#Interview
“Die letzten Jahre waren eine intensive Pivot-Phase”

Das Kölner HR-Tech-Unternehmen talentsconnect, 2013 von Robin Sudermann, Lars Wolfram und Max Klameth gegründet, unterstützt Unternehmen dabei die richtigen Mitarbeitenden zu finden. “Unsere SaaS-Umsätze haben sich in den letzten vier Jahren vervierfacht, wir haben heute mehr als 10 Millionen Euro wiederkehrende SaaS-Umsätze, eine so genannte Net Retention Rate (NRR) von deutlich über 100 % und wachsen konsolidiert in der Gruppe durchschnittlich 40 % pro Jahr”, sagt Gründer Sudermann zum Stand der Dinge bei talentsconnect.
Zuletzt stemmte das talentsconnect-Team zudem eine Übernahme und schluckte das 2020 gegründete Startup PitchYou aus Leverkusen. “PitchYou war bereits seit zwei Jahren ein enger Partner von uns, zumal sie Marktführer für Recruiting per WhatsApp sind, und unsere Produkte somit bei vielen Kunden bereits integriert waren. Jetzt haben wir die Möglichkeit, beide Produkte noch nahtloser zu verzahnen und unsere AI-Initiativen zu bündeln”, führt Sudermann aus.
Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der talentsconnect-Gründer einmal ausführlich über den Stand der Dinge in seinem Unternehmen.
Wie würdest Du Deiner Großmutter talentsconnect erklären?
Wir sorgen dafür, dass große Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen die richtigen Menschen für ihre Jobs finden. Dafür übernehmen wir die Online-Schaufenster dieser Unternehmen, ihre Karriereseiten. Denn wir können nachweisen, dass die besten Kandidat:innen sich direkt beim Unternehmen bewerben und nicht über Stellenbörsen kommen. Wir haben dafür eine Technologie entwickelt, die darauf spezialisiert ist, Karriereseiten zu optimieren, so dass die Unternehmen bei der Stellenbesetzung sehr viel Geld sparen. Die ersten HR-Abteilungen sind dank uns schon zu einem Profit Center geworden. Das heißt, dass die HR-Abteilung zum Gewinn des Unternehmens beiträgt – über die direkte Ansprache von Kandidaten. Wir nennen dieses Prinzip “Direct-to-Talent”.
War dies von Anfang an Euer Konzept?
Unser Konzept hat sich vor vier Jahren einmal komplett verändert. Heute haben wir ein hundertprozentiges SaaS-Modell: Alle unsere knapp 1.000 direkten und indirekten Kunden nutzen die gleiche Software, alle tragen zur Entwicklung bei und alle partizipieren davon. Bis 2020 hatten wir ein Customized SaaS-Konzept, bei dem wir einen Basiscode hatten, den wir dann aber je Kunde stark auf die individuellen Bedürfnisse angepasst haben. Die letzten vier Jahre waren somit eine intensive Pivot-Phase.
Wie hat sich talentsconnect seit der Gründung entwickelt?
Unsere SaaS-Umsätze haben sich in den letzten vier Jahren vervierfacht, wir haben heute mehr als 10 Millionen Euro wiederkehrende SaaS-Umsätze, eine so genannte Net Retention Rate (NRR) von deutlich über 100 % und wachsen konsolidiert in der Gruppe durchschnittlich 40 % pro Jahr. In 2024 sind wir profitabel geworden und werden einen siebenstelligen EBITDA zeigen können. Dieser finale Schritt ging leider etwas auf Kosten des ARR-Wachstums, war aber strategisch unbedingt gewollt. Wir haben 2024 mit etwa 100 Mitarbeiter:innen abgeschlossen, etwa 70 bei talentsconnect und 30 bei PitchYou. Für die kommenden Jahre wollen wir profitabel bleiben und weiter um 40 % pro Jahr wachsen.
Was war zuletzt das Highlight bei Euch?
Wir haben uns zusammen mit unseren Aktionären in 2024 dazu entschieden, in eine Buy-and-Build-Strategie überzugehen und mit der PitchYou GmbH dann auch direkt unsere erste Akquisition abgeschlossen. PitchYou war bereits seit zwei Jahren ein enger Partner von uns, zumal sie Marktführer für Recruiting per WhatsApp sind, und unsere Produkte somit bei vielen Kunden bereits integriert waren. Jetzt haben wir die Möglichkeit, beide Produkte noch nahtloser zu verzahnen und unsere AI-Initiativen zu bündeln. Denn klar ist: Künstliche Intelligenz wird das Recruiting massiv verändern. Extrem viele Tätigkeiten, gerade in der Stellenausschreibung und der Anbahnung der Gespräche mit Bewerber:innen werden durch KI deutlich verbessert und für die Unternehmen somit weniger Ressourcen-intensiv. Genau das können wir jetzt zusammen gestalten.
Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wenn alle davon sprechen, dass wir goldene Zeiten hinter uns haben und 2021 im SaaS-Bereich ein Peak da war, dann kann ich das zwar bestätigen, aber wir sind auch nach den COVID-Lockdowns gut gewachsen. Dennoch kam unser Pivot für eine vollständige Nutzung dieser Digitalisierungswelle zu spät. Das hat uns schon extrem gewurmt. Außerdem war bei der Durchsetzung der Profitabilität Ende 2023 und Anfang 2024 auch eine Anpassung unserer Personalkosten und -struktur notwendig. Wir haben vorher etwas zu viele Kosten aufgebaut – beziehungsweise wir sind davon ausgegangen, schneller zu wachsen und somit die Profitabilität früher durch Wachstum zu erreichen. Das ist schmerzhaft, kostet Energie und auch Vertrauen. Das Learning ist also eine Binsenweisheit, die man überall nachlesen kann, aber dann doch am eigenen Leib erst so richtig spürt: Strategische Entscheidungen müssen wohlüberlegt sein, dann aber radikal und hart durchgeführt werden. Bei uns hat dieser Prozess der Umsetzung letztlich zu lange gedauert, sonst wären wir heute weiter.
Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
“Alles richtig gemacht” würde ich nie sagen. Wir versuchen, Entscheidungen zu treffen, wenn wir uns zu 60 bis 80 % sicher sind. Da sind also nie nur richtige Entscheidungen dabei. Aber zwei Dinge würde ich hier nennen, die mir wirklich viel bedeuten: Erstens unsere Kultur. Wir sind ein Unternehmen aus Deutschland, wir haben deutsche Angel-Investoren, arbeiten für internationale Unternehmen, die aber immer aus Deutschland kommen, beziehungsweise hier ihren Hauptsitz haben. Gleichzeitig beschäftigen wir 18 Nationen und arbeiten “remote first”, also im Schwerpunkt aus dem Homeoffice. Wir haben es geschafft, unsere Werte und die Standortvorteile Deutschlands mit den Freiheiten und der Diversität eines internationalen Teams zu verbinden. Das macht uns extrem skalierbar. Darauf bin ich stolz. Zweitens haben wir vor rund 18 Monaten entschieden, unser Marketingbudget für “bezahlte Reichweite” auf null zu setzen und uns auf eigene Events und Empfehlungen unserer Kund:innen zu fokussieren. Das war ganz sicher mutig und auch riskant. Aber neben der Einsparung eines 7-stelligen Betrags pro Jahr merken wir, dass es genau richtig war. Der empfehlungsbasierte Event-Ansatz rund um unser Thema “Direct-to-Talent” greift extrem gut. Letztes Jahr hatten wir deutlich mehr als 1.000 Event-Besucher bei uns im Büro und in den Remote-Formaten – ohne ein Reichweiten-Budget oder Outbound-Aktivitäten, also rein organisch.
Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Bleib als Gründer:in immer bei dir selbst und mach dir klar, warum du ursprünglich mal deinen Job gekündigt und gegründet hast. Diese Antriebsmotivation ist super wichtig, eine Art Nordstern, der einen leitet, speziell in schwierigen Phasen. Wenn man irgendwann mal “erfolgreich” ist, melden alle ihre eigenen Interessen an – man droht schnell zum Spielball zu werden. Investoren wollen das, Mitarbeiter was anderes, das private Umfeld nochmal was anderes. Keiner meint das böse, aber es ist nicht leicht, immer wieder klar zu sehen, was das Unternehmen braucht. Diese Perspektive wird durch die Gründer:innen eingenommen und das sollte so lange wie möglich auch der Kern der Motivation bleiben, damit ein Unternehmen wirklich groß werden kann.
Wo steht talentsconnect in einem Jahr?
Wir werden in einem Jahr eines der am stärksten wachsenden HR-Tech-Unternehmen nördlich von 10-Millione-Euro-Umsatz aus Deutschland sein. Auf Basis der dann abgeschlossenen Post-Merger-Integration von PitchYou werden wir weiter an unserer Buy-and-Build Strategie arbeiten und vermutlich in einem ersten Markt außerhalb Deutschlands expandiert oder kurz davor sein.
Reden wir über Köln. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was macht den Reiz der Startup-Szene in Köln aus?
Köln ist natürlich von der Lebensfreude und Freundlichkeit der Menschen her die mit Abstand führende Stadt in Deutschland. Da wir aber Remote First agieren, ist das Büro für uns mehr die zentrale Event-Location als der Wachstumstreiber für Mitarbeiter- oder Kundenwachstum. Insofern kann ich nicht präzise bewerten, was der Standortvorteil ist – außer natürlich den Menschen, die man in Köln trifft.
Zum Schluss hast Du drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Köln?
Mehr Mut und Kapital für innovative Ideen: Köln hat viele talentierte Unternehmer:innen und spannende Ideen. Ich wünsche mir, dass noch mehr Investor:innen den Mut finden, gerade in der Frühphase zu investieren. Ein stärkeres Netzwerk aus Business Angels und VCs könnte Köln als Standort enorm voranbringen. Eine engere Verbindung zwischen Startups und etablierten Unternehmen: Gerade hier in der Region gibt es unglaublich starke, traditionelle Unternehmen. Wenn diese bereit wären, enger mit Startups zusammenzuarbeiten, könnten beide Seiten davon profitieren. Der Austausch zwischen altbewährtem Know-how und disruptiven Ideen sollte noch intensiver gefördert werden. Mehr Sichtbarkeit für die Kölner Szene: Berlin dominiert die Wahrnehmung als Startup-Hauptstadt, aber Köln hat mindestens genauso spannende Player. Ich wünsche mir, dass unsere Stadt in der nationalen und internationalen Startup-Landschaft noch sichtbarer wird – durch große Events, erfolgreiche Exits und starke Kooperationen.
Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness
In unserem Themenschwerpunkt Köln beleuchten wir das dynamische Startup-Ökosystem der Rheinmetropole. Wie sind die Bedingungen für Gründer:innen, welche Investitionen fließen in innovative Ideen und welche Startups setzen neue Impulse? Rund 800 Startups haben Köln bereits als ihren Standort gewählt – unterstützt von einer lebendigen Gründerszene, einer starken Investor:innen-Landschaft sowie zahlreichen Coworking-Spaces, Messen und Netzwerkevents. Als zentrale Anlaufstelle für die Startup- und Innovationsszene stärkt die KölnBusiness Wirtschaftsförderung die Rahmenbedingungen für Gründer:innen, vernetzt sie mit Investor:innen und bietet gezielte Unterstützung. Diese Rubrik wird unterstützt von KölnBusiness. #Koelnbusiness auf LinkedIn, Facebook und Instagram.