Umstrittener Deal

Wie der studiVZ-Exit den Samwer-Ruf als ruchlose Geldgeber festigte

Zeitreise in die Ära studiVZ und den Verkauf des Start-ups. Alle Investoren erklärten sich damals zugunsten eines für das Gründerteam besseren Deals bereit, Abstriche bei der Kaufsumme zu machen – nur die Samwers wollten nicht mitmachen. Auszug aus dem Samwerbuch von Joel Kaczmarek.
Wie der studiVZ-Exit den Samwer-Ruf als ruchlose Geldgeber festigte
Dienstag, 26. August 2014VonTeam

Endlich ist es da, das erste Buch über die Samwer-Brüder! Es trägt den einprägsamen Titel: “Die Paten des Internets: Zalando, Jamba, Groupon – wie die Samwer-Brüder das größte Internet-Imperium der Welt aufbauen“. Verfasst hat es niemand geringeres als Joel Kaczmarek, ehemals Chefredakteur von Gründerszene. In den vergangenen Jahren hat er sich bekanntlich in zahlreichen Artikeln mit den drei Brüdern beschäftigt. Wir bringen heute einen Auszug aus dem Samwerbuch – und war das Kapitel, in dem es um studiVZ geht.

“Gegründet von den beiden Jungunternehmern Ehssan Dariani und Dennis Bemmann war StudiVZ als eine Kopie des erfolgreichen US-Unternehmens Facebook konzipiert und gewann zusehends an Aufmerksamkeit in der deutschen Internetbranche. Die beiden Gründer hatten sich über ein Jungforschernetzwerk kennengelernt und verfügten mit dem Gründungsinvestor Lukasz Gadowski, den Dariani aus Schulzeiten in Kassel kannte und ein Praktikum bei dessen Gründung Spreadshirt absolviert hatte, über einen ersten Geldgeber, der sie mit seinem Partner Matthias Spieß bei der Umsetzung unterstützte. Schon vor der Entstehung von StudiVZ im Herbst 2005 hatte es erste Versuche gegeben, Social Networks in Deutschland zu etablieren – ein Erfolg war bis dato aber ausgeblieben. Mit dem US-Vorbild Facebook am Horizont sollte nun eine neuerliche Welle von deutschen Nachahmern ansetzen, zu deren Anführern das im Spätsommer 2005 gegründete StudiVZ gehörte. In einer Zeit, in der die wenigen aktiven Business Angels einen engen Kontakt pflegten und die getätigten Investments nicht selten zu einer Art Club-Deal wurden, zählte auch Christian Vollmann, der durch seine Erfahrungen mit der Jamba-Community Myfriends relevant wurde, zu den Investoren von StudiVZ.

Nach zwei zunächst gescheiterten Investitionsgesprächen stießen im April 2006 auch die Samwers mit einem sechsstelligen Betrag zu StudiVZ und warben den Holtzbrinck-Verlag als Geldgeber, der sich kurz zuvor noch erfolglos an einem eigenen Facebook-Klon versucht hatte. Als Gesellschafter trugen die Samwers zur Funktionalität und den Inhalten der Plattform kaum etwas bei, sondern konzentrierten sich stattdessen auf die Auswertung des Zahlenmaterials und halfen dabei, als es angesichts der Skalierungsprobleme von StudiVZ galt, unter hohem Zeitdruck mit Hosting-Unternehmen zu verhandeln. Vor allem begleiteten sie den Verkaufsprozess der Vorzeigegründung, und es darf als sicher gelten, dass der spätere Verkauf ohne sie nicht so gut geklappt hätte – besonders Oliver Samwer war dabei stark involviert und erntete den Dank vieler Beteiligter, die sehr zufrieden waren, dass ein Unternehmen ohne Umsatz für viel Geld und in hoher Geschwindigkeit verkauft wurde. Ehe es so weit war, galt es aber, unterschiedliche Optionen abzuwägen.

Um bekannt zu werden, hatte StudiVZ auf virale Maßnahmen gesetzt und insbesondere mit seinen »Campus Captains«, eigens rekrutierten Studenten, die im Austausch gegen kleinere Kompensationen zum Werbebotschafter an Universitäten wurden, große Erfolge verzeichnet. Wenngleich sich der Erfolg von StudiVZ vor allem auf den deutschen Raum beschränken sollte, gewann der junge Facebook-Klon derart an Bekanntheit, dass mit dem Suchmaschinenanbieter Yahoo!, den Verlagen Axel Springer und Holtzbrinck sowie US-Vorbild Facebook gleich vier Interessenten einen Bieterkampf vom Zaun brachen. Gemeinsam mit Michael Brehm, einem WHU-Absolventen, der zur Stabilisierung der Prozesse als Geschäftsführer hinzugestoßen war, betreuten die Samwers den Verkaufsprozess, an dessen Ende Holtzbrinck mit einem Angebot von 85 Millionen Euro zu einem der höchstbietenden Interessenten zählte. Allerdings wurde Holtzbrincks Angebot durch das Verlagshaus Axel Springer um 5 Millionen Euro überboten.

Die Berliner waren gewillt, 90 Millionen Euro zu bezahlen, und sahen in StudiVZ ihre Chance auf ein werbefinanziertes Online-Geschäftsmodell. Dennoch bot Holtzbrinck einen Deal, der für das Gründerteam realistischere Zielvorgaben bedeutete und damit attraktiver war. Im Gegensatz zu den weiteren Interessenten sah Holtzbrinck zunächst kein internationales Wachstum vor, sondern wollte sich darauf konzentrieren, in Deutschland dauerhaft die Nummer eins des Marktes zu stellen, anstatt sich in mehreren Märkten auf einmal aufzureiben. Gleichzeitig musste sich das Gründerteam nur für drei weitere Jahre verpflichten – ein Jahr weniger als Axel Springer es wünschte. Kurzum: Holtzbrinck erschien nicht nur interneterfahrener, sondern unterbreitete auch ein gründerfreundlicheres Angebot. Facebook wollte seinen deutschen Wettbewerber in Ermangelung des notwendigen Kapitals derweil vor allem in Facebook-Anteilen übernehmen und hatte sich durch einen umfangreichen Vertrag voller Garantien selbst ins Aus manövriert.

Mithin ergab sich angesichts der verschiedenen Angebote eine unterschiedliche Interessenlage. Für das Gründerteam bot Holtzbrinck das beste Gesamtpaket und auch ein Großteil der Investorenschaft war bereit, sich mit dem etwas niedrigeren Angebot abzufinden. Einzig die Samwers blockierten jenen Deal, der ihnen weniger Geld bescherte. Das Brüdertrio war wegen des höheren Kaufpreises daran interessiert, mit Axel Springer einig zu werden. Alle verbliebenen Investoren erklärten sich zugunsten eines für das Gründerteam besseren Deals bereit, Abstriche bei der Kaufsumme zu machen – doch mit den Samwers war an so etwas nicht zu denken.

Schließlich konnte am 3. Januar 2007 aber doch jener umstrittene Deal mit Holtzbrinck wirksam werden. Man hatte sich auf einen Kompromiss geeinigt, bei dem das Gründerteam den Samwers ihre Differenz zum um fünf Millionen höheren Angebot von Axel Springer erstattete. Die Samwers hatten es verstanden, für sich eine Sonderbehandlung auszuhandeln und verlangten den Gründern dazu einen Teil ihres Exit-Verdienstes ab.

So hat der Verkauf von StudiVZ dazu beigetragen, den Ruf der Samwers als ruchlose Geldgeber zu begründen: Während sie den Gründern eine Auszahlung abrangen, soll es gleichzeitig mit Holtzbrinck zu einem Arrangement gekommen sein, dass die Samwers sich an deren erfolgreicher Partnervermittlungsplattform Parship beteiligen durften, wenn sie dem StudiVZ-Verkauf zustimmten. Das mag ein Gerücht sein. Wohl aber ist der Zorn von Holtzbrinck überliefert, als die Samwers 2008 trotz ihrer Rolle als Gesellschafter Parship selbst nachbauten.

Oliver Samwer und seine Brüder ließen es nicht bei diesem Kuhhandel rund um den StudiVZ-Kauf bewenden und investierten noch im selben Monat in den polnischen Facebook-Klon Nasza-klasa, ehe sie nur ein Jahr später sogar das US-Vorbild Facebook selbst finanzierten. Oliver Samwer hatte Mark Zuckerberg angeblich dazu gebracht, dass er und seine Brüder nur einen Teil der für 1,5 Prozent an Facebook eigentlich fälligen 15 Millionen Euro zahlen mussten. Dem US-Schwergewicht standen die Samwers stattdessen beim europäischen Ausbau bei, schließlich hatten sie mit ihrer Beteiligung an StudiVZ umfangreiche Einsichten in den deutsch-europäischen Markt gewonnen. Immerhin: Vor ihrem Facebook-Investment rief Oliver Samwer StudiVZ Neubesitzer Stefan von Holtzbrinck an, um ihm von seinem Vorhaben zu erzählen.

Eine ähnlich brisante Geschichte rankt sich um die Gebrüder Strüngmann, die mit dem Pharmaunternehmen Hexal einen Gründungserfolg hingelegt hatten und den Samwers zehn Millionen Euro für ihre Investitionsvorhaben überantworteten. Da die Samwers schnell starten sollten, sich die Verhandlungen des Vertragswerks aber noch hinzogen, erhielten sie die Strüngmann-Gelder bereits und investierten sie in StudiVZ. Um die Gewinne aus dem kurze Zeit später anstehenden StudiVZ-Verkauf aber nicht teilen zu müssen, gaben die Samwers den Pharmaunternehmern schließlich ihr Kapital unverzinst zurück und sagten die gemeinsame Zusammenarbeit nach rund acht Monaten Vertragsverhandlungen ab. Eine zweifelsohne rücksichtslose Vorgehensweise, zu der es aus der anderen Richtung hieß, die Strüngmanns hätten ihr Geld selbst herauszogen, weil sie nicht in der Lage gewesen seien, das Risiko der Samwers mitzugehen.

Geschichten wie diese um StudiVZ lassen erahnen, warum die Samwers in der Internetbranche einen kontroversen Ruf genießen, wenngleich sich vieles davon nur selten belegen lässt. Geschäftspartner, die sich ungerecht behandelt fühlen, zementieren diesen Ruf in ähnlicher Weise wie der Umstand, dass oft vor allem die Samwers von den unterschiedlichen Deals profitierten. Nachdem sie bei StudiVZ bereits fleißig abgesahnt hatten, brachte es Facebook zu einem Börsengang, und Nasza-klasa wurde für 90 Millionen Dollar an Forticom veräußert. Die Samwers hatten mit Social Networks Millionen gemacht und als Investor wichtige Erfolge eingefahren. Für Holtzbrinck entwickelte sich der Kauf von StudiVZ derweil zum Desaster. Mit zwischenzeitlich 16 Millionen Nutzern bildete es zunächst Deutschlands größtes Social Network, konnte sich durch Holtzbrincks Mangel an Innovationsbereitschaft aber nicht gegen Facebook durchsetzen und wurde nach sukzessiver Verkleinerung schließlich an die US-Investmentgesellschaft Vert Capital verramscht. Und dies, obwohl es sogar ein weiteres Übernahmeangebot von Facebook gegeben hatte.”

ds-samwerbuchDas Samwerbuch von Joel Kaczmarek ist ein wilder Ritt durch das Leben der drei Brüder – von den Anfängen in Köln, über die Gründung von alando, dem Start von Jamba und der Gründung des European Founders Fund bis zum Start von Rocket Internet. Intensiv geht Kaczmarek dabei auf die Gründungen von Groupon und zalando ein. Das Buch lebt dabei von vielen Details, vielen Kleinigkeiten, die man schon längt wieder vergessen hat und vielen Anekdoten rund um einzelnen Deals, Exits und Co. Die Anhänge mit Infos über viele Wegbegleiter der Samwers, Listen mit Exits und Flops machen das Buch vollends zu einer sehr detailverliebten Dokumentation über die drei Brüder. An einigen Stellen kommt das Buch dabei fast schon zu wissenschaftlich rüber. Was außerdem fehlt, ist die persönliche Sicht der Samwers auf ihr Wirken und ihr Wirtschaftsleben, die haben das Buchprojekt aber leider nicht unterstützt. So viel Öffentlichkeit ist dann vielleicht auch zu viel für die meist pressescheuen Brüder.

Passend zum Thema: “40 Dinge, die man über Oliver Samwer wissen muss

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Foto: Five million Number five million in golden letters on a golden pedestal from Shutterstock