ein bisschen Lebensabschnittskunde betreiben. Wir alle haben gerade unser viertes Semester abgeschlossen und würden gerne in ein bis zwei Jahren den Bachelor haben. In einem halben Jahr wollen zwei von uns nach Örebro und der Rest nach Helsinki, Istanbul und Pamplona. Das ist wirklich nicht drin, wenn Anfang Januar der Europa-Launch ansteht. Nebenbei gründen wir noch das Campusradio Ernst.FM, bei dem zwei von uns im Vorstand und zwei in der Chefredaktion sitzen. Für eine GmbH-Gründung (und das war zu dem Zeitpunkt die angedachte Gesellschaftsform) und für einen App-Prototypen müssten wir jeder 5000 Euro aus eigener Tasche lockermachen. Gleichzeitig standen gerade die dreimonatigen Semesterferien bevor, in denen vier von fünf ein Pflichtpraktikum machen würden. Dieses – das wurde uns von unserer Hochschule angeboten – dürften wir auch in unserem eigenen Unternehmen machen, sofern wir gründen. Für mich war es da bereits zu spät, ich war schon in München. Die anderen sagten ihren Unternehmen aber eine knappe Woche vor Praktikumsbeginn schnell ab und in einem lustigen Skype-Gespräch entschieden wir uns mit allemann für Crowdfitter und gegen viele andere schönen Dinge. Schon klar, dass das Gespräch nicht die ganze Zeit so lustig war wie auf dem Bild. Denn hätten wir die Entscheidung ohne Bedenken und Bammel getroffen, müssten wir wohl unsere geistige Zurechnungsfähigkeit hinterfragen. Dennoch – ein fröhliches Gründungsfoto:

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Von da an war unser Ziel pro Woche mit mindestens zehn Experten aus der Startup- und Modebranche zu sprechen. Vor allem bei unserem Geschäftsmodell waren wir zunächst einfach mal vom Bedürfnis der Modemacher ausgegangen, ihre Outfits vor der Produktion auf unterschiedlichen Märkten zu testen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass sich die größeren Labels auf Grundlage von Trendreports ungefähr anderthalb Jahre vor Verkauf einer Kollektion auf bestimmte Farben und Schnitte einigen. Es steht also vermutlich jetzt schon fest, dass im Frühjahr 2016 blasse Gelb- und Grüntöne und tief geschnittene Jeanshosen „in“ sind. Kleinere Modeketten sehen die Kollektionen ein paar Monate vorher auf der Fashion Week und nähen sie in kürzester Zeit mehr oder weniger nach. Dass da im Vorfeld überhaupt kein Bedarf mehr für Marktforschung besteht, darüber waren sich also viele Modekenner einig und stellten unser Geschäftsmodell in Frage. Ganz gaben wir uns damit natürlich nicht zufrieden. Schließlich geht in fast allen Branchen der Trend zu Big Data und einer besseren Evaluation zur Risikominimierung. Und mit unserem Crowdfitter-Tool bekommt man wertvolle Reports aus einer jungen Zielgruppe innerhalb von Stunden. Diese Kritiken versuchten wir uns also eher als Pro-Argument zurechtzureden – Innovationen stoßen immer erstmal auf Abneigung – obwohl wir uns der Schwierigkeit späterer Überzeugungsarbeit in einer so traditionalistischen Branche bewusst waren. Trotzdem verdirbt einem jedes Gegenargument erst einmal die Laune, egal wie oft man es intern schon entschärft hat. Die Lieblingsfrage vieler Experten war, wie wir vorhaben, eine kritische Masse zu erreichen. Darauf kann man spontan kaum etwas Gescheites antworten, außer „mit gutem Marketing“ und „einem gut umgesetzten Produkt“ – und das ist eine wirklich unbefriedigende Argumentation. Besser war schon die, dass sich unsere Nutzerschaft untereinander gar nicht kennen muss und wir in der Beta-Phase versuchen würden, Modeblogger auf unsere Plattform zu ziehen. Dann könne der spätere Nutzer von Anfang an loslegen mit dem „zocken“, wie wir es gerne nannten, um die Wichtigkeit der Gamification hervorzuheben. Dazu fanden wir bei Netzwertig ein hübsches Zitat, nach dem es das Wichtigste sei, „einen von der Vernetzung komplett losgelösten Produktnutzen zu liefern“. Außerdem wurde gerne gefragt, warum wir keine Kommentare zulassen (dann kannste auch gleich zu Instagram gehen!), warum wir nicht mit Werbung Geld verdienen (Werbung als Geschäftsmodell für eine App, ja klar!) und ob wir schon von diesem und jenem Startup gehört hätten, die “machen schon so etwas Ähnliches wie ihr” (die allermeisten kannten wir natürlich schon aus unserer Konkurrenzanalyse, und “so etwas Ähnliches” hieß oft „irgendwas mit Mode“). Wer morgens gut gelaunt und mit positivem Gefühl aus dem Bett aufstand (um 9.30 Uhr erst, versteht sich) konnte ziemlich sicher sein, dass abends wieder alles doof war. Aus anderen Tagen ging man raus und dachte, dass das alles gerade die geilste Sache der Welt ist. Aus jedem Tag aber ziemlich müde.

Beim finalen Skype-Entscheidungs-Gespräch über unsere Gesellschaftsform – wir hatten mittlerweile mit genügend Anwälten und Gründern gesprochen, um einigermaßen fundiert entscheiden zu können – rückte einer von uns auf einmal damit raus, dass er mit dem Auslandsaufenthalt im Frühjahr noch nicht ganz abgeschlossen habe. Dabei war die Entscheidung ja schon vor zwei Wochen gefallen. Es wurde ordentlich gemotzt, am nächsten Morgen war alles wieder gut und das Ausland vergessen. Für genau vier Stunden. So lange dauerte der Workshop mit einem Innovationscoach an diesem Tag, der neben vielen hilfreichen Impulsen noch einmal die wenig überraschende Erkenntnis brachte, dass die Unternehmung kein Selbstläufer würde. Abends verabredeten sich Nico, Viktor und Niels zum Skype-Gespräch. Laurenz stand derweil auf dem Fußballfeld und ich verbrachte den Abend in der Bahn nach Hannover. Bei meiner Ankunft hieß es dann, dass die Drei das Projekt beenden wollen. Einfach so – dachte ich zumindest erst. Eigentlich hatte sich diese Konsequenz aber schon über die letzten Tage und Wochen angebahnt. Ich bekam das nur nicht so richtig mit, weil ich aus München eine Fernbeziehung führen und mich über verhasste Skype-Telefonate und das Trello-Board auf dem Laufenden halten musste. Der anfängliche Frust wich relativ schnell dem mindestens ebenso unangenehmen Gefühl, etwas zu verpassen. Schon in den paar mickrigen Monaten hatten wir bezüglich Gründertum mehr gelernt und mehr spannende Leute getroffen, als in den anderthalb Jahren zuvor. Und aus meiner geschützten Münchner Ein-Zimmer-Wohnung stelle ich die gewagte Behauptung auf: Ich wette, dass es kein Startup gibt, dem in der Anfangsphase nicht erstmal mit Skepsis begegnet wird. Und das Gründerteam möchte ich sehen, das nicht dieselben Hochs und Tiefs durchgemacht hat und kurz vorm Hinschmeißen war.

Wir alle waren also kurz davor, einen neuen Tätigkeitsbereich bei Xing und die Bezeichnung „Entrepreneur“ mit in den Lebenslauf zu schreiben. Allerhöchstens ein bis zwei Tage standen wir am Ende vor dem finalen Gang zu unserem Notar. Stattdessen mussten wir dem mühsam aufgetriebenen Screendesigner und unserem Entwickler einen Korb geben. Und die Jungs, die voller Tatendrang ihr Pflichtpraktikum abgesagt haben, freuen sich jetzt schon auf das Nachholen im kommenden Sommer. Am Ende ist es wahrscheinlich eine vernünftige und folgerichtige Entscheidung, das Projekt Crowdfitter zumindest vorläufig zu beenden. Woran es genau gescheitert ist, lässt sich nicht so eindeutig rekonstruieren. Von tausend möglichen Gründen, möchte ich zumindest 13 hier auflisten. Ein paar Treffer sind bestimmt dabei.

* Das Gründerteam war zu homogen
* Das Gründerteam war zu groß – fünf sind drei zu viel
* Das Gründerteam mochte sich gegenseitig
* Erasmus-Aufenthalte sind viel cooler, als ein Startup zu gründen
* Aus einem Uniseminar kann doch kein ernstzunehmendes Startup hervorgehen
* Die Modeunternehmen sind noch nicht bereit für uns
* Irgendwie standen wir am Ende doch nicht so ganz hinter der Idee
* Leute, die um Kritik gebeten werden, kritisieren nun mal auch
* Für die Kritik hatte aber nicht jeder von uns im richtigen Moment die richtigen Gegenargumente parat
* Zu naiv rangegangen
* Zu wenig naiv rangegangen
* Wir sind hier nicht in den USA
* Bloß zu feige gewesen

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Dieser Artikel erschien zuerst auf https://martinwiens.wordpress.com/

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