What about Germans?
Wie Start-ups aus dem Ausland Deutschland erleben
Mittlerweile wagen viele deutsche Start-ups den Sprung über den großen Teich und expandieren in große Märkte wie die USA oder Südamerika. Auch umgekehrt ist es für die Unternehmen von der anderen Seite des Teiches ein lukratives Geschäft, hier Fuß zu fassen. Wie es sich für sie hierzulande arbeiten lässt und mit welchen Eigenschaften deutscher (Unternehmens-) Kultur sie hier zu kämpfen haben, fragt deutsche-startups.de bei TrialPay, Vendisys und Noom nach.
Bitte beschreiben Sie, welche Idee hinter ihrem Start-up steht?
Erik Paulson: Bei der Gründung von Vendisys ging es um die Kernfrage: Wie kann man erfolgreich Neukunden gewinnen, ohne Zeit und Nerven mit telefonischer Kaltakquise zu verschwenden. Die meisten Vertriebsmitarbeiter, selbst die erfolgreichsten, haben für Kaltakquise wenig übrig. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Zum einen ist es für jeden einfach unangenehm am Telefon abgewürgt zu werden und zum anderen sind die Erfolgsaussichten sehr schlecht.
In meinem ersten Job im Vertrieb habe ich für Merril Lynch und PTC, damals das fünftgrößte Softwareunternehmen weltweit, Kaltakquise gemacht. Manchmal habe ich mehr als 300 Anrufe pro Tag gemacht – und zwar alle von Hand, weil es zu der Zeit noch keine automatische Wahlfunktion gab. Zum Glück fand da gerade E-Mail Einzug in die Unternehmenswelt, das war so im Jahr 1998. Ich bin SOFORT auf den Zug aufgesprungen und habe E-Mail dazu genutzt meine telefonische Akquise vorzubereiten. Die Idee war also, dass es einen besseren und smarteren Weg zur Kundengewinnung geben musste als nur das blöde Telefon.
Eric Lein: TrialPay hat als erstes Unternehmen 2006 den Grundstein für alternative Zahlungsmethoden im Web gelegt. Die Idee war es Usern die Möglichkeit zu geben die Premiumversion einer Software zu erwerben, indem sie ein alternatives Angebot abschließen. Anstatt die Software direkt mit der Kreditkarte zu bezahlen, konnte der User in einem Online Shop einen Artikel seiner Wahl kaufen und im Gegenzug die lizensierte Premiumversion seiner gewünschten Software kostenlos erhalten.
Durch die Entwicklung des Marktes und die rasante Verbreitung von Social Games stieß dieses Geschäftsmodell auch auf starke Akzeptanz bei vielen Spieleentwicklern, die ihre Produkte bestmöglich monetarisieren wollten. Seit 2010 ist TrialPay exklusiver Technologieanbieter für alterative Zahlungsmethoden auf Facebook. Heute ist die TrialPay „Offerwall“ fester Bestandteil in einer Vielzahl von Spielen im Web und Apps auf mobilen Endgeräten.
Susanne Wechsler: Abnehmen ist ein riesiges Thema weltweit. Unsere App „Noom – Gesund Abnehmen“ löst es, durch die Anleitung zu einer regelmäßigen, ausgewogenen, gesunden Ernährung. Auf unkomplizierte Weise, d.h. mobil, mit Hilfe von Verhaltenspsychologie, werden die Nutzer dazu gebracht, ihr Essverhalten zum Besseren zu verändern. Kernstück der App ist ein Ernährungstagebuch, zusätzlich gibt es virtuelle Gruppen, Tagesaufgaben, Hintergrundartikel, Rezepte.
Welchen Grund gab es für das Unternehmen, in Deutschland Fuß fassen zu wollen?
Erik Paulson: 1. Viele unserer US-amerikanischen Kunden haben Großbritannien und Deutschland ganz oben auf dem Zettel, wenn sie international expandieren wollen.
2. Wir sind hier in Deutschland mit unserem Ansatz sogar noch erfolgreicher als in den USA und Kanada. Die Erfolgsquote ist im Durchschnitt um 50% bis 200% höher.
Eric Lein: Europa ist ein stark wachsender Markt insbesondere im Bereich App-Entwicklungen sowie digitale und mobile Werbung. Uns war es wichtig ein Standbein vor Ort zu haben, um unsere Partner und deren Endkunden besser und zielgerechter betreuen zu können.?Berlin ist der ideale Standort gewesen um ein internationales Team aufzubauen. Berlin ist nicht nur ein nationaler sondern vor allem auch internationales Magnet. Durch die hohe Lebensqualität zu niedrigen Preisen lassen sich immer mehr Menschen aus den unterschiedlichsten Ecken Europas in Berlin nieder und verleihen der Stadt ihren multikulturellen Charakter.
Susanne Wechsler: Unsere englischsprachige Version von „Noom – Gesund Abnehmen“ war bei deutschen Usern sehr beliebt. Zusätzliche relevante Kennzahlen waren für uns Marktgröße und verschiedene Wirtschaftskennzahlen.
Wie beurteilen Sie die Gründerlandschaft im Vergleich zu Ihren Heimatmärkten?
Erik Paulson: 1. Es dauert hier in Deutschland etwa doppelt so lange, bis man die Dinge erledigt hat. Egal ob es um Mitarbeiter, Prozesse, oder gesetzliche Vorschriften geht. Unsere Geduld wurde jedenfalls ein ums andere Mal auf die Probe gestellt.
2. Abgesehen von dieser zeitlichen Komponente war alles andere sehr ähnlich zu den Erfahrungen, die wir in den USA gemacht haben.
Eric Lein: Ich denke der Vergleich zwischen Silicon Valley und Berlin wurde in den letzten Jahren bereits viel zu oft gezogen. Ich freue mich sehr miterleben zu dürfen, wie sich Berlin in den letzten Jahren immer mehr als Gründerstadt international etabliert hat, jedoch denke ich, dass der oben genannte Vergleich wenig mit der Realität zu tun hat. In den letzten 10 Jahren hat Silicon Valley über 200 global agierende Start Ups hervorgebracht. Gefolgt von New York mit 144 und London mit 90. Berlin hat hingegen mit 27 global agierenden Start Ups in den letzten 10 Jahren noch einen weiten Weg vor sich.
Nichts desto trotz bin ich überzeugt davon, dass die Silicon Allee das Potenzial und sehr gute Voraussetzungen hat sich als europäische Tech-Metropole durchzusetzen. Berlin verfügt über viele kreative und ambitionierte Köpfe, die weitere kreative und ambitionierte Köpfe anziehen. Und solange der Standort bezahlbar bleibt, wird Berlin ein Anziehungspunkt bleiben und den Mangel an ansässigen Elite-Unis für den Tech-Arbeitsmarkt ausgleichen.
Ein weiterer großer Unterschied besteht in der Herangehensweise der Internationalisierung. Deutsche Start Ups denken von vornherein über die Landesgrenzen hinaus und stellen von Anfang an die entsprechenden Weichen. In den USA kommt an erster Stelle das Produkt und erst nach erfolgreichem Start wird über die Internationalisierung nachgedacht. Das hat oft zur Folge, dass es schwieriger ist sich an die lokalen Bedingungen anzupassen. Nichts desto trotz kommen die globalen neuen Trends weiterhin aus den USA.
Susanne Wechsler: Ich habe nie in den USA gearbeitet, kann es schwer vergleichen. Unser Unternehmen ist produktgetriebener als andere Unternehmen die ich hier kennen gelernt habe.
Als ausländisches Start-up in Deutschland aktiv werden: Was sind die Vor- was die Nachteile auf dem hiesigen Markt?
Erik Paulson: Die größten Vorteile für uns als US-amerikanisches Unternehmen sind unsere Technologie sowie die jahrelange Erfahrung in einem hart umkämpften Markt wie den USA.
Zu den Nachteilen, mal abgesehen von den Herausforderungen mit der Sprache und dass man sich sein Netzwerk erst mal aufbauen muss, zählen vor allem die kulturellen Unterschiede. So ist es für die Deutschen enorm wichtig sich persönlich die Hand zu reichen, bevor man gemeinsam Geschäfte macht. In den USA ist ein Kennenlernen über Telefon, E-Mail und virtuelle Meetings vollkommen ausreichend. Allerdings sind die Deutschen dann auch sehr loyale Geschäftspartner.
Eric Lein: Der größte Unterschied liegt in der Vielfalt der Sprachen und Kulturen in Europa. Während man in den USA eine Kampagne in einer Sprache aufsetzen kann und damit viele Millionen von Usern erreicht, muss man in Europa wesentlich differenzierter arbeiten. Die Akzeptanz von bestimmten Kampagnen ist ganz unterschiedlich pro Land. Während in einem Land Video-on-Demand Kampagnen hervorragend funktionieren, sind es in einem anderen Land eher Shopping Angebote. Auch wir mussten dies erst lernen und versuchen mittlerweile entsprechend auszusteuern.
Deutlich spürbar ist auch die unterschiedliche Reife des Marktes zwischen den USA und Europa. Unser Geschäftsmodell ist in den USA weitestgehend akzeptiert und viele Advertiser wissen wie man damit umgeht und erfolgreich neue Kunden akquiriert. In Deutschland trifft man noch immer auf bestimmte Vorbehalte.
Susanne Wechsler: Die User in Deutschland sind viel aktiver als die in anderen Ländern. Pro einzelnem User haben wir wesentlich mehr Sessions. Gleichzeitig müssen wir aber noch mehr Überzeugungsarbeit als anderswo leisten, unsere Premiumversion zu kaufen. Außerdem gibt es mehr Bedenken bezüglich App Berechtigungen. Die User sind zudem kritischer, was sich auch im internationalen Vergleich der App Bewertung ausdrückt.
Mit welchen spezifisch deutschen Besonderheiten werden Sie konfrontiert (z.B. Datenschutz, …)?
Erik Paulson: Die Datenschutzvorschriften in Deutschland sind definitiv viel strenger als in den USA. Aber für uns es trotzdem eine große Chance, weil sich da eben auch nicht so viele Mitbewerber dran wagen.
Eric Lein: Das Thema Zahlungsmethoden ist in unserer Branche extrem wichtig. In den USA ist es gang und gäbe mit der Kreditkarte zu bezahlen. Leider ist diese Zahlungsmethode in Deutschland aber auch in vielen anderen europäischen Ländern weniger bis gar nicht verbreitet. Alternative Zahlungsmethoden wie Zahlung auf Rechnung oder Ratenzahlung können zu Qualitätsverlusten führen.
Susanne Wechsler: Unsere Zahlungsmöglichkeiten sind von Google und Apple weitestgehend vorgegeben, viele User haben aber keine Kreditkarte oder möchten damit nicht am Handy bezahlen.
Wie kann man sich hierzulande positionieren, wenn viele deutsche Start-ups Unterschlupf bei Inkubatoren/Acceleratoren oder Business-Angel-Verbäden finden, die mit ihrem Netzwerk klar im Vorteil sind?
Erik Paulson: Ich denke, wir haben da in den USA den richtigen Ansatz gefunden: Man ist vor allen Dingen dann erfolgreich, wenn man zusammen arbeitet. Wir arbeiten mit zahlreichen Start-Ups, die von den angesagtesten Inkubatoren, wie z.B. YC, Beteiligungsgesellschaften wie z.B. Kleiner, oder auch KKR unterstützt werden.
Und obwohl keine der genannten Firmen Anteile an unserem Unternehmen hält, sind wir doch Teil von deren Netzwerk und haben so Zugang zu cleveren Geschäftsgründern und den coolsten neuen Technologien. Langer Rede kurzer Sinn, dieses Jahr werden wir proaktiv nach ähnlichen Partnerschaften mit Inkubatoren und Acceleratoren in Deutschland suchen.
Eric Lein: Der Weg über einen Inkubator oder Business Angel zu gehen, scheint im ersten Moment weniger steinig zu sein. Eine Erfolgsgarantie ist dies jedoch auf keinen Fall. Gründer müssen sich auch sehr genau überlegen wann der richtige Moment ist, sich jemand Externen ins Boot zu holen und wie bereit man ist sein „Baby“ in die Hände von anderen zu legen. Die von Gründern hochgelobte Unabhängigkeit bleibt nur in ganz seltenen Fällen erhalten und dass es auch ohne Inkubator oder Business Angel sehr erfolgreich geht, hat sich erst kürzlich wieder in Berlin gezeigt.
Susanne Wechsler: Natürlich ist es super, Teil von einem formalisierten lokalen Netzwerk zu sein und dadurch wertvollen Input sowie Zugang zu Kontakten zu bekommen. Wir als Noom Europa freuen uns, dass wir in der Berliner Startup Welt gut integriert sind. Viele Leute kenne ich selbst noch von früheren Stationen, und sie haben uns bei unserem Launch sehr geholfen. Noom Inc. in den USA hat internationale Investoren, die auch schon angedeutet haben, uns in Europa zu helfen, zum Beispiel für B2B Türen zu öffnen. Letztlich ist es – und das ist eine amerikanische Einstellung – das Produkt, das die User überzeugen muss, damit sie es ihren Freunden und Kollegen weiterempfehlen.
Über die Personen:
Erik Paulson:
Erik Paulson ist Gründer und CEO von Vendisys, einem amerikanischen Unternehmen, welches Markteintrittsstrategien für Kunden, insbesondere für Start-ups und Venture Capital Gesellschaften erstellt und Marktanalysen und Marketingstrategien entwickelt.
Eric Lein:
Eric Lein ist der Head of European Operations bei TrialPay, er leitet das Berliner Büro seit Anfang 2014. Zuvor war er Sales Director im gleichen Unternehmen und verantwortlich für den Aufbau von Kundenbeziehungen in Süd-West-Europäischen Märkten. Vor TrialPay arbeitete er als Global Account Manager bei zanox.
Susanne Wechsler:
Susanne Wechsler führt das Berliner Team für Noom, eine Fitness- und Ernährungscoaching App, die helfen soll, nicht nur ein paar Kilos abzunehmen, sondern auch eine gesundere Lebensführung im Alltag durchzuhalten. Sie studierte BWL und Wirtschaftspädagogik an der WHU, an der Uni St. Gallen und Singapore Management University. Berufliche Stationen führten sie in die Mongolei (mit Bookbridge) und nach Palästina ins Caritas Baby Hospital. Für Rocket Internet arbeitete sie in Argentinien, in der Türkei, in Dubai und in Singapur, um dort Mode-Online-Shops aufzubauen.